Münchner Momente:Porträt in Öl statt Selfie

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Vorsicht, sie kommen wieder, die Menschen mit den Idioten-Zeptern. Ach ließen sie sich doch malen, dann stünden sie der arbeitenden Bevölkerung wenigstens nicht im Weg

Kolumne von Stephan Handel

Keine Illusion - die Nervensägen waren nur kurz drinnen, solange es kalt war. Jetzt aber, wo die Sonne langsam die letzten Schneehaufen von den Straßen leckt, werden sie herauskommen, sie werden die Stadt füllen und der arbeitenden Bevölkerung im Weg stehen. Vor allem aber werden sie ihre Telefone auf Stangen montieren, die nicht zu Unrecht "Idioten-Zepter" heißen, diese Stangen werden sie von sich halten nur zu einem einzigen Zwecke: sich selbst beim Fotografieren zu fotografieren.

Es reicht ja nicht mehr, ein Bild zu haben vom Dom, vom Friedensengel, vom Siegestor. Immer muss zum Beweis der Anwesenheit der Fotograf selbst mit abgebildet sein, und der Name des ganzen, Selfie, deutet schon an, dass es auf Dom, Friedensengel, Siegestor gar nicht so sehr ankommt, solange nur die eigene Nase im Bild ist. Verschwinden wird das unangenehme Phänomen nicht mehr, also bleibt dem denkenden Menschen doch nur, nach Alternativen und Abgrenzungen zu suchen. Und hier sei an die alte Tradition des Porträts erinnert.

Ein Porträt in Öl - das ist bitte etwas anderes als eine doofe Pixel-Datei auf dem Handy. Für ein Gemälde müssen Maler und Gemalter Zeit miteinander verbringen, suchend nach der Persönlichkeit hinter dem Gesicht, ein Werk schaffend, das später gerahmt an der Wand hängt wie bei einem Kaiser oder Bundeskanzler. Die Arbeit des Künstlers hat natürlich ihren Preis, sodass der Inhaber des Porträts zugleich einen erfreulichen finanziellen Status darstellen kann. Das Honorar wiederum hilft dem Künstler mit der Kunst, oder, wie Max Goldt schrieb: Man unterstützt den Mittelstand - in diesem Fall den künstlerischen - am besten, indem man ihm Aufträge erteilt, und nicht, indem man die FDP wählt. Und wenn er Lust hat, der Künstler, dann sei ihm erlaubt, auch noch einen Dom, einen Friedensengel oder ein Siegestor mitzumalen. Auf keinen Fall aber ein Idiotenzepter.

© SZ vom 09.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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