Nach Attacken durch aggressive Hunde:Leinenzwang für Vierbeiner?

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Braucht München einen Leinenzwang für Hunde? Erst wurde ein zweijähriges Mädchen in Harlaching schwer verletzt. Jetzt wird der nächste Fall bekannt: Ein aggressiver Hund hat einen Jogger attackiert. Doch die Behörden bleiben skeptisch.

Manuela Warkocz

Thomas Hock lebt seit 26 Jahren am Englischen Garten, er joggt dort mehrmals in der Woche. An jenem 26. Februar, einem Sonntag, lief er seine Runde, als nahe dem Mini-Hofbräuhaus - einem beliebten Treff für Hunde und ihre Besitzer - ein Mischling von der Leine gelassen wird. "Der Hund schießt 30, 40 Meter auf mich zu und verbeißt sich wirklich ohne jede Vorwarnung in meine linke Wade, zerfetzt mir dabei die zweifache Hose und die Socke", erzählt Hock. Dann reißt ihm "Lucy" eine tiefe, drei mal sechs Zentimeter große Wunde ins Fleisch. Mit Fotos hat Hock die Verletzung dokumentiert. Wochenlang musste sich der Verletzte mit der schwer entzündeten Wunde behandeln lassen, teilweise war er krank geschrieben.

Dieser Hund hat niemanden angefallen. Aber es gibt durchaus einige aggressive Vierbeiner im Englischen Garten. Jetzt wird ein Leinenzwang diskutiert. (Foto: sz.lokales)

Die Staatsanwaltschaft München I hat jedoch am 10. August die Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen die Halterin eingestellt. Begründung: Der Hund sei bisher nicht auffällig geworden, die Halterin habe daher nicht mit einer derartigen Attacke rechnen müssen, heißt es in dem Schreiben. Bis heute kämpft Hock mit den Folgen der Hundeattacke.

Auch die zweijährige Pauline aus Harlaching leidet immer noch unter den Bissverletzungen, die ihr ein aggressiver Hund im Juni zugefühlt hat. Das Mädchen war von einem Labradormischling angefallen worden, der schon 2011 ein kleines Kind gebissen hatte. Seither der Attacke auf Pauline wird in der Öffentlichkeit mit viel Leidenschaft darüber diskutiert, ob München neue Regeln für den Umgang mit Hunden braucht. So forderten die Eltern von kleinen Kindern, alle Spielplätze im Stadtgebiet einzuzäunen.

Auch der Ruf nach einer generelle Leinenpflicht wurde laut. Die Befürworter des Leinenzwangs begründen dies damit, dass in München fast täglich ein Vorfall mit einem Hund bei der Polizei angezeigt und dem Kreisverwaltungsreferat gemeldet wird. Rund 330 Attacken wurden bei der Behörde im Jahr 2011 registriert, 132 Vorfälle waren es im ersten Halbjahr 2012, bei 31 000 registrierten Hunden. Das Kreisverwaltungsreferat spricht von einer steigenden Tendenz.

Doch die Münchner Lokalpolitiker hielten sich auch nach der Attacke von Harlaching mit Forderungen zurück - offenbar aus Angst vor den Hundebesitzern, wie Thomas Hock glaubt. Auch er hat sich nach der Hundeattacke, ähnlich wie die Eltern von Pauline, an mehrere Stadträte und das Kreisverwaltungsreferat gewandt. Man solle doch die sehr liberale Praxis für Hundebesitzer überdenken, die in München zur Selbstverständlichkeit geworden sei, fordere der Schwabinger.

Der Tenor der Politiker-Antworten: Man würde ja gern etwas tun, aber mit der starken Tierlobby - einer schrieb gar von "Tiermafia" - wolle sich keiner in der Stadt politisch anlegen. Das Kreisverwaltungsreferat teilte dem 50jährige Hobbysportler am Telefon mit, man sei an politische Beschlüsse gebunden, was KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle auch im SZ-Interview betont hat. Wenn der Stadtrat strengere Maßnahmen beschließe, etwa beim Leinenzwang, setze man diese auch um.

Für Hock ist die zögerliche Haltung der Politiker nicht nachvollziehbar. "Stadt und KVR sollten sich mit dieser Problematik souverän auseinandersetzen", wünscht er sich. Immerhin hat das Kreisverwaltungsreferat mit einem Bescheid am 4. Juni auf die Hundeattacke im Englischen Garten reagiert. Die Behörde verfügte, dass der Hund im Stadtgebiet an die Leine zu nehmen ist. Frei dürfe er nur auf großen, übersichtlichen Flächen laufen, mit einem Mindestabstand von fünf Metern zu Joggern.

Aber ein genereller Leinenzwang für alle Hunde? Der Leiter des Englischen Gartens, Thomas Köster, weiß, wie heikel dieses Thema ist. Er hat 2008 vergeblich versucht, die seit Jahrzehnten geltende Leinenpflicht im Englischen Garten auch tatsächlich durchzusetzen - "kombiniert mit Freilaufzonen für Hunde", wie er sagt. Auslöser war, dass zwei Schäferhunde mehrere Schafe gerissen hatten. Ein Gesetzentwurf, um Sanktionen im Park zu verhängen, lag bereits im Landtag. Aber politisch gewollt war er offenbar nicht.

Eine Wunde von drei mal sechs Zentimetern in der Wade: Thomas Hock litt lange unter der Hundeattacke. (Foto: Robert Haas)

Bis heute können im Englischen Garten keine Bußgelder verhängt werden. Köster plädiert jetzt für einen allgemeinen verpflichtenden Hundeführerschein. Ob der daran etwas ändert, dass es im ehemaligen Jagdrevier der bayerischen Fürsten so gut wie kein Wild mehr gibt, weil das meiste von Hunden gejagt wurde? "Die letzten beiden Hasen hier kenne ich praktisch mit Namen", bemerkt der Parkchef trocken.

Thomas Hock jedenfalls hat den Eindruck, dass die Hundebesitzer im Englischen Garten sich zunehmend aggressiv und anmaßend verhielten. Er erlebe im Englischen Garten "seit einiger Zeit, dass das entspannte Miteinander ausgehebelt wird", sagt er. Einige Jogger hätten deswegen inzwischen entnervt aufgegeben, weil sie keine Lust mehr haben, sich "anmachen" zu lassen. Diese Läufer drehten ihre Runden nun lieber auf einer Aschenbahn am Kleinhesseloher See.

Für Hock, der mit Hunden vertraut und bei einer Tierschutzorganisation aktiv ist, geht es um mehr. Er stellt eine provokante Frage: "Muss in München erst ein Kind durch einen Hund getötet werden, bevor was getan wird?" Ein Gedanke, der für ihn nicht so fern liegt: Als Hock im Englischen Garten angefallen wurde, stand direkt hinter ihm ein kleines Kind.

© SZ vom 17.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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