Münchner Momente:Zwei Kugeln brutto

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Rasenmähen gehört zur politischen Bildung. Da kann der Nachwuchs gleich mal lernen, wie das mit dem Mindestlohn läuft

Von Stephan Handel

Nun, so glauben die meisten Eltern,ist das Schuljahr auch schon fast wieder rum und überstanden, die Schulaufgaben geschrieben, die Versetzung gesichert - nun können es alle langsamer angehen lassen, die Kinder sowieso, denen muss man das nicht extra sagen. Aber auch die Aufsichtspersonen denken, dass sie jetzt nicht mehr ständig herumerziehen müssen, und erinnern sich des alten Spruchs: Kinder sind wie Uhren, man darf sie nicht immer nur aufziehen, man muss sie auch mal gehen lassen.

Das, verehrte Eltern, ist falsch gedacht. Denn nun, da der Sommer vielleicht doch mal angekommen ist, bietet sich mehr als eine Gelegenheit, den Nachwuchs einzuführen in das Leben, wie es ist. Und das hat sehr oft nichts mit dem zu tun, was sie in der Schule lernen. Im Bereich "Politische Bildung" könnte der Sohn zum Beispiel lernen, wie das mit dem Mindestlohn läuft: Natürlich hat er beim Rasenmähen ein Anrecht auf 8,50 Euro die Stunde. Allerdings müssen davon diverse Kosten abgezogen werden, die der Auftraggeber - in diesem Fall also der Vater - zu leisten hat: für die Anschaffung des Rasenmähers, die Stromrechnung, Auslagen für die Unterkunft des Auftragnehmers - also des Sohnes - sowie Ausbildungsinvestitionen, Kilometergeld, Kabelverlängerungsgebühr etc. Kurz gesagt: Mäh' den Rasen und sei froh, wenn du hinterher ein Eis bekommst.

An dem Eis wird sodann die Funktionsweise des Steuersystems demonstriert, indem der Vater gleich mal ein Zehntel davon wegisst. Und gleich noch ein Stück mehr, das ist für die Kranken- und die Rentenversicherung. Auf den Einwand des Sohnes, das sei ungerecht, gibt's die Antwort, das sei Marktwirtschaft, weshalb das nächste Eis auch die Tochter bekommen werde, denn sie sei bereit, den Rasen für nur zwei Kugeln Eis zu mähen, und zwar brutto, was außerdem hilft, die Frauenquote zu erfüllen und die Emanzipation insgesamt voranzutreiben. Im Urlaub am Meer gibt's dann noch eine weitere Lektion in Kapitalismus: mit den Haien schwimmen, ohne gefressen zu werden. Solche lebenswichtigen Sachen nämlich lernen die Kinder in der Schule heutzutage nicht.

© SZ vom 12.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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