Münchner Momente:Glühwein an der Vogue-Bar

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Dem kultivierten Münchner läuft es beim Gedanken an die Holzbuden der Weihnachtsmärkte kalt den Rücken runter. Ein Verlag setzt einen drauf und plant einen Luxus-Markt

Von Wolfgang Görl

Die Vorfreude auf Weihnachten, die meist im Mai oder Juni oder überhaupt nicht einsetzt, wird leider getrübt durch die Gewissheit, dass München zur fraglichen Zeit wieder mit Christkindlmärkten übersät ist. Kultivierten Menschen ist es ein Greuel, auf städtischen Plätzen, auf denen das Leben sonst seinen geregelten Gang geht, mit Holzbuden konfrontiert zu werden, vor denen immer ein Bekannter steht, der einen zum Glühwein einlädt. Der Glühwein ist ein verteufeltes Gesöff, nicht nur, weil er picksüß ist und in der Regel dubiose Zutaten hat. Spätestens nach der dritten Tasse befindet sich der Trinker in einem Zustand, in dem er jeden noch so wurmstichigen Bratapfel als köstlich empfindet und mit dem Weihnachtsmann, der schon bei der fünften Tasse ist, ein Gesangsduett hinlegt, erst "Stille Nacht", dann "Schnaps, das war sein letztes Wort". Am folgenden Morgen hat man nicht nur einen dicken Kopf, sondern auch noch ein Arsenal an Tand und Kitsch, das einen die Christkindlmarktleute angedreht haben, nicht ohne die Beteuerung, es handle sich um handgeschnitzte Kunstwerke böhmischer Einsiedler oder Andechser Wandermönche. Wenn sie wenigstens das Etikett "Made in China" beseitigt hätten!

Dass derlei niveaulose Volksbelustigungen nicht das letzte Wort sein müssen, zeigt jetzt der Condé Nast Verlag. Das Unternehmen, das Zeitschriften im Premiumsegment herausgibt - Friseurkunden kennen sie - , möchte an seinem deutschen Sitz in der Münchner Karlstraße einen Luxus-Weihnachtsmarkt veranstalten. Wie man hört, soll es nicht nur eine Schminkstation für die Dame und den Nikolaus von Welt geben, sondern auch eine Eislaufbahn sowie die "Vogue-Bar", eine Trinkstätte im Premiumsegment. Wo, wenn nicht an der Vogue-Bar, wird der Geist des Weihnachtfests offenbar? Erst ein Gläschen Champagner, dann ein Tässchen Glühwein auf Baron-de-Rothschild-Basis - das hat Stil, und gottgefällig ist es obendrein. Man soll doch an Weihnachten großzügig sein und auch mal an sich selbst denken.

© SZ vom 17.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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