Milbertshofen:Noch alle Tasten im Kasten

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Es gibt Menschen, die auch im digitalen Zeitalter nicht auf ihre alte Schreibmaschine verzichten wollen. In Milbertshofen stehen zwei Männer in einer Werkstatt bereit, in diffiziler Arbeit die filigrane Mechanik zu reparieren. Ihre Kunden danken es ihnen, darunter ist auch ein Schriftsteller

Von Simon Schramm, Milbertshofen

Selbst wenn eine Schreibmaschine still dasteht, setzt die Erinnerung an dieses charakteristische Hämmern ein, dieses archetypische Rattern der Anschläge und das Klingeln zum Schluss der Zeile. Nimmt man dann zum Beispiel der "Torpedo" den türkisfarbenen Deckel ab, entblößt die Maschine aus dem analogen Zeitalter ihre filigrane Mechanik. Im Licht der Arbeitslampe von Karl Heinz Schulze glänzen die 44 Typenhebel, die wie ein Gerippe aussehen. Das Modell, das Schulze hier repariert, ist in vorbildlichem Zustand. Die Konturen der Tasten sind klar, das graue Gehäuse ohne Bruch. Nur an einer Stelle hakt es, der Radiertisch lässt sich nicht einsetzen - die Alu-Oberfläche, auf der das Papier für Korrekturen abgelegt wird. "Da musst du dir was einfallen lassen", sagt Schulze.

Jeden Mittwoch sitzt der Mann in einem Laden nahe der BMW-Werke und tüftelt an den Lieblingsmaschinen der Kunden. Zur Wochenmitte ist Sprechstunde in der Schreibmaschinenwerkstatt, die eigentlich Schulzes Kollegen, Josef Bajfus, gehört. Bajfus, 60, war Opfer eines Medienwandels, profitiert aber mittlerweile davon und von der Nostalgie, die vielen dieser alten Schreibgeräte anhaftet. 16 Jahre lang hat der Münchner in einer Zweigstelle des deutschen Schreibmaschinenherstellers Triumph-Adler gearbeitet. Als sich andeutete, dass das Unternehmen mit den digitalen Konkurrenz-Geräten nicht mehr mithalten kann, machte sich Bajfus selbstständig. Seit 1998 betreibt er den Laden und repariert alles, "was im Büro so rumsteht", auch direkt beim Kunden. Trotz Höhen und Tiefen hält sich die Werkstatt; die Firmen und Geschäfte, so Bajfus, bieten keine Reparatur mehr an und schicken die Kunden zu ihm.

Es gibt keinen freien Winkel in der Werkstatt von Karl Heinz Schulze (Foto) und Josef Bajfus. (Foto: Catherina Hess)

Sein Kollege ist unterdessen dabei, sich etwas einfallen zu lassen. Er stellt die Maschine auf den Rücken. "Das Metall hat das Blühen angefangen", erklärt er, streicht mit dem Schraubenzieher die Typenhebel entlang und kratzt die weißen Oxidations-Flecken ab. "Würden man das nicht stoppen, würden die Hebel klemmen." Darum werden sie ordentlich mit Waffenöl eingerieben. Um den Radiertisch zu fixieren, schneidet Schulze an einer Feder ein Stück ab. Dem 70-Jährigen, dessen Großvater schon Schreibmaschinen repariert hat, gefällt, wie einfach die Geräte zu nutzen sind. Im Vergleich zu modernen Medien kann man eben "nur" schreiben. "Aber es gibt keine sonstige Ablenkung." Dann lächelt er zufrieden und deutet mit einem "Na also, geht doch" auf die Eingeweide der alten "Torpedo". Die Feder sitzt, Zeilenschalthebel eingesetzt, etwas Öl auf die Wagenlaufschiene der Papierwalze, Deckel drauf, fertig. Das Fazit: "Riecht gut."

Wer den Laden von Josef Bajfus betritt, dem dringt sofort öliger Duft in die Nase. Überall stehen Geräte aus allen Generationen, bis zur Decke stapeln sich vergilbte Maschinen-Koffer im Regal. In wirklich jedem Winkel liegen Ersatzteile oder Reinigungsmittel, Typen-Räder, Bauteile der elektronischen Maschinen, Schienenwagen, dazu allerlei Werkzeug, "Operationsbesteck", wie Bajfus sagt. "Platz habe ich wirklich keinen mehr. Das ist ein großes Problem." Dennoch: Das Chaos hat System. Er habe alles im Kopf, versichert Bajfus. Die Männer sind immerzu auf der Suche nach Maschinen für neue Ersatzteile. Schulze deutet nach oben. "Eine Ausgeschlachtete, die blutet noch." Das Telefon klingelt. Der Kunde braucht das Display einer elektronischen Maschine; Bajfus kramt im Regal - und wird prompt fündig.

Josef Baifus repariert die filigrane Mechanik. (Foto: Catherina Hess)

Nächste Maschine, wieder eine kompakte für unterwegs: eine schwarze Rhein-Metall. Karl Heinz Schulze montiert Deckel und Wagen der Walze ab. "Diese Maschinen haben ein Eigenleben", sagt er, "alles ist in sich beweglich." Schulzes Herausforderung ist es, in der Mechanik, bei der jedes Geräteteil aufeinander abgestimmt ist, die entscheidende Stelle zu finden, an der ein Fehler liegt. "Die Maschine sträubt sich, repariert zu werden", bemerkt Schulze und lugt über seine Lesebrille. Der Walzenknopf, das Rad, an dem die Papierwalze gedreht wird, rastet nicht an seiner Stelle ein.

Wer benutzt in Zeiten von Alleskönner-Smartphones, handlichen Laptops und Tablet-Computern noch eine Schreibmaschine? Freilich besteht der überwiegende Teil von Bajfus' und Schulzes Kundschaft aus älteren Herrschaften, die nie auf den Computer umgestiegen sind. Dennoch: Es kommen nach den Worten von Josef Bajfus durchaus oft jüngere Menschen vorbei, darunter ein Schriftsteller. "Der schreibt im Sommer an der Isar. Das Klappern während des Schreibens, das braucht er zum Denken."

Manche Menschen wollen nach wie vor nicht auf ihre Schreibmaschine verzichten. (Foto: Catherina Hess)

Die Firma Triumph-Adler, Bajfus' ehemaliger Arbeitgeber, war einer der größten Schreibmaschinen-Hersteller in Deutschland und hatte zeitweise einen Weltmarktanteil von etwa 20 Prozent, schätzt der Münchner Historiker Frank Lämmel. Das Unternehmen ist auf die Beratung für digitale Büro-Kommunikation umgestiegen. Die Schreibmaschinen-Sparte wurde 2003 an eine deutsche Firma verkauft. Historiker Lämmel arbeitet an einem Buch über die Geschichte der Schreibmaschine. 1982 habe der Umsatz von Triumph-Adler etwa 1,96 Milliarden Mark betragen. "Mitte der Achtziger hatte die Produktion ihren Höhepunkt erreicht", sagt Lämmel. Noch im gleichen Jahrzehnt begann der Niedergang.

Seit dem NSA-Skandal bekommen Bajfus und Schulze mehr Besuch. Eine Maschine ist abhörsicher; wobei, so Karl Heinz Schulze, es die Behauptung gebe, man könne anhand der Anschläge einen Text erkennen. Er hält das für unrealistisch, weil es vom Material der Papierwalze abhänge, wie der Hebel aufschlägt. Für viel wichtiger hält Josef Bajfus einen anderen Umstand, der als Vorteil zu werten sei. "Man braucht viel Zeit zum Überlegen, bevor man schreibt."

Jeder Tastendruck muss stimmen, ein Fehler rächt sich sofort gut sichtbar auf dem Papier. Erst denken, dann schreiben. "Als würde man durch Schlamm stapfen", hat der Schriftsteller Charles Bukowski das Schreiben auf der analogen Maschine bezeichnet. Schreiben analoge Tipper also besser? Josef Bajfus will neue und alte Medien nicht gegeneinander ausspielen. "Die Schreibmaschine kann den Laptop nicht ersetzen, und der Laptop nicht die Schreibmaschine", sagt er. "Manche brauchen eben das Klappern beim Schreiben."

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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