München:Die letzte Vorstellung

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Für den Abschied von Johan Simons, Intendant der Kammerspiele, hat Kulturreferent Hans-Georg Küppers (links) ein paar Sätze Holländisch gelernt. (Foto: Robert Haas)

Die Stimmung beim Abschied von Johan Simons ist nicht geprägt von Jammerei, sondern vom Glück, die fünf Jahre in den Kammerspielen erlebt zu haben

Von Egbert Tholl

Am Morgen danach erwacht man nicht mit rot-geweinten Augen. Das verblüfft. Denn sollte man ein Mensch sein, der zu Sentimentalität neigt, dann wäre dies doch ein wunderbarer Anlass gewesen. Johan Simons verlässt die Münchner Kammerspiele, genauer gesagt: Jetzt ist er schon weg. Am Samstag war die letzte Vorstellung unter seiner Intendanz, seine eigene Inszenierung von Joseph Roths Roman "Hiob". Und da nun die fünf Jahre Simons vorbei sind, ist man traurig. Aber an diesem Abend fühlt es sich anders an. Und das ist richtig so.

Die Kammerspiele feiern. Die letzte Vorstellung mündet in ein grandioses Theaterfest, die Werkstätten, das Blaue Haus und auch der Innenhof sind überfüllt. Und die Stimmung, die hier herrscht, ist nicht geprägt von Ende, Abschied, Jammerei, sondern vom Glück, die fünf Jahre erlebt zu haben.

Auf einmal ist man nicht einmal mehr erzürnt, dass Simons, der Blödmann, nicht länger bleibt. Auf einmal freut man sich einfach, dass es so schön war mit ihm in München. Auch wenn natürlich, und das ist Theater, nicht alles geklappt hat. Aber selbst wenn dies, selten genug, geschah, so befand man sich doch noch in der Niederlage auf höchstem Niveau. Außerdem gehört es ja zum Lustigsten am sich Erinnern an Theateraufführungen generell, wenn einem ein ganz wüstes Erlebnis einfällt. Doch da das Gedächtnis ein Schelm und Simons voller Charme ist, kommen einem aus den fünf Jahren ohnehin nur wunderbare Erlebnisse in den Sinn. Wobei es auch schon wieder interessant ist, dass bei den vielen Gesprächen, die man an diesem vor Menschen überbordenden Abend führt, kaum zwei Leute die gleiche Lieblingsinszenierung nennen.

Irgendwie denkt man sich schon, so schön wird es nicht wieder. Aber gleichzeitig denkt man sich auch, man muss die Zeit einfach nehmen wie eine längst vergangene Liebe, die - als sie währte - wunderschön war, der aber auch andere schöne folgten. Während man sich solche Sachen denkt, tobt um einen herum ein Geschnatter, das es unmöglich macht, mitzubekommen, dass Simons gerade in der Schreinerei eine Rede hält. Dann kommt er heraus, sichtlich bewegt, ja mitgenommen, borgt sich eine Zigarette und meint: "Wenn man so einen Abschied jeden Tag erleben würde, wäre man nach einer Woche tot." Das Bemerkenswerte an Simons' Abschied ist ja, dass er am liebsten bliebe - wenn es da nicht den Vertrag mit der Ruhrtriennale gäbe -, die Schauspieler mit ihm am liebsten weiterarbeiten würden, die Stadt ihn noch gerne ein bisschen behalten hätte - und das Publikum auch. Was die Stadt betrifft, so gab sich Kulturreferent Hans-Georg Küppers richtig Mühe und lernte ein paar Sätze Holländisch, die ihm George Podt, Intendant der Schauburg, beibrachte. Mit Erfolg offenbar. Jedenfalls meint Simons, er habe die Worte verstanden.

Holländisch hat es zuvor schon gegeben. Erst einmal ist der Schlussapplaus ein recht normaler, die "Hiob"-Darsteller werden gefeiert. Dann holen diese Johan Simons auf die Bühne, das Publikum springt auf. Schließlich kommen alle Schauspieler der Kammerspiele auf die Bühne, dazu einige Mitarbeiter, unten wird geklatscht, oben wird geklatscht, übers Portal wird erst "Servus Johan" und dann "Tot ziens Johan" projiziert, Simons geht nach ganz vorne an die Rampe und sagt: "Ich möchte allen von Herzen danken." Schwer ist seine Stimme, von Tränen belegt, auch manch einer auf der Bühne hat um Fassung zu ringen. Diese Dankbarkeit der Theaterleute, dass das, was sie in den vergangenen Jahren gemacht haben, eine große Wertschätzung durch das Publikum erfahren hat, ist ein ganz wichtiger Aspekt des Simons-Theaters. Man kann viel über sein spartenübergreifendes Denken, die Internationalität seines Theaterbegriffs nachdenken. Doch sollte man nie die menschliche, zutiefst humane Kraft seines Theaters außer Acht lassen, die Würde.

Danach spielen diverse Bands, manche klingen, alles hätten sich die Mitarbeiter der Schlosserei die Instrumente selbst gebastelt, dann singt Wiebke Puls zusammen mit Stefan Merki einen langen, eigentümlich fröhlichen Blues. Puls und Merki bleiben, und nun beschreiben sie, dass es nur ein paar Stunden Zugfahrt sind, nach Hamburg, Berlin, Zürich oder Leipzig, wohin manche Kollegen nun entschwinden: "Wir werden uns sehen, Ihr wisst, wo wir sind."

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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