Moosach:Ausflug trotz Hindernissen

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Ein Projekt des Museumspädagogischen Zentrums, der Seniorenvertretung und des Pflegeheims an der Baubergerstraße in Moosach ermöglicht behinderten Bewohnern den Besuch von Museen und Ausstellungen

Von Anita Naujokat, Moosach

Heike Kruse ist immer für einen Schnappschuss zu haben. Die 69-Jährige fotografiert für ihr Leben gern. Und da ist der Ausflug ins Schloss Nymphenburg für die ehemalige Musiklehrerin eine spannende Möglichkeit, auf den Auslöser zu drücken. Immer wieder setzt sie sich mit ihrem Gehwagen von den anderen ab, um in aller Ruhe neue Motive zu finden.

Heike Kruse, Ludwig Anracher, Asta Geißler, Klaus-Christian Pietrowski und Mirjana Heckl leben im Moosacher Pflegezentrum an der Baubergerstraße und haben nicht jeden Tag die Gelegenheit, Kultur und Kunst außerhalb der eigenen vier Wände zu genießen oder unter Menschen zu kommen. Alle fünf sind entweder auf den Rollstuhl oder den Rollator angewiesen - und bei Ausflügen dieser Art auch auf Mobilität und Betreuer. Das alles ermöglicht ihnen und den anderen Heimbewohnern ein Projekt des Museumspädagogischen Zentrums (MPZ), der Seniorenvertretung und des Moosacher Pflegeheims, das in dieser Kombination in München bisher einmalig sei, sagt Anne Kexel. Das MPZ stellt die Führung durch Museen und Ausstellungen zur Verfügung, das Pflegezentrum unter Leitung von Anatol Becker finanziert die Fahrten, und das jeweilige Museum stiftet den Eintritt.

Die Idee haben Anne Kexel, Mitglied der Seniorenvertretung Moosach und des Fachausschusses "Bildung und Kultur" des Seniorenbeirats der Landeshauptstadt München, und der Leiter des MPZ, Josef Kirmeier, entwickelt. Immer wieder habe man die Frage erörtert, wie man auf kulturellem Sektor für Senioren mehr tun könne, sagt Kexel. Der Seniorenbeirat testete zunächst etliche Häuser auf ihre Behindertentauglichkeit. Dann gingen Kirmeier und Kexel in die Praxis. Das war vor eineinhalb Jahren. Seitdem haben die Heimbewohner jeden Monat das Stadtmuseum oder verschiedene Abteilungen des Bayerischen Nationalmuseums besucht.

Vorfreude auf den Schlossbesuch: Anne Kexel (Mitte) vom Seniorenbeirat stimmt die Gruppe mit historischem Material auf die Führung ein. (Foto: Catherina Hess)

Schloss Nymphenburg war ein Wunschziel der Moosacher, aber als es endlich so weit war und sie schon auf der Straße warteten, fiel ausgerechnet da von einer Minute auf die andere der Fahrdienst aus. Womöglich hätte man auf den Ausflug ganz verzichten müssen, wären nicht Heim und andere Akteure aus dem sozialen Netz im Stadtbezirk so gut miteinander vernetzt. Innerhalb kürzester Zeit hatten die stellvertretende Einrichtungsleiterin Franziska Lederle und Bettina Kerscher als Ersatz einen Bus des Bayerischen Roten Kreuzes organisiert. Und mit Kerscher war auch eine Fahrerin vorhanden. Die im Heim tätige Ergotherapeutin in der sozialen Betreuung ist zugleich ehrenamtliche Sanitäterin im BRK-Bereich West 1, der für Moosach und Gern zuständig ist. Schon ihr Opa war Bereitschaftsleiter von West 1. Auch Franziska Lederle ist als Mitglied bei der Feuerwehr und im Faschingsklub, der jedes Jahr einmal mit ganzer Entourage im Heim auftritt, eng im Stadtbezirk verankert. Der Ausflug war also gerettet, und das freute Anne Kexel: "Diese Mädchen sind genial."

Im Schloss dann ist Kexel empört. 50 Euro Eintritt sollen die fünf Heimbewohner und die fünf professionellen und ehrenamtlichen Betreuer bezahlen, da hilft kein Diskutieren, auch die Führerin vom MPZ kann nichts ausrichten. "Das ist das erste Mal, dass von uns Eintritt verlangt wird", sagt Anne Kexel. Für die Lehrerin im Ruhestand ein Unding. Wenigstens verlangt der Kassier für die gewährte Ermäßigung nicht noch die Behindertenausweise. Inmitten der Pracht im Festsaal und im südlichen Flügel des Schlosses ist die Aufregung unter den Heimbewohnern aber schnell vergessen. Asta Geißler, 86, macht sich im Schlafzimmer der Königin, wo Märchenkönig Ludwig II. geboren wurde, schon Gedanken darüber, ob an dem Tisch auch Kaffee getrunken worden sei. Und fast alle treibt die Frage um, warum die Betten damals so kurz gewesen und wie man bei deren Höhe überhaupt hineingekommen sei.

Staunen im Saal: Heike Kruse (re.) lässt sich kein Motiv entgehen. (Foto: J. Kexel)

Ludwig Anracher, 77, sieht zum ersten Mal das Schloss von innen. Obwohl er ein alter Münchner sei und sich in den vergangenen Jahren schon viele Königsschlösser angesehen habe - "hier herin war ich noch nie". Seit einem Schlaganfall sitzt der gelernte Pflasterer im Rollstuhl. Für ihn ist es sein zweiter Ausflug im Projekt, und er wolle auch künftig wieder mitkommen. "Das ist immer zum Überlegen", sagt er.

Rose und Regenschirm sicher am Rollstuhl befestigt, schiebt sich Klaus-Christian Pietrowski durch die Gänge, umgeben von Stimmengewirr und Touristen aus aller Welt. Mit 54 Jahren ist er der mit Abstand Jüngste in der Gruppe. Später sinniert er mit Blick auf den Schlossgarten darüber, wie viel Geld wohl in Bau und Ausstattung des Schlosses geflossen sei. "Das kann man heute gar nicht mehr zahlen." Heike Kruse hat sich zum Fotografieren an eine der Statuen im Schlossgarten zurückgezogen. Als die anderen näherkommen, sucht sie sich die nächste ruhige Ecke.

Anne Kexel möchte das Projekt gerne auch auf andere Heime ausdehnen. Und plant schon das nächste: Zusätzlich zu den Besuchen in Museen und Ausstellungen sollen demnächst auch Stadtteilspaziergänge für Heimbewohner stattfinden. Nur Schloss Nymphenburg werde bei all dem nicht mehr so schnell dabei sein.

Über die Projekte informiert die Seniorenvertretung am Samstag, 4. Juni, von 16 Uhr an bei den Stadtteilkulturtagen auf dem Moosacher Sankt-Martins-Platz (bei Regen im Pelkovenschlössl).

© SZ vom 01.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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