Moosach:Wiedersehen mit Herz

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Von Brighton nach Moosach: Nach 1500 Kilometern auf dem Fahrrad kommen Tanja Schmidt und Jon Sklar zu Hause an

Von Margarethe Gallersdörfer, Moosach

Das Schöne an einer Großfamilie ist doch, dass man sich bei festlichen Anlässen auch mal daneben benehmen darf. Da ist Tanja Schmidt 19 Tage unterwegs gewesen, hat gemeinsam mit ihrem Freund Jonathan Sklar mehr als 1500 Kilometer heruntergespult auf ihrer Radtour von Brighton in England nach Moosach in Bayern. Und was macht die Familie? Duscht sie mit Sekt ab, fragt, warum die Medaille, die Jon ihr umhängt, kein Ring sei und möchte Schmidts schmerzendes Hinterteil begutachten - "sieht doch bestimmt lustig aus!" Schmidt wehrt sich lachend.

Ein bisschen Erdung ist vielleicht gar nicht schlecht: Schmidt und Sklar sitzen am Samstagnachmittag ein wenig überwältigt auf einer der Bierbänke, die die Familie in der Garageneinfahrt von Schmidts Großeltern aufgebaut hat. "Ich kann es noch gar nicht fassen", sagt Tanja Schmidt. Winkend und strahlend ist das Paar kurz zuvor in die Siegmund-Schacky-Straße eingebogen, von Schmidts Familie empfangen mit Jubel und Herz-Luftballons.

Die Herzen stehen, ganz kitschig, für Liebe - aber auch für das echte, menschliche Herz, das Tanja Schmidt zu dieser Tour motiviert hat: das von Klaus Leipe, ihrem Opa, der jetzt glücklich mitten im Trubel steht. Er ist schwer herzkrank, hat einen Schrittmacher und musste unzählige Operationen über sich ergehen lassen. Seine Enkelin Tanja Schmidt, 27 Jahre alt, lebt zwar seit sechs Jahren in England, aber ihr Opa bleibt für sie, die ohne Vater aufgewachsen ist, ihr "Hero". Gemeinsam mit der Oma und der Mutter hat er sie aufgezogen. Noch heute ruft sie ihn jedes Wochenende an, ist drei- bis viermal im Jahr zu Besuch bei der Familie in Moosach.

Die letzten Meter auf dem Fahrrad: Die ganze Familie hat sich am Samstag versammelt, um Tanja Schmidt und Jon Sklar zu begrüßen. (Foto: Stephan Rumpf)

Im vergangenen Jahr war es einmal knapp für Leipe, Schmidt setzte sich ins Flugzeug, um sich zu verabschieden. Doch die Familie hatte Glück, Klaus Leipe durfte wieder nach Hause. Und hat seinen Schalk nicht verloren: Als die Enkelin ihm erzählte, dass sie sich in England nach Jahren mal wieder ein Fahrrad besorgt habe, fragte er sie, wann sie denn mal heimradeln wolle. Da war die Idee geboren: Eine Radtour mit Jon, wegen dem Schmidt nach England gezogen ist, von Brighton nach Moosach. Um den Opa stolz zu machen, der selbst ein begeisterter Radfahrer ist, sich wegen seine Krankheit aber nicht mehr anstrengen darf. Und auch für den guten Zweck: Auf einer Spendenseite hat Schmidt ihr Projekt vorgestellt und um Spenden für die "British Heart Foundation" gebeten. Ihr Spendenziel von 500 Pfund ist schon weit übertroffen worden, mehr als 1000 Pfund sind zusammengekommen. Und angekommen sind sie jetzt auch.

"Es war viel härter, als wir gedacht haben", erzählt sie bei Leberkäs und Kartoffelsalat - ihr Wunschessen, zubereitet von Oma Sonja. Der Regen, die Kälte, ein Sturz, die Anstrengung, die Gliederschmerzen und nicht zu vergessen die Tatsache, dass Jon neunmal einen Platten hatte: So eine lange Tour würden sie wohl nicht noch einmal machen, gibt Schmidt zu. Ihren Opa wundert das nicht: Seine Freude am Radfahren hat er seiner Enkelin nie ganz vermitteln können. "Es ist immer ein Erlebnis, man ist frei, man sieht viel, man kommt ein bissel weiter", schwärmt er von seinen eigenen Ausflügen. Nach Starnberg, zum Ammersee oder zum Tegernsee ist er oft mit dem Rad gefahren. Er erinnert sich noch, wie er seine Enkelinnen einmal mit auf große Tour nahm, von München nach Wien auf dem Donauradweg: "Schon am Stiglmaierplatz hat die Tanja von hinten gerufen: ,Opa, wann machen wir endlich Pause?'" So wie Schmidt ihn jetzt angrinst, erzählt er die Anekdote nicht zum ersten Mal. Doch als er gehört hat, dass sie ihm zu Ehren nach Moosach radeln würde, hatte er keinen Zweifel, dass sie es durchziehen würde. "Ich war mir hundertprozentig sicher", sagt er. "Wenn die Tanja sagt, sie macht das, dann macht sie das auch. Sie ist zu stur um aufzugeben."

Klaus Leipe ist stolz auf seine Enkelin: Ihm zu Ehren ist sie mehr als 1500 Kilometer geradelt. (Foto: Stephan Rumpf)

1547 Kilometer sind sie letztendlich gefahren; gerechnet hatten sie mit 1200, aber wie sich herausstellt, kann man mit Google Maps nicht alles kilometergenau berechnen. 19 Tage waren sie unterwegs, nur zweimal haben sie Rasttage ("Resttage", wie Schmidt sie auf Denglisch nennt) eingelegt: Einmal, um sich bei Schmidts Freund Jimmy in Luxemburg ein wenig auszuruhen und Wäsche zu waschen. Und einmal, um sich im Europapark in Rust für die Strapazen zu belohnen. "Es war voll geil", erzählt Schmidt mit blitzenden Augen.

Aber auch das Radln hatte seine guten Seiten: Schmidt schwärmt von der Landschaft in Frankreich und von der Nettigkeit der Menschen, denen Jon und sie begegnet sind. Sie haben viel Hilfsbereitschaft erfahren: Menschen, die sie spontan zu sich eingeladen haben, die ihnen beim reparieren der Fahrräder geholfen haben, einfach so, weil sie es toll fanden, was die beiden sich vorgenommen hatten.

Aber jetzt ist erst mal wieder Familienzeit: Schon in der Nacht vor der letzten Etappe haben Schmidt und Sklar bei Schmidts Schwester Karin in Fürstenfeldbruck übernachtet. "Wie im Hotel!", sagt Schmidt begeistert. Tja - im Hotel muss bezahlt werden. Ihre Schwester beugt sich grinsend über ihre Schulter und sagt: "Ich habe euch dann übrigens am Mittwoch zum Babysitten eingeplant! Ich will auf die Wiesn." Tanja Schmidt lacht, ihre Lieben sollen die Zeit mit ihr ruhig ausnutzen. Denn schon am fünften Oktober machen sich Jon und sie auf ihre nächste Abenteuerreise, sieben Monate durch Asien. Nur eins ist klar: Die Räder bleiben in Moosach.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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