Messestadt Riem:Schnell, laut und assoziativ

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Selbstbewusst stehen Doro und Veronika auf der Bühne, für letzte Tipps von Spielleiter Tom Ditz sind sie dennoch dankbar. (Foto: Robert Haas)

Laien im Rampenlicht: Das Fastfood-Ensemble entwickelt mit Messestädtern in der Kultur-Etage ein Improvisationstheater über das Viertel

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

"Sei spontan." Eva überlegt: "Das ist total schwer. Und eigentlich ja auch ein Widerspruch in sich." Aber nach einigen Wochen Improtheater-Training jeden Montag- und Dienstagabend in der Kultur-Etage der Messestadt weiß sie, was die Spielleiter Andreas Wolf und Tom Ditz damit meinen: "Kopf ausschalten" und "Angebote annehmen". Wenn also ein Mitspieler die aktuelle Szene, in der es gerade noch zwischen Mutter und Tochter um Kopfschmerz und Reflexzonenmassage ging, uminterpretiert in ungelenke Tanzversuche von Braut und Bräutigam kurz vor der Hochzeit, dann, ja, muss sie eben spontan reagieren.

Das Kulturreferat und das Fastfood Theater als Münchner Improvisations-Ensemble haben sich zusammengetan zum Projekt "München erzählt": In den Stadtteil-Kulturhäusern werden G'schichten aus dem jeweiligen Viertel kurzweilig auf die Bühne gebracht. Das macht die Kunstform Improvisationstheater bekannt und rückt bei deren Fans die Kulturhäuser in den Fokus, eine Win-win-Situation. Ob Berg am Laim, Hadern, Westkreuz oder Fürstenried - überall erzählen also die Menschen den Mimen ihre speziellen Stadtteil-Geschichten - und die Profis setzen die dann spritzig um. Anders aber ist es in der Messestadt, wo offenbar die spontansten Münchner daheim sind. Dort werden nicht die Schauspieler im Rampenlicht stehen, sondern Laien. Einzige Voraussetzung - sie müssen in der Messestadt leben. Der Auftrittstermin steht mit Freitag, 27. April, 20 Uhr, auch schon fest. Kultur-Etage-Geschäftsführer Heinrich Tardt empfiehlt Anmeldung für den kostenlosen Abend, er rechnet mit großem Ansturm der Messestädter, die ihre Nachbarn und Freunde agieren sehen wollen, hat die Kultur-Etage selbst das Spektakel doch als "Weltpremiere" angekündigt, "mit Menschen aus der Messestadt für Menschen aus der Messestadt". Dass das Druck macht, ist bei einer letzten Proben im Saal aber nicht zu spüren. Gut ein Dutzend Teilnehmer - von der Schülerin Franziska bis zur Rentnerin Veronika und sogar einem Mann, Rainer - sind konzentriert bei der Sache. Manchmal aber wird auch gekichert. Dann wieder machen sie eine Pause und fragen Tom Ditz nach den wenigen Spielregeln, die aber für alle eindeutig sein müssen. So ist es wichtig, dass die beiden Akteure, die eine Szene beginnen, schnell indirekt klar machen, wen sie darstellen, Passant und Polizistin etwa, denn Kostüme oder Bühnenbild gibt es ja genauso wenig wie ein fixes Drehbuch. Dann muss definiert sein, wer wie intervenieren darf, wenn sich eine Szene zu ziehen beginnt. Die Antwort von Tom Ditz ist simpel: "Jeder, der den Impuls hat."

Dass es beim Auftritt um ihr Viertel, die Messestadt, gehen soll, haben sie bis jetzt bewusst und konsequent verdrängt. Die Coaches haben ihnen erst einmal das grundlegende Impro-Handwerkszeug mitgegeben. Laut reden, ist eine der Regeln - nicht einfach. Große Gesten machen - fühlt sich zunächst unnatürlich an. Worte sind nicht das Wichtigste - darauf muss man sich erst einlassen. Spielerisch und mit viel Spaß haben sie es begriffen, zum Beispiel mit Assoziationsketten. Wer im Kreis direkt angeklatscht wird, muss fortsetzen: Indien - Trecking - Gemeinschaft - Singen - Lied - Rammstein - Abgrenzung - Maulwurf - Gießkanne - Regenwasser - Wolke - Sonne - Urlaub - Camping - Haifisch. Geht zack zack. Von Doro zu Agathe zu Eva zu Kirsten und so weiter.

Dann auf die Bühne, sich selbst Mut machen: "Fünf vier drei zwei eins und los!" In voller Lautstärke. Collage ist dran, also eine Geschichte wie bei einer filmischen Überblendung aus der andren entwickeln. Thema: New York. In den Proben soll die Messestadt nicht im Fokus stehen, damit alles, was es dazu zu erzählen und zu spielen gibt, beim großen Auftritt frisch und echt und wirklich spontan rüberkommt. Der Leiter setzt einige Impro-Tricks ein, ruft zum Beispiel "So war es vor drei Jahren." Der Szenenwechsel klappt. Dabei hat hier kaum jemand Schauspiel-Erfahrung. Agathe ist hier, weil sie bei einem Improabend im Schlachthof so viel lachen konnte wie selten. Carmen will mal "total jemand anders sein", Monika etwas Neues wagen. Veronika hat generell die Kultur-Etage für sich entdeckt und probiert begeistert alles aus, was hier geboten wird.

Locker legt die Gruppe fest, welche Formen sie beim Auftritt benutzen will, damit auch jeder mal drankommt. Noch ein paar letzte Ermahnungen: "Je realitätsnäher, umso besser." "Ich kann die andern gut aussehen lassen, wenn ich sie in Schwierigkeiten bringe." Und: "Ihr habt keinen Druck." Gut gesagt von Tom Ditz - dennoch kommt langsam Lampenfieber auf. Aber sie sind ja bestens präpariert. Nicht nur für den Auftritt, auch fürs Leben haben sie gelernt. "Man wird schon frecher", sagt Eva und grinst.

G'schichten aus der Messestadt, Kultur-Etage, Erika-Cremer-Straße 8, Montag, 28. April, 20 Uhr. Telefon 9 98 86 89 30.

© SZ vom 27.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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