München:Gegen das Gift der Vorurteile

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Reiner Schübel ist einer der Vorsitzenden der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Vor 70 Jahren gründeten Münchner die erste Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Nach amerikanischem Vorbild setzt sie sich für Verständigung ein

Von Jakob Wetzel

Am Anfang war der Judenhass. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen zahlreiche Vertriebene und Heimatlose, darunter auch viele Juden, in das zerbombte München - und dort zeigte sich, wie wenig das Vergangene in Wirklichkeit vergangen war. Die Stadt bevorzugte Nazi-Opfer bei der Zuweisung von Wohnraum. Daraufhin wurden antisemitische Proteste laut, es gab judenfeindliche Übergriffe, Gräber wurden geschändet. Die deutschen Behörden waren alarmiert, ebenso die US-amerikanische Militärregierung. Und so gründeten auf deren Drängen hin Vertreter der Münchner Zivilgesellschaft um den katholischen Oberbürgermeister, einen evangelischen Journalisten und einen jüdischen Arzt die erste Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ).

Das war am 9. Juli 1948. An diesem Montag feiert diese Gesellschaft mit einem Festakt im Sophiensaal an der Sophienstraße Geburtstag. Seit 70 Jahren setzt sie sich für ein friedliches Miteinander und für die Verständigung ein sowie gegen die "Vorurteile, welche die religiösen, politischen und wirtschaftlichen Beziehungen vergiften", so steht es auf ihrem ältesten Faltblatt. Anfangs war die Münchner GCJZ die einzige ihrer Art in Deutschland, mittlerweile gibt es mehr als 80, die zusammen eine große Bürgerinitiative bilden. In den vergangenen Jahrzehnten hätten sie auch viel bewegt, sagt Reiner Schübel von der evangelischen Landeskirche; er ist derzeit einer der Vorsitzenden der Münchner GCJZ. Ihr Anliegen aber sei drängend wie eh und je.

Schübel lädt in sein aufgeräumtes Büro im evangelischen Landeskirchenamt an der Katharina-von-Bora-Straße. Einziger Wandschmuck sind zwei hebräische Drucke mit Zeilen aus dem Alten Testament. Er habe sie aus Israel mitgebracht, erzählt Schübel; dort habe er vor fast 30 Jahren einmal an einer Schule gearbeitet. Der Einsatz gegen Antisemitismus sei so ein Lebensthema für ihn, sagt der 53-Jährige. Seit 2010 leitet er nun die Münchner GCJZ mit ihren derzeit etwa 450 Mitgliedern.

Dass die erste GCJZ gerade in München gegründet wurde, ist kein Zufall. Die USA sahen die Gesellschaften als Teil ihres Plans, die Deutschen zu Demokraten zu erziehen: Sie waren eine Form der Entnazifizierung, die nach vorne blicken sollte, auf das künftige Miteinander. Und in der Region um München waren nach 1945 die antisemitischen Ausfälle besonders heftig gewesen. Judenfeindliche Einstellungen waren hier laut einer Umfrage der Besatzer weiter verbreitet als in anderen Städten der US-Zone. Und als ehemalige "Hauptstadt der Bewegung" der Nazis war München noch dazu ein Ort mit Symbolkraft.

Vorbild der GCJZ war eine ähnliche Initiative in den USA, der "International Council of Christians and Jews". "In den USA haben sie die Erfahrung gemacht, dass Begegnung, Austausch und Gespräch die besten Mittel gegen Antisemitismus und rassistische Vorurteile sind", sagt Reiner Schübel. Und so agierten auch die Gesellschaften in Deutschland: Sie organisierten Gesprächskreise und interreligiöse Treffen, Vorträge, Lesungen, Konzerte und Seminare. Öffentlich wahrgenommen wurden dabei vor allem die jährlichen "Wochen der Brüderlichkeit", die erste fand im Februar 1951 statt, wiederum in München.

Dabei ging es anfangs vor allem um ein vorsichtiges Annähern; Münchner Juden scheuten Kontakte zu den mutmaßlichen Tätern nebenan. Der GCJZ habe geholfen, dass es von Beginn an je drei Vorsitzende gab, einen jüdischen, einen evangelischen und einen katholischen, sagt Schübel. Der erste jüdische Vorsitzende, Julius Spanier, war auch Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde. So war die jüdische Gemeinde trotz aller Vorbehalte dabei.

Umgekehrt aber waren viele Deutsche noch kaum dazu bereit, die Vergangenheit aufzuarbeiten und sich mit judenfeindlichen Stereotypen zu befassen. Die GCJZ nahm darauf offenbar Rücksicht. Das Programm der ersten "Woche der Brüderlichkeit" orientierte sich an allgemeinen Fragen der Mitmenschlichkeit, ein ganzer Tag war etwa den Problemen der deutschen Flüchtlinge aus den früheren Ostgebieten gewidmet. Ein Lichtbildvortrag zeigte den Strukturwandel durch die Zuwanderung, ein Chor des Schlesier-Vereins München sang Heimatlieder. Dem Holocaust dagegen war kein Abend gewidmet.

Diese Scheu ist mit der Zeit jedoch verschwunden. Die Gesellschaften wirkten unmittelbar politisch: Sie hätten sich öffentlich gegen antisemitische oder rassistische Äußerungen gestellt, sagt Schübel. Sie setzten sich auch etwa 1964 für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel ein, und sie kämpften gegen judenfeindliche Textpassagen in Schulbüchern oder auch im Oberammergauer Passionsspiel.

In Zukunft wolle sich die GCJZ verstärkt um Jugendliche kümmern, sagt Schübel. Es sind neue Formate geplant, etwa ein "interreligiöses Nachtcafé", das im Herbst beginnen und gezielt Jüngere ansprechen soll. Er denkt aber auch an Schulbücher, in denen ein zuweilen einseitiges Bild von Israel vermittelt wird; gerade in Zeiten, in denen Antisemitismus unter dem Deckmantel des Antizionismus auftrete, sei das problematisch.

Den zunehmenden Antisemitismus sieht Schübel mit Sorge. Für seine Kirche befasst er sich mit Rechtsextremisten und ihren Netzwerken, von deutschen Neonazis bis hin zu Rechtspopulisten im Ausland; zuletzt hat er ein Handlungskonzept der Kirche gegen Rechts mit auf den Weg gebracht. "Ich glaube, dass die Mehrheit der Gesellschaft guten Willens ist", sagt er. Doch es gebe Milieus, in denen hielten sich hartnäckig antisemitische Vorurteile, "und die sind einfach nicht wegzukriegen". So habe auch die GCJZ noch viel zu tun, sagt Schübel: "Wir machen weiter. Wir wollen aufklären im besten Sinne - und die beste Weise, Vorurteilen zu begegnen, ist, miteinander ins Gespräch zu kommen."

© SZ vom 09.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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