Münchner Momente:Brauchtum pragmatisch

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Es ist schön, wenn die Dorf- oder Stadtteilgemeinschaften zusammenhalten und miteinander etwas auf die Beine stellen - und wenn es ein arg kurz geratener Maibaum ist

Von Stephan Handel

Von allen holzhaltigen Traditionen Bayerns ist neben dem Christ- der Maibaum die wichtigste: Fruchtbarkeits- und Marienritual, zudem ein Anlass für eine gehörige Feier im Dorf, und zuvor gibt's auch schon eine Gaudi, wenn's ums Maibaumstehlen geht, denn da steht die Ehre des Dorfes auf dem Spiel. Respektive des Stadtteils, denn auch in der Metropole entsinnen sich wieder Menschen des gemeinschaftsstiftenden Brauchtums - wer etwas zusammen mit anderen tut, macht sie zu Freunden.

Termin ist natürlich der 1. Mai, und tatsächlich war im Münchner Umland am vergangenen Freitag fast kein Durchkommen, aber nicht wegen Bahnstreik, sondern wegen Maibaumaufstellen. Dorfdurchfahrten waren gesperrt, und die Kinder der Gemeinde spielten Dobrindt beziehungsweise Raubritter und verlangten Maut von jedem, der passieren wollte. Hinter den Absperrungen rauchten die Grills, schäumten die Masskrüge, und man hätte glauben können, dass sich Bauersleute und Dienstboten besonders sauber hergerichtet haben für den Feiertag, aber so ist es ja schon lange nicht mehr: Zum Arbeiten gehen die meisten ja nicht mehr über den Hof in den Stall, sie fahren vielmehr mit der S-Bahn in die Stadt und abends wieder heim. Umso besser, dass die Dorfgemeinschaften zusammenhalten und miteinander etwas auf die Beine stellen.

Bei diesem Thema allerdings muss eingewendet werden, dass beim Aufstellen einiges im Argen liegt. Es gehört zur Sitte, dass der Baum von den Burschen des Dorfes - für Menschen mit preußischem Migrationshintergrund: die unverheirateten jungen Männer - mithilfe sogenannter Scharstangen in die Höhe gewuchtet wird, was nicht geringe Muskelkraft - bairisch: Irxenschmalz - erfordert, denn so ein 30 Meter hoher Baum bringt es leicht auf ein paar Tonnen Gewicht. Dass das nicht ganz ungefährlich ist, zeigte sich in Hochstadt im Landkreis Starnberg. Dort ist den Burschen der regennasse Stamm ausgekommen; er krachte zu Boden und brach. Die Hochstadter machten das Beste daraus, stellten ein drei Meter hohes Teilstück in das vorbereitete Loch und rühmen sich jetzt des kürzesten Maibaums Bayerns.

Aber versucht haben sie's wenigstens! Und können deshalb immer noch mehr Stolz empfinden als andere, die ihren Baum von Kränen, Bulldogs oder Radladern aufstellen lassen. Das gehört sich nicht, sagt der Bayer, und fraglich ist, ob ein solcher maschinell aufgestellter Maibaum die gleiche Wirkung entfalten kann wie ein von Hand errichteter, sei's bei der Fruchtbarkeit, sei's beim Segen Marias.

© SZ vom 05.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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