Milbertshofen:Im Kreis voran

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Erklären und vertrösten: Rudolf Stummvoll, der Leiter des Amtes für Wohnen und Migration. (Foto: Robert Haas)

Die Stadt, der Investor und die aussichtslose Situation der Mieter: Auch bei der Informationsveranstaltung zur Norderneyer Straße 10 dreht sich alles wieder um bereits vielfach Diskutiertes - dabei wächst der Druck auf alle

Von Nicole Graner, Milbertshofen

Zwei Zahlen, zwei Worte und ein Versprechen standen im Mittelpunkt der Informationsveranstaltung zur Norderneyer Straße 10, zu der das Sozialreferat auf Drängen des Bezirksausschusses Milbertshofen-Am Hart die Anwohner eingeladen hatte. Das Haus soll abgerissen werden, um einem Boardinghouse für wohnungslose Münchner Familien Platz zu machen. 145 Menschen sollen in der Unterkunft untergebracht werden, die der private Investor Michael Küblbeck aus Niederbayern bauen, die Stadt München nutzen will. Pläne für den Bau existieren bereits. Anfang 2017 sollen die ersten akut wohnungslosen Familien dort einziehen.

Doch noch steht auf dem zu bebauenden Grund das heruntergekommene Haus des jetzigen Eigentümers - und es macht seit Monaten von sich reden. Zum einen, weil dort noch immer Menschen unter unerträglichen Zuständen leben. Zum anderen, weil der Verpflichtung des Eigentümers, seine gering verdienenden Mieter, die größtenteils keinen Mietvertrag und auch keine schriftliche Kündigung haben, in adäquaten Wohnungen unterzubringen, bis jetzt kaum Resultate gefolgt sind: Nur wenige haben eine Wohnung gefunden, einige haben das Haus mit ungewisser Zukunft verlassen. Aber noch immer wohnen 14 bis 18 Mieter im Haus an der Norderneyer Straße.

Wohnungslosigkeit

5500: Das ist die Zahl der Menschen, die derzeit in München "akut wohnungslos" sind. Der Leiter des Amtes für Wohnen und Migration, Rudolf Stummvoll, nennt sie bei der Informationsveranstaltung immer wieder. Eine Steigerung um 3000 Wohnungslose, werde, so Stummvoll, noch 2016 erwartet. Man sei "gelinde gesagt unter Druck", die Menschen unterzubringen und auch gesetzlich verpflichtet dazu. Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind vielfältig. Trennung, Verlust des Arbeitsplatzes, zu wenig Geld gehören dazu, hinzu kommt die Zahl der anerkannten Flüchtlinge. "Diese Menschen sind dann Münchner Bürger, die wir auffangen müssen", betont Stummvoll.

Boardinghouse

40: So viele Wohneinheiten werden nach Auskunft des Investors Küblbeck im dreistöckigen Boardinghouse entstehen. Jede Einheit hat ein separates Bad, eine separate Küche. Geplant sind Gemeinschaftsräume und Büros. Wie Rudolf Stummvoll betont, wird es eine Hausleitung geben und zweieinhalb Stellen für Sozialpädagogen und Erzieher. Im Haus wird auch eine Hausaufgabenbetreuung möglich sein. "Sehr engmaschig" sei die Betreuung, eine Nachtbetreuung werde es daher nicht brauchen. Weil die Aufenthaltsräume und Spielflächen viel zu klein geplant seien, würden, so die Angst eines Anwohner, viele Menschen draußen "herumlungern". Diese Gefahr, so glaubt Stummvoll, bestehe nicht, da ja jede Familie eine eigene, kleine Wohnung habe. Ziel ist es außerdem, alle Bewohner des Boardinghouses so schnell wie möglich in eine feste Wohnsituation zu bringen. Welcher freie Träger die soziale Betreuung übernehmen wird, weiß man derzeit noch nicht.

Nachhaltigkeit

Ein wichtiger Punkt bei der Planung der Unterkunft ist, erklärt Küblbeck, die "Nachhaltigkeit". Das heißt: Auch nach der Nutzung als Unterkunft für wohnungslose Familien soll das Gebäude "gut zu nutzen" sein. Daher habe man mit 22 Garagenstellplätzen mehr eingeplant als nötig gewesen wären. Es sei sehr kompakt geplant worden, mit zirka sieben Quadratmetern pro Kopf wurde gerechnet. Zehn Jahre soll die Unterkunft betrieben werden. "Danach haben wir im Moment von unserer Seite keine weiteren Pläne", erklärt Stummvoll.

Gemengelage

Die Norderneyer Straße 10 liegt nicht in einem klassischen Gewerbegebiet, aber auch nicht in einem reinen Wohngebiet. Daher geht die Lokalbaukommission (LBK), wie Leiter Cornelius Mager erklärt, von einer "Gemengelage" aus. Denn in einem Gewerbegebiet dürfte man nur Flüchtlinge unterbringen, nicht aber "Wohnungslose"; die Bezeichnung Boardinghouse sei letztlich die "Umgehung für das Wort Wohngebäude". Es sei, so Mager, also ein gewerblicher Betrieb, der wie ein Hotel auf "eine lange Nutzung" ausgelegt ist. Die LBK wolle an der Norderneyer Straße keinesfalls eine Umwandlung vom Gewerbegebiet in ein reines Wohngebiet.

Mieter

Ob man von der schlimmen Wohnsituation an der Norderneyer Straße gewusst habe? Ja, erklärt die LBK. Das Haus sei nicht als reines Wohngebäude genehmigt worden. Genehmigt worden sei in den Vierziger-/Fünfzigerjahren eine Werkstatt mit Wohnung. Aufmerksam sei man auf das Haus 2014 geworden, als es schon einmal um eine Planung auf dem Grund an der Norderneyer Straße ging. Damals seien, so die Lokalbaukommission, 76 Personen mit 22 Gewerbeanmeldungen gemeldet gewesen. Aus Sicht der Behörde war die Situation im Jahr 2014 "aber nicht prekär". Nur unter der Bedingung, dass alle Mieter eine Wohnung fänden, erklärt der Leiter des Amts für Wohnen und Migration, werde es "nach hinten heraus" eine Lösung geben. "Wir haben keine Zeitnot", sagt Stummvoll.

Zwei Zahlen, zwei Schlagworte und ein Versprechen - die Informationsveranstaltung, zu der an die 40 Anwohner gekommen waren, zeigt zweierlei. Das Boardinghouse wird gebaut - allerdings, glaubt man Rudolf Stummvoll, erst dann, wenn wirklich alle Mieter untergekommen sind. Das kann dauern. Aber genügend Zeit scheinen die Beteiligten ja allesamt zu haben.

© SZ vom 27.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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