Münchner Momente:Krass, krasser, Feuerbach

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Denken ist wie googeln, nur krasser. Das wenn der Kinateder Heinzi noch erlebt hätte

Kolumne von Stephan Handel

Beim Kinateder Heinze früher im Religionsunterricht, da reichte es, ein Gebet auswendig zu lernen und zuzugeben, dass Homosexualität eine Sünde ist, schon war der Zweier im Zeugnis gesichert. Wahrscheinlich wegen Pisa muss da heutzutage schon mehr verlangt werden, und deshalb hat's der 17-jährige Mitbewohner ein Jahr vor dem Abitur derzeit mit Feuerbach.

Ludwig Feuerbach, 1804-1872, Philosoph und Religionskritiker, Vordenker Nietzsches und der Revolutionäre des Vormärz - aber leider auch einer, der so Sätze schreibt, wie sie ein 17-Jähriger des Jahres 2018 kaum mehr zu lesen bekommt, ganz ohne Zwinker-Smileys und meistens auch noch länger als sieben Wörter: "Gott ist dein höchster Begriff und Verstand, dein höchstes Denkvermögen ... Was ich im Verstande als wesenhaft erkenne, setze ich in Gott als seiend: Gott ist das, was der Verstand als das Höchste denkt. Was ich aber als wesenhaft erkenne, darin offenbart sich das Wesen meines Verstandes, darin zeigt sich die Kraft meines Denkvermögens." Ungefähr alle zehn Minuten steht also nun ein ratloser Schlaks mit dem Buch in der Hand vor dem Erwachsenen und fragt, ob er ihm diesen Satz erklären könne. Der Erwachsene versucht's und jedes Mal wieder schön zu beobachten ist, wie in dem jungen Kopf das Licht des Verstehens erst zu glimmen und dann zu leuchten beginnt. Und, fragt er, wenn ich jetzt aber nicht an einen Gott glaube, heißt das dann, dass ich keinen Verstand habe? Nein, heißt es nicht, aber sag das mal besser nicht dem Religionslehrer. Feuerbach jedenfalls ist nun ein irgendwie schon ganz cooler Typ.

Ist ja wahrscheinlich nicht zu früh, wenn in der 11. Klasse die Erotik des Intellekts entdeckt wird. Der 17-jährige Mitbewohner jedenfalls, ein Jahr vor dem Abitur, erwägt nun den Kauf eines T-Shirts, das er neulich gesehen hat. Auf dem steht: Denken ist wie googeln, nur krasser. Das wenn der Kinateder Heinzi noch erlebt hätte.

© SZ vom 26.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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