Münchner Stadtrat:Bentele legt ihr Mandat nieder

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  • Die zwölfmalige Paralympics-Siegerin Verena Bentele hat ihr Stadtratsmandat zurückgegeben.
  • Die Doppelbelastung der Arbeit als SPD-Rätin und als Behindertenbeauftragte der Bundesregierung ist ihr zu viel.
  • Bentele und ihre Partei müssen sich nun vorwerfen lassen, die Wähler bewusst in die Irre geführt und nur mit dem Namen der früheren Spitzensportlerin geworben zu haben.

Von Andreas Glas

Die zwölfmalige Paralympics-Gewinnerin Verena Bentele hat einmal in einem Interview offenbart, dass sie "nur zwei Beine, zwei Arme und zwei Gehirnhälften" habe. Sie wollte den Leuten klarmachen, dass auch sie als Spitzensportlerin weder Superkräfte besitzt noch als Kind in einen Kessel Zaubertrank gefallen ist. Aber dass ihre Kräfte reichen, um gleichzeitig Stadträtin und Behindertenbeauftragte der Bundesregierung zu sein - das hatte Bentele schon von sich erwartet. Seit Montag steht fest: Verena Bentele hat sich getäuscht, vielleicht auch überschätzt. Am Montag hat sie ihr Stadtratsmandat zurückgegeben.

"Ich wusste, es wird viel, und ich wusste, es wird nicht leicht", sagt Bentele am Tag ihres Rückzugs. Aber erst im Laufe der Zeit habe sie gemerkt, "wie man in beiden Ämtern wirklich gefordert wird". Meistens 60, manchmal sogar 70 Stunden Arbeit pro Woche mache allein ihr Job für die Bundesregierung, sagt die frühere Biathletin und Skilangläuferin. Zu Jahresbeginn sei ihr dann endgültig klar geworden, dass sie ihrem Stadtratsmandat nicht genug Zeit widmen könne, "um den Wählerinnen und Wählern gerecht zu werden".

Die Doppelbelastung war nicht geplant

Dabei war die Doppelbelastung, an der Bentele nun gescheitert ist, gar nicht geplant. Anfangs war die 32-Jährige nur Listenkandidatin für den Stadtrat - wenn auch keine gewöhnliche. Wegen ihrer sportlichen Erfolge galt sie als prominentes Wahlkampf-Zugpferd einer jüngeren, frischeren SPD. Doch dann, im Januar 2014, holte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die blinde Bentele als Beauftragte der Bundesregierung für Inklusionsfragen nach Berlin. Alexander Reissl, Chef der SPD-Stadtratsfraktion, kommentierte diese Nachricht spontan mit den Worten: "Dann freut sich jemand weiter hinten auf unserer Liste." Er hegte schon damals Zweifel, dass Bentele beide Ämter unter einen Hut bekommen könne. "Frischer Wind ist mir wichtiger als Präsenzkultur", sagte dagegen Dieter Reiter, damals noch OB-Kandidat der SPD, und setzte sich mit dieser Haltung durch. Bentele blieb auf der Liste und wurde mit 181 076 Stimmen in den Stadtrat gewählt - dem viertbesten Ergebnis aller Kandidaten.

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Nun, ein Jahr später, müssen sich Bentele und ihre Partei vorwerfen lassen, die Wähler bewusst in die Irre geführt zu haben. "Ich habe den Eindruck, man hat mit einem prominenten Namen um Wählerstimmen geworben, obwohl klar war, dass sie das Mandat gar nicht ausüben wird", sagt Michael Mattar. Für den FDP-Stadtrat "grenzt es an Wählertäuschung", dass die SPD ihre Kandidatin auf die Liste für die Stadtratswahl gesetzt hat, obwohl es sogar innerhalb der eigenen Partei Zweifel daran gab, dass Bentele der Doppelbelastung gewachsen ist. "Konsequent wäre gewesen, wenn sie von der Liste gegangen wäre."

Vorwurf der Wählertäuschung zurückgewiesen

Auch Grünen-Fraktionschefin Gülseren Demirel klingt wenig überrascht, als sie am Montagmorgen von Benteles Rückzug erfährt. Die Arbeit als Behindertenbeauftragte sei "ja fast wie ein Staatssekretärsposten, ein Fulltime-Job. Wir haben uns von Anfang an gefragt, wie sie das hinkriegen soll."

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SPD-Fraktionschef Reissl weist den Vorwurf der Wählertäuschung zurück. Als seine Partei Bentele auf die Liste gesetzt habe, "hat man ja nicht absehen können, dass sie dann den Job bei Frau Nahles kriegt". Und auf der Liste geblieben sei Bentele "nicht deswegen, um irgendeine prominente Persönlichkeit drauf zu haben, sondern weil sie ein echtes politisches Interesse hat", sagt Reissl.

"Mein Versuch war sehr ernsthaft"

Bentele selbst rechtfertigt sich mit ähnlichen Worten: "Ich bin nicht wegen meinem Bekanntheitsgrad für die SPD angetreten, sondern weil ich mich engagieren wollte und möchte. Ich sehe das nicht als Wählertäuschung." Zwar sei von Anfang an der Gedanke da gewesen, dass ihr die beiden Aufgaben zu viel werden könnten, "aber ich hatte ja beides vorher noch nie gemacht". Deswegen bereue sie nicht, es versucht zu haben. "Und mein Versuch", versichert sie, "war sehr, sehr ernsthaft".

Nun werde sie sich voll und ganz auf ihr Amt als Behindertenbeauftragte der Bundesregierung konzentrieren, sagt Bentele. Der Münchner SPD wolle sie aber "weiter in Frage der Inklusion zur Verfügung stehen". Für Bentele wird nun ein alter Bekannter ins Rathaus nachrücken: Der Haidhauser Haimo Liebich (SPD) war schon von 1990 bis 2014 Mitglied des Stadtrats.

© SZ vom 10.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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