Machtkampf in der Münchner SPD:Rote Skorpione

Alexander Reissl und Dieter Reiter, 2011

Sie nennen sich Genossen, doch Alexander Reissl (links) und Dieter Reiter ertragen sich nur mit viel Selbstdisziplin.

(Foto: Stephan Rumpf)

Zwischen Dieter Reiter und SPD-Fraktionschef Alexander Reissl stimmt die Chemie nicht. Der OB-Kandidat macht längst keinen Hehl mehr daraus, dass er sich einen anderen Vorsitzenden wünscht - doch Reissl will bleiben.

Von Silke Lode

An eine Rolle als Symbolfigur hat Verena Bentele sich längst gewöhnt. Die blinde Biathletin hatte gemeinsam mit der ehemaligen Eisprinzessin Katarina Witt die Münchner Olympia- und Paralympics-Bewerbung in aller Welt repräsentiert. Als Symbol für Integration kämpfte Bentele auch an der Seite von Christian Ude, als der für die SPD in die Landtagswahl zog.

Für Dieter Reiter, den OB-Kandidaten der SPD, soll die 31-Jährige zum Symbol der Erneuerung werden, als prominenter Neuzugang auf der SPD-Stadtratsliste. Eines hat sich Bentele aber sicher nicht so vorgestellt: dass ausgerechnet sie zum Symbol für den parteiinternen Machtkampf werden könnte, der am Ende der Ära Ude irgendwann kommen musste.

Die ersten Schlachten in diesem Kampf wurden längst geschlagen, als es um die Kür des OB-Kandidaten ging. Der Machtkampf hat damit aber erst begonnen, da der große Verlierer, Alexander Reissl, nach wie vor den einflussreichen Posten des Fraktionschefs der Rathaus-SPD innehat und offen dazu steht, dass er diese Aufgabe auch nach der Wahl wieder übernehmen will.

Es knirscht schon länger

Zwischen Reissl und Reiter knirscht es schon länger, auch weil da zwei Typen aufeinandertreffen, die sich gegenseitig nur mit viel Selbstdisziplin ertragen. Reiter schätzt zwar die Fachkompetenz des langjährigen Fraktionschefs, doch der raue Tonfall gegenüber den Grünen und der autoritäre Stil, mit dem Reissl die 33-köpfige Stadtratsfraktion führt, stoßen bei Reiter auf wenig Verständnis.

Schon länger wird im Rathaus darüber gesprochen, dass Reissls Wiederwahl als Fraktionschef keine ausgemachte Sache sei, auch weil Dieter Reiter andere Vorstellungen habe. Neu ist allerdings, dass Reiter inzwischen fast offen an Reissls Stuhl sägt.

Der Auslöser dafür war die Sache mit Verena Bentele. Das Neujahrstreffen der SPD hatte gerade begonnen, als am Mittwochabend die Nachricht eintrudelte, dass Bentele Beauftragte der Bundesregierung für Inklusionsfragen werden soll. Reissl zog daraus den Schluss, dass Benteles Stadtratskarriere damit passé ist: "Dann freut sich jemand weiter hinten auf unserer Liste", so kommentierte er die Neuigkeit.

Viele neue Gesichter

Erneuerungssymbole, auf so etwas könnte Reissl gut verzichten. Nicht aber Dieter Reiter. Die "neuen Ideen", die er sich wünscht, wird es in der künftigen SPD-Fraktion auf jeden Fall geben. Jeder zweite Bewerber auf einem der aussichtsreichen Plätze tritt zum ersten Mal an. Die meisten Namen kennt fast niemand. Über die Qualität der Kandidaten sagt das wenig aus, über ein prominentes Zugpferd wie Bentele freut sich Reiter trotzdem. Stolz zeigt er die SMS, die Bentele ihm gleich nach der Entscheidung in Berlin geschickt hat. "Danke für die Unterstützung", heißt es da sinngemäß. "Sie hat mich gefragt, ob sie das machen soll", erzählt Reiter. Er hat ihr zu dem neuen Amt in Berlin zugeraten. Auf die Idee, dass Bentele deshalb ihre Stadtrats-Kandidatur zurückziehen müsste, kommt er überhaupt nicht.

"Frischer Wind ist mir wichtiger als eine Präsenzkultur", sagt Reiter und schiebt hinterher: "Wenn ich OB bin, entscheide ich so etwas, nicht der Fraktionschef." Und wenn der Fraktionschef ein anderer ist? Da lacht Reiter und macht klar, dass er eine solche Veränderung begrüßen würde. Sein Problem ist eher, dass sich bisher keine Alternative aufdrängt: "Es muss sich auch einer finden, der das machen will", sagt Reiter.

Alexander Reissl steht am anderen Ende des Silbersaals im Deutschen Theater, von dem Gespräch bekommt er nichts mit. Am nächsten Tag schweigt er für einen Moment, als er von Reiters offenen Worten hört. Dann sagt Reissl, er habe schon "von der einen oder anderen Stelle" gehört, dass Reiter sich einen neuen Spitzenmann wünscht. Darüber gesprochen habe man noch nicht. "Am Ende entscheidet das aber die Fraktion", sagt Reissl nur.

Der Konflikt ist nun offen

Und Verena Bentele? Man könne es ja versuchen, meint Reissl. Aber er hat Zweifel, dass die beiden Jobs in Berlin und München sich vereinbaren lassen. Bekanntheit hin oder her: "Im Stadtrat braucht man am Ende seine Mitglieder beim Abstimmen."

Der Konflikt zwischen Reissl und Reiter schwelte bislang im Verborgenen, nun ist er ausgebrochen. Dass dies schon vor der Wahl passiert ist, überrascht kaum, denn es geht um mehr als um zwischenmenschliche Dissonanzen. Es geht nicht einmal um politische Differenzen. Sondern darum, dass auch Reissl für Reiter ein Symbol ist. Quasi der Gegenpol zu Bentele, dem frischen Gesicht. Aufbruchstimmung zu erzeugen, ist für Reiter fast die schwierigste Aufgabe, weil es für ihn so heikel ist, sich vom populären OB Christian Ude zu distanzieren. Reissl, der auch in den eigenen Reihen nicht nur Freunde hat, ist für solche Abgrenzungen ein weit besseres Opfer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: