Migrationsbeirat:Wahl zum Migrationsbeirat: Erstwähler mit 51

Migrationsbeirat: Wem er bei der Wahl des Migrationsbeirates die Stimme geben soll? Mahari Ghebreyesus, 51 Jahre alt und Erstwähler, ist noch unentschlossen.

Wem er bei der Wahl des Migrationsbeirates die Stimme geben soll? Mahari Ghebreyesus, 51 Jahre alt und Erstwähler, ist noch unentschlossen.

(Foto: Robert Haas)
  • Am Sonntag wird in München der neue Migrationsbeirat gewählt. Ihre Stimme abgeben können mehr als 400 000 Münchner, die keinen deutschen Pass oder eine doppelte Staatsbürgerschaft haben.
  • Im Gremium sind keine Parteien vertreten, sondern Initiativen. Es kann keine politischen Entscheidungen treffen.
  • Trotzdem ist die Wahl hochkomplex. Sogar Mitbürger wie der Eritreer Mahari Ghebreyesus, der seit 33 Jahren in München wohnt, haben beim Abstimmen ihre Schwierigkeiten.

Von Moritz Stadler

Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hat nie ein Politiker oder ein Staat Mahari Ghebreyesus nach seiner Meinung gefragt. Nicht in Eritrea, wo er als 13-jähriger Soldat im Bürgerkrieg kämpfte, nicht im Sudan, in den er geflohen war, nicht in Italien und nicht in München, wo er nun seit 33 Jahren lebt. Doch in diesem Jahr ändert sich das: 51 Jahre ist Ghebreyesus alt, und nun darf er zum ersten Mal in seinem Leben wählen gehen: am Sonntag, wenn in München der neue Migrationsbeirat bestimmt wird.

Mehr als 400 000 Münchner, die keinen deutschen Pass oder eine doppelte Staatsbürgerschaft haben, können ihre Stimme abgeben, darunter auch viele Flüchtlinge. So wie Mahari Ghebreyesus aus Eritrea. Er ist als Asylbewerber anerkannt, hat eine Aufenthaltsgenehmigung und seit kurzem außerdem einen Brief mit der Aufschrift "Wahlbenachrichtigung".

"Ja, des hod mi scho überrascht", sagt Ghebreyesus, der je nach Laune in bairischem Dialekt oder mit eritreischem Akzent spricht. In all den Jahren in Deutschland habe er nie eine Wahlbenachrichtigung bekommen, erzählt er. Seit August 2016 ist er offiziell als Flüchtling anerkannt. Es ist das zweite Mal. Denn als er neu in Deutschland war, sei er beleidigt und ungerecht behandelt worden, erzählt er. Das habe ihn so geärgert, dass er seine Aufenthaltsgenehmigung wieder zurückgab. Nur weil er keinen eritreischen Pass hatte, blieb er damals in München. "C'est la vie", sagt er.

Mittlerweile scheint der Ärger verflogen zu sein, Ghebreyesus arbeitet als Dolmetscher im Sozialreferat und hilft dem Staat und den neu angekommenen Flüchtlingen dabei, einander zu verstehen. Doch auch für ihn hält der Staat noch Überraschungen bereit, wie jetzt das Recht zu wählen. Das sei natürlich super, findet er. In Eritrea gebe es nur eine Partei, und egal wen man wählt, es bewirke nichts. Hier aber glaube er an eine gerechte Wahl: "In Deutschland herrschen Recht und Ordnung."

Doch Recht und Ordnung können sehr aufwendig sein, selbst dann, wenn es lediglich um den Migrationsbeirat geht, der keinerlei politische Entscheidungen treffen kann. Das Wahlverfahren ist sehr ordentlich, aber auch sehr kompliziert. Für einen, der noch nie gewählt hat, ist der Stimmzettel so anspruchsvoll wie eine Steuererklärung. 24 sogenannte Wahlvorschläge stehen darauf, jeder Wähler hat 40 Stimmen. Die kann er einzeln vergeben, maximal drei pro Kandidat, oder er kann direkt die Listen der Wahlvorschläge wählen. Das alles wird im Internet erklärt, in präzisem Behördendeutsch. Ghebreyesus ist begabt, er spricht sieben Sprachen, Bairisch nicht eingerechnet. Die Begriffe "Panaschieren" und "Kumulieren" kennt er aber nicht.

Hinter den Namen der Kandidaten stehen auf dem Stimmzettel auch Nationalitäten und Berufe. Viele Wähler werden wohl einfach für Landsleute stimmen - für Ghebreyesus kommt das aber nicht in Frage. Erstens nehme er die Wahl sehr ernst, die Nationalität reicht ihm als Wahlgrund nicht aus, sagt er. "Ich muss doch wissen, was seine Meinung ist." Und zweites stehen gar keine Eritreer auf der Liste.

SPD warnt vor Nationalisten

Die anstehende Neuwahl des Münchner Migrationsbeirats wird immer mehr zum Politikum. Nun hat sich auch die SPD mit klaren Worten zum Verdacht der versuchten Wahlmanipulation durch Angehörige rechtsradikaler türkischer Gruppen geäußert. Das Wahlamt hatte Unregelmäßigkeiten bei der Anforderung von Briefwahlunterlagen entdeckt und die Polizei eingeschaltet. "Die im Mittelpunkt der Vorwürfe stehenden Grauen Wölfe sind völlig unbestritten radikale Nationalisten, sie vertreten eine rassistische, antisemitische und frauenfeindliche Ideologie und stehen für Gewalt und Repression gegen die nationalen Minderheiten in der Türkei", erklärte der Münchner SPD-Landtagsabgeordnete Florian Ritter am Donnerstag. Das für Staatsschutz zuständige Fachdezernat der Polizei hat Ermittlungen zu den Manipulationsvorwürfen aufgenommen.tbs

Wem er seine Stimme geben soll, weiß Ghebreyesus, der 51-Jährige Erstwähler, noch nicht. Er liest zwar deutsche Zeitungen, vor allem ein Münchner Boulevardblatt, aber darin kommen die Kandidaten auf seinem Stimmzettel kaum vor. Ohnehin ist ihm die Wahl auch etwas suspekt. Dass auch Flüchtlinge wählen dürfen, die erst seit Kurzem hier leben, sieht er kritisch. Jemand, der erst angekommen sei, habe doch gar keine Ahnung, sagt er: "Am Schluss wählt der AfD, weil er es nicht besser weiß." Dass das gar nicht geht, weil keine Parteien, sondern Initiativen auf dem Wahlzettel stehen, hat Ghebreyesus selbst lange nicht verstanden.

Weil im Kuvert mit der Wahlbenachrichtigung auch ein Informationsschreiben war mit dem Foto des Oberbürgermeisters darauf, dachte der Eritreer zunächst, er könne Dieter Reiter wählen. Das hätte ihm gefallen: "Ich find' den Reiter gut, besser wie den Ude." Dass er stattdessen fotolose Mitglieder in ein Gremium wählen soll, von dem er nie etwas gehört hat, macht ihn ratlos. "Wenn ich den Reiter nicht wählen kann, warum ist dann sein Foto da drauf?", fragt er.

Das mit dem Wählen möchte Ghebreyesus aber dennoch versuchen. Denn er interessiert sich sehr für Politik. Wenn er selbst mitbestimmen könnte, wüsste er genau, was er tun würde - es sind allesamt Themen, die weit jenseits der Kompetenzen des Migrationsbeirates liegen: Waffenexporte stoppen zum Beispiel. "Arme Länder wie Eritrea haben so wenig Geld, und das geben sie dann für Waffen aus, nicht für Brot", klagt er.

Wenn es keine Waffen gebe, sagt er, kämen auch weniger Flüchtlinge. "Ohne Waffen können sie ja nicht aus ihren Ländern gebombt werden." Außerdem würde Ghebreyesus Parteien verbieten, die gegen Ausländer hetzen. "Ich verstehe nicht, dass es solche Parteien gibt", sagt er. Auch könne er nicht begreifen, warum amtierende Politiker nichts dagegen unternehmen, obwohl sie doch sehen, dass es in ihrem Land ein Problem gebe. "Also manchmal", sagt Ghebreyesus, "versteh i de Demokratie aa ned."

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