Münchner Justiz ermittelt:Wie im Fall Demjanjuk

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John K. soll als Hilfspolizist in Lemberg Juden erschossen haben. Münchner Ermittler prüfen die Anklage gegen den gebürtigen Ukrainer, der nach dem Krieg in Sendling gelebt hat.

Alexander Krug

Münchens Strafjustiz steht ein weiterer langwieriger Kriegsverbrecher-Prozess bevor. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt seit kurzem gegen den ehemaligen ukrainischen Hilfspolizisten John K. wegen Mordes.

Der 88 Jahre alte gebürtige Ukrainer soll 1942 im besetzten Lemberg als "Hilfspolizist" der Deutschen mindestens einen Juden erschossen haben. Den hiesigen Anklägern wurde der Fall zugeteilt, weil John K. nach dem Krieg für einige Jahre in Sendling lebte, bevor er 1949 in die USA auswanderte.

Der Fall K. weist einige Parallelen zum Fall John Demjanjuk auf, der sich seit dem 30. November vorigen Jahres vor dem Schwurgericht München II wegen Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden verantworten muss. Beide sind Ukrainer, beide sollen im Krieg auf deutscher Seite an Mordaktionen gegen Juden teilgenommen haben, beide suchten später ihr Heil in den USA und änderten ihre Vornamen von Iwan in John.

Bereits Anfang der achtziger Jahre geriet K. in seiner neuen Heimat wegen möglicher falscher Angaben bei der Einbürgerung ins Visier der Behörden. 2007 wurde ihm schließlich die US-Staatsbürgerschaft aberkannt, seither ist er wie Demjanjuk staatenlos.

Die für NS-Verbrechen zuständige Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg bekam den Fall im Sommer vorigen Jahres auf den Tisch. Sie leitete ihren Abschlussbericht jetzt an die Münchner Ankläger weiter.

Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen wurde John K. 1921 in Polen geboren, wo er zur ukrainischen Minderheit gehörte. Über seinen weiteren Lebensweg ist bislang wenig bekannt.

Als 20-Jähriger soll er sich nach der Besetzung Lembergs (heute Lwiw) durch die Deutschen freiwillig als "ukrainischer Hilfspolizist" gemeldet haben. Über diese Hilfsverbände ist in der historischen Forschung noch relativ wenig bekannt, sie sollen einen nicht unerheblichen Anteil an der Judenverfolgung gehabt haben.

In Lemberg wurden ab März 1942 Tausende Juden zusammengetrieben, um sie in das Vernichtungslager Belzec nahe Lublin zu deportieren.

Von den schätzungsweise 120.000 Juden Lembergs überlebten nur wenige. Die Ankläger stützen sich vor allem auf einige handschriftliche Notizzettel, die Anfang der neunziger Jahre von amerikanischen Fahndern in russischen Archiven entdeckt wurden. Auf ihnen soll K. als Angehöriger des "5. Kommissariats der ukrainischen Polizei" Auskunft über die Verwendung von Munition gegeben haben.

Mit Datum vom 14. August 1942 schreibt K., dass er gegen 19 Uhr die "Waffe eingesetzt und vier Stück Munition" verwendet habe, "wobei ich eine Person verletzt und eine getötet habe". Von diesen Zetteln mit K.s angeblicher Unterschrift soll es mehrere geben, ist aus der Zentralstelle in Ludwigsburg zu erfahren. Seine Einheit soll demnach an mehreren Einsätzen gegen Juden beteiligt gewesen sein. Über Namen möglicher Opfer ist nichts bekannt.

Der Beschuldigte bestreitet die Vorwürfe entschieden. Im Gespräch mit einem amerikanischen Journalisten, der ihn im Sommer vorigen Jahres an seinem Wohnort in Troy im Bundesstaat Michigan aufsuchte, räumte er zwar ein, im Krieg ukrainischer Polizist gewesen zu sein.

Mit den Tötungen habe er aber nichts zu tun, beteuerte er damals unter Tränen. Er lebe seit sechs Jahrzehnten in den USA und habe stets seine Steuern bezahlt. Dass man ihn nun als alten Mann abschieben wolle, sei fürchterlich.

Nach dem Krieg lebte K. zunächst in einem Flüchtlingslager bei Fürstenfeldbruck, später zog er nach Sendling, wo er als "Zivilarbeiter" registriert gewesen sein soll. Sollte es tatsächlich zu einem Prozess kommen, wäre demnach das Schwurgericht München I zuständig.

Bis dahin ist es allerdings noch ein langer Weg. K. hat gegen seine Ausbürgerung Einspruch eingelegt, der Fall ist derzeit bei einem US-Berufungsgericht anhängig. Mit einer endgültigen Entscheidung wird nicht vor dem Sommer gerechnet.

In München prüfen die Ankläger der für NS-Verbrechen zuständigen Abteilung jetzt, ob die Beweise für einen Haftbefehl und eine spätere Mordanklage ausreichen. Nach derzeitigem Stand scheint ein dringender Tatverdacht gegeben.

Das weitere Prozedere könnte dann wie im Fall John Demjanjuk ablaufen: Nach der Ausstellung eines Haftbefehls muss in Berlin darüber entschieden werden, ob K. in Deutschland aufgenommen wird. Seine Abschiebung aus Amerika wäre dann nur noch eine Frage der Zeit.

© SZ vom 27.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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