Maxvorstadt:Hör mal, wer da hilft

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Seit 30 Jahren verwandelt eine Einrichtung des Blindenbundes auf Wunsch Druckwerke in Braille-Schrift, macht aus Büchern, Kochrezepten und sogar Predigten Audiodateien. Der Service spiegelt auch ein Stück Mediengeschichte

Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt

Der kleine Kasten ist erst seit zwei Wochen da, doch er hat schon einige Menschen glücklich gemacht. Einen alten Mann aus der Elisabethstraße zum Beispiel. Denise Lekoui kann sich gut erinnern, wie der Schwabinger entzückt die reliefierte Tafel befühlte. "Man konnte an seinem Gesicht ablesen, wie es im Kopf arbeitet, wie er plötzlich die Dimensionen und Gebäude-Verhältnisse erkennt", sagt die Mitarbeiterin im BIT-Zentrum an der Arnulfstraße. Es muss ein schöner Moment gewesen sein für den Mann mit dem Blindenzeichen am Revers.

Denn tastend konnte er erkunden, was für Sehende seit "Google Maps" selbstverständlich ist: die Konturen der Umgebung erfassen. Seine Finger strichen über eine gerillte Plastik-Planzeichnung des Quartiers rund um seine Wohnung, Maßstab 1 : 2000. Ausgespuckt hat sie der kleine Kasten, ein 3-D-Drucker. Ein Moment des Glücks, auch für BIT-Mitarbeiter wie Denise Lekoui. Denn es zeigt, welch wichtigen Dienst sie Tausenden Menschen ohne oder mit stark eingeschränktem Augenlicht erweisen. BIT steht für Beratungs-, Informations- und Textservicezentrum des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes (BBSB). In diesen Tagen wird die Einrichtung 30 Jahre alt; am Freitag, 23. September, richtet diese geachtete Institution am Stammsitz an der Arnulfstraße 22 dazu ein großes Fest aus. Das Angebot der Einrichtung: Auf Bestellung wird so gut wie jedes Druckwerk - Bedienungsanleitungen, Romane, Steuererklärungen - in Blindenschrift-Texte oder Audio-Aufnahmen umgewandelt. Das BIT-Zentrum ist dabei mehr als nur ein Medien-Vertrieb, um Blinde an Print-Produkten teilhaben zu lassen. Es geht um Hilfestellung, damit sich Sehbehinderte in einer Welt, die auf den Augenschein ausgerichtet ist, zurechtfinden. "Dabei haben wir uns in 30 Jahren immer wieder neu erfinden müssen", sagt BIT-Leiter Robert Müller.

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(Foto: Catherina Hess)

Mehr als nur ein Medien-Vertrieb: Im BIT-Zentrum gibt es jetzt einen 3-D-Drucker ...

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(Foto: Catherina Hess)

... der konturierte Plan-Zeichnungen erstellt, mit denen Blinde das Raster ihres Viertels ertasten können.

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(Foto: Catherina Hess)

Der klassische Dienst ist das Erstellen von Hörbüchern ...

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(Foto: Catherina Hess)

... und Texten mit Blindenschrift.

Jüngstes Beispiel: der 3-D-Drucker. Noch probieren sie im ersten Stock an der Arnulfstraße aus, welche Anwendungen einen praktischen Nutzen haben. Denn der ist das Wichtigste für die gut 7000 Kunden in der Datenbank des BIT-Zentrums. Das heißt: Was immer ein Nutzer in die sogenannte Brailleschrift - jene Schrift aus Punktmustern, von Louis Braille 1825 entwickelt - transkribiert haben möchte, das BIT-Zentrum tut es: für 50 Cent pro Seite.

Das kann ganz schön ins Geld gehen: Ein 300-Seiten-Taschenbuch kostet somit 150 Euro. "Das ist sehr günstig im Vergleich zum Aufwand", versichert BIT-Leiter Müller. Er betont, dass sich das Anhängsel des staatlich geförderten BBSB trotz der Subventionen selbst tragen müsse, um förderfähig zu bleiben. Indes ist es oft kaum sinnvoll, sein Lieblingsbuch per Punktschrift zu konsumieren, denn das ist dann oft ein Braille-Wälzer: 300 Seiten Taschenbuch ergeben laut Müller drei dicke Ordner, gefüllt mit geprägten Papierbögen. So lassen sich die Leute vor allem das Nötigste übertragen: Geschäftskorrespondenzen und Einkommensteuerbescheide zum Beispiel. Vor allem aber: Ausbildungsunterlagen und Fachbücher, unverzichtbare Nachschlagewerke, die auch Blinde von Berufs wegen brauchen.

Günstiger ist es da schon, sich den Text vorlesen zu lassen. Für eine halbe Stunde verlangt das BIT vier Euro; das 300-Seiten-Werk wäre ungefähr in sechs Stunden aufgesprochen, macht 48 Euro. BIT-Mitarbeiterin Lekoui hat etwa ein Lehrbuch der Hundezucht auf dem Schreibtisch liegen, daneben eine erstaunlich voluminöse Bedienungsanleitung fürs iPhone. "Das ist sehr aufwendig", erklärt sie. Denn der Sprecher müsse jede einzelne Wischbewegung erklären. Das nehmen die Nutzer dann gerne in Kauf, schließlich kann ein Smartphone ein mächtiger Alltags-Helfer sein: Auch Handbücher für Waschmaschinen, Elektroherde oder das Zusammenbauen von Modellhubschraubern lassen sich damit anhören, vorgelesen von einem Pool aus 70 Sprechern, die meisten davon machen das ehrenamtlich.

Aber auch einige der 13 hauptamtlichen BIT-Mitarbeiter deklamieren gern ins Mikrofon. Einer ist gerade damit beschäftigt, aus der ziemlich dicken Ortschronik von Gundelsheim in Oberfranken eine stattliche MP3-Datei zu produzieren. "Ein Monsterwerk", kommentiert er in einer Sprechpause. In dem der Gundelsheimer aber dann per Tastendruck herumnavigieren, einzelne Seiten, Fußnoten, Kapitel anwählen oder sogar Notizen aufsprechen kann. Zu den regelmäßigen BIT-Kunden zählt auch ein blinder Pfarrer, der sich seine Feiertagspredigten als Manuskript in Audiodateiform liefern lässt. Der große Renner sind überdies anhörbare Kochbücher, besonders für den Thermomix; lange Zeit war auch die akustische Form der Zeitschrift Bravo sehr beliebt.

Der Ausstoß kann sich sehen lassen: jährlich 500 Hörbuch-Titel und 300 Druckwerke. Dazu kommen 200 digitale Dokumente, die in "barrierefreie Dateien" umgewandelt werden: PDF- oder Word-Dateien, die sich Nutzer auf dem Smartphone anhören können. Längst gibt es Blindenschrift-Apps zum SMS-Tippen. Überhaupt, die Technik: Die Geschichte des BIT-Zentrums ist auch ein Stück Mediengeschichte, vom ersten Scanner, in der Arnulfstraße angeliefert 1986, groß wie ein Kühlschrank und teuer wie ein Reihenhaus, bis zum inzwischen handelsüblichen 3-D-Drucker. "Es ist sehr spannend, immer wieder Neues umzusetzen", sagt Müller. Und er betont, wie wichtig ein frei wählbares Medienangebot für Blinde und Sehbehinderte ist. "Sie brauchen uns. Denn sonst könnten sie nicht selbst bestimmen, was für sie wichtig ist."

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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