Nahverkehr:"Das mit den Zonen und Ringen versteht kein Mensch"

Fahrkartenautomat der Deutschen Bahn

Vor Münchens Fahrkartenautomaten spielen sich oft menschliche Dramen ab.

(Foto: dpa)

Das MVV-Tarifsystem ist für Touristen wie Einheimische kaum zu durchschauen. Ein Augenzeugenbericht der alltäglichen Dramen auf der Suche nach dem richtigen Ticket.

Von Anna Hoben

Es gibt zwei Arten von Menschen. Zu diesem Schluss kommt man, wenn man sich anderthalb Stunden an den Ticketautomaten im Hauptbahnhof herumgedrückt hat, um zuzusehen, wie das so läuft zwischen Mensch und Maschine, und was das MVV-Tarifsystem damit zu tun hat. Auf der einen Seite sind diejenigen, die den Fehler bei sich selbst suchen, wenn sie nicht klarkommen. Auf der anderen Seite diejenigen, die der Maschine die Schuld geben. Und, natürlich, dem System im Allgemeinen, in diesem Fall den Ringen und Zonen. Die sollen ja das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln in und um München planbar und die Tarife verständlich machen. Doch tun sie das auch?

An einem Tag unter der Woche steht um die Mittagszeit ein schmaler Mann mit bunter Brille an einem der Automaten im Untergeschoss des Hauptbahnhofs, und wenn Blicke töten könnten, dann hätte die Maschine vor ihm längst einen Systemabsturz erlitten.

"Beschissen ist das", entfährt es ihm, wenn man ihn anspricht. Er will nach Unterhaching und hat jetzt schon mehrfach in der Suchmaske U, N, T, E, R und H eingegeben, zunächst geduldig, dann weniger geduldig. Aber der Ort ist nicht aufgetaucht in der Liste der möglichen Ziele. "Ich hab' auch keine Ahnung, ob das Innen- oder Außenraum ist", schimpft der Mann, der aus Koblenz kommt und 57 Jahre alt ist. "Das mit den Zonen und Ringen versteht kein Mensch."

Auf einem Plakat fragen die Zeugen Jehovas, die neben den Ticketautomaten einen Infostand aufgebaut haben: "Wie übersteht man schwere Zeiten?" Doch das hilft dem rheinischen Reisenden jetzt auch nicht weiter. Schließlich findet er sein Ziel doch noch, als er auf dem Berührbildschirm die MVV-Suchmaske öffnet statt derjenigen der Deutschen Bahn.

Die Nachricht dieser Woche, dass die Ringe und Zonen bleiben, hätte der Koblenzer wahrscheinlich als Drohung empfunden - und mit ihm viele einheimischen Nutzer von Bus, U- und S-Bahn. Denn schon seit Jahren wird kritisiert, dass das System undurchschaubar ist, nicht nur für Touristen und Auswärtige, sondern auch für geübte Münchner. Und so hofften alle auf eine Generalüberholung, die sich nun allerdings als Reförmchen entpuppt. An den Grundzügen des Tarifsystems wird sich wohl so bald nichts ändern.

Man muss nicht viel tun, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen, wenn man an den Automaten eine kleine, unrepräsentative Studie durchführt. Viele rufen erleichtert, "Bitte, können Sie mir helfen?", wenn man nur in ihre Richtung schaut. Zum Beispiel der junge Mann aus Amsterdam, der sich als Gouya vorstellt. Für seine Fahrt zum Ostbahnhof und anschließend zum Flughafen nimmt er schließlich ein Airport-City-Day-Ticket für 12,40 Euro. Ob es auch günstiger gegangen wäre? Schulterzucken. In Amsterdam, sagt Gouya, sei das System jedenfalls viel einfacher.

"Dort lädt man einfach eine Karte auf." - "In anderen Großstädten fällt es mir deutlich leichter", bestätigt auch Thomas Rossburg, 57, der auf Teneriffa lebt und gerade Urlaub in den Alpen gemacht hat. Er komme aber klar, versichert er, obwohl er seit einigen Minuten mit dem Automaten kämpft. "Wenn ich da an die alten Leute denke, die noch nie mit einem Computer zu tun hatten!"

Immer wieder gehen Kaufwillige von den Automaten zu den Tarifplänen, die gegenüber hängen: zwei große Kreise mit vielen kleineren, unterschiedlich eingefärbten Kreisen darin. Da stehen sie eine Weile grübelnd und kehren irgendwann mit kaum erleuchtetem Gesichtsausdruck zurück. "Die Grafiken sind verwirrend", findet Eric. Der 24-jährige Student aus Frankreich lebt seit einem Jahr in München und sieht gerade - weil er sonst Fahrrad fährt - zum ersten Mal, "dass es dieses Ring-Ding gibt". Eine 69-jährige Pariserin pflichtet ihm bei. "Sehen Sie, wie schwierig das ist", ruft sie und zieht einen zum Automaten. In dem Fall liegt das Problem aber am Touchscreen. Die Dinger haben ja die Eigenheit, dass man grundsätzlich zu hoch auf das jeweilige Feld drückt.

Dass die Automaten nicht immer so tun, wie sie tun sollten, freut indes den Wiesnbesucher Peter Salchow. Die Maschine in Landshut hat seinen Fünfziger nicht genommen, also ist er umsonst gefahren. 16 Euro gespart, macht anderthalb Mass mehr auf dem Oktoberfest.

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