Mode:Keine Angst vor Andersartigkeit

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Die Kleidungsstücke von Jessica Dettinger sind unisex

Von Franziska Schwarz, München

Die Bluse hat eine Schluppe am Hals, die man zur Schleife binden kann, und ist gemustert wie etwas, was ein schottischer Highlander tragen würde: blau-rotes Karo. Das Jeanshemd ist roséfarben und in zwei Größen erhältlich: 34-42 und 46-50. Die schwarze Bomberjacke gibt es in nur einer Konfektion, sie ist massiv und aus Samt. In welcher Abteilung ist man hier? In keiner, die Kleidungsstücke von Jessica Dettinger sind unisex. Die 34-Jährige hat ihr Label "Form of Interest" 2014 in München gegründet. Sie sagt: "Der Unisex-Gedanke beinhaltet, dass man generell keine Angst vor Andersartigkeit haben sollte."

Aber was ist Unisex? "Dass der Mann eine Skinny Jeans anzieht und die Frau einen Blazer, das ist für mich nicht unisex", sagt Dettinger. Unisex-Mode soll, wenn es nach ihr geht, den Trägern deutlich mehr Spielraum geben. "Wenn ich als Mann Lust auf einen riesigen violetten Mantel habe, dann trage ich den. In anderen Städten tun das viel mehr Menschen einfach, man muss sich nur mal Tokio ansehen."

Sie selbst ist ganz in Schwarz gekleidet, mit einer eigentlich viel zu weiten Hose für ihre schmalen Figur. Ihr geometrisch geschnittenes Haar ist schwarz, und ihr Lidschatten auch. "Das ist bei mir so eine Anti-Haltung gegen das klischeehaft weiblich sein. Weil ich nicht darauf reduziert werden will - und mir gefällt es auch einfach ästhetisch nicht", sagt sie und meint damit die Langhaar- und Dekolletés-Fixierung in Werbung und Medien. Als Schülerin identifizierte sie sich mit Grunge und Punk.

Schon immer hat sie auch Herrenkleidung angezogen, wenn ihr danach war. "Bei Mann und Frau gibt es ja Schnittstellen bei der Kleidung. Und warum stellt man sich da überhaupt diese Genderfrage", sagt sie. Skinny Jeans oder Miniröcke hat sie auch im Schrank, denn: "Ich finde die Achtziger sehr spannend."

Die Achtzigerjahre verbrachte sie in Schwäbisch Gmünd bei Stuttgart, mit einer Schwester und zwei Halbgeschwistern - und ihre Schulzeit dort viel mit schwulen Freunden, die es damals in einer kleineren Stadt schwer hatten. Kunst und Psychologie waren Dettingers Interessen, und Mode, als nonverbale Kommunikation, für sie die Schnittstelle von beidem. Nach ihrem Modedesign-Studium in Pforzheim hätte sie sogar ans Royal College in London gehen können.

Die anspruchsvolle Aufnahmeprüfung für einen Master in Mode hatte sie bestanden, aber sie sagte dann doch ab. Es war nur zum Teil eine Geldfrage. Mancher aus ihrem Umfeld erklärte sie für verrückt, erzählt sie, "aber ich hatte da schon mein Label gegründet. Und ich wollte nie wirklich in die Branche gehen und dann dort eventuell meine Leidenschaft verlieren. Denn ein Mode-Großkonzern ist natürlich etwas anderes als die rosarote Brille, die man im Studium aufgesetzt bekommen hat."

Heute arbeitet sie hauptberuflich bei BMW in München als Farb- und Materialdesignerin, und hat zum Beispiel die 5er-Reihe und 7er-Reihe mitgestaltet: "Ich lerne da viel, deshalb ist es nicht nur ein Brotjob. Ich bin leidenschaftliche Designerin und kann mich auch gut in andere Dinge hineinfinden."

Für die Royal-College-Bewerbung hatte sie sich in Männermode vertieft, das verstärkte die Unisex-Idee nochmals. "Europa ist sehr geprägt von der Dior-Linie aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren", sagt sie, "von dieser angeblich typisch weiblichen Wespentaille und darunter dann der weite Rock. Das hat ja schon Coco Chanel mit ihren geraden Schnitten versucht aufzubrechen. Ich habe noch Generationen von Frauen erlebt, die mit diesen Codes zu kämpfen hatten, meine Mutter etwa."

Dettinger schätzt es, wenn Menschen die - oftmals politische - Geschichte von bestimmten Kleidungsstücken kennen. "Wenn ich heute bei H & M Schuhe im Doc-Martens-Stil kaufen kann, muss ich darüber schon lachen."

Zu ihren Vorbildern zählen der belgische Designer Martin Margiela und die Japanerin Rei Kawakubo, mit ihren avantgardistischen Entwürfen Gründerin des Labels Comme des Garçons. "Japaner gehen anders an Kleidung heran. Die gehen von außen nach innen", sagt Dettinger. Sie hatte Unterricht bei einem japanischen Drapiermeister. Der Stoff wird mit Hilfe von Stecknadeln um die Kleiderbüste gelegt. "Man baut eine Form um den Körper herum, wie eine Skulptur, was viel sinnlicher ist. Daher kommt in Japan diese Liebe zu Volumen. Oversize war dort schon immer da. Es geht nicht darum, dass jemand in eine Norm hineinpasst. Das Kleidungsstück fügt sich an den Menschen an."

Momentan schneidert Dettinger alle Stücke noch selbst, sucht aber nach Maßschneidereien in München, sie will nachhaltig vor Ort produzieren. Für ihre Mode findet sie den Standort gar nicht so schlecht. "Ich habe es einfacher hier, weil es nicht so viele Labels in der Stadt gibt. Wenn man sich hier gut vernetzt, dann passiert schon viel. Und die Leute gönnen sich auch gegenseitig etwas. Ich glaube, dass man da in Berlin eher untergeht."

Ihre aktuelle Kollektion heißt "You are in my veins, transcultural child", eine Anspielung auf die politische Lage. "Wir haben immer ein Stück weit eine andere Kultur in uns drin, und erst wenn man das anerkennt, hat man keine Angst mehr vor Fremdheit." Gegen die gängigen Kleidungsregeln für Männer und Frauen kämpfe sie mit ihrem Label nicht an, sagt sie, für sie und viele Bekannte sei es schon selbstverständlich, über diese Normen nicht mehr nachzudenken. "Ich denke, das ist schon so eine Punk-Einstellung", sagt sie.

© SZ vom 30.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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