Martinsried:Verwerten statt wegwerfen

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Viel zu schade für die Mülltonne: AEZ-Filialleiter Florian Sieber (links) und Verkäufer Naim Islami zeigen, wie die neue Abgabestation in Martinsried funktioniert. (Foto: Robert Haas)

Im AEZ-Markt in Martinsried können Kunden gratis Lebensmittel mitnehmen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist

Von Rainer Rutz, Martinsried

Tonnenweise werfen deutsche Supermärkte Tag für Tag Lebensmittel weg - weil das gesetzlich vorgeschriebene Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) erreicht oder überschritten ist. Dabei geht von diesen Produkten oft überhaupt keine Gesundheitsgefahr aus, das Aussortieren und Wegwerfen ist gar nicht nötig. Einer Untersuchung der Universität Stuttgart zufolge wirft jeder deutsche Konsument zusätzlich pro Jahr rund 82 Kilo Lebensmittel in den Müll - die meisten davon wären noch problemlos verzehrbar.

"Das muss nicht sein", sagten sich angesichts dieser Umstände die Inhaber des Amper-Einkaufszentrums (AEZ), die im Westen der Landeshauptstadt insgesamt elf Märkte betreiben. "Das alles ist zu gut für die Tonne und in der Regel noch uneingeschränkt genießbar", findet Udo Klotz, der mit seinem Bruder Claus die Märkte leitet. Vor zwei Monaten hat er in der Filiale in Buchenau begonnen, entsprechende Lebensmittel auszusortieren und an die Kundschaft zu verschenken.

Die Aktion kam bei der Kundschaft überaus gut an. Der Erfolg war derart riesig, dass das Unternehmen daran ging, alle seine Märkte mit einer "Food Share"-Station auszustatten, mit Regalen und Kühlaggregat. Am Donnerstag war das neue AEZ an der Lochhamer Straße 31 an der Reihe. Ab sofort kann sich jeder täglich an den im Vorraum präsentierten Lebensmitteln bedienen: "Niemand muss sich verstecken, niemand wird diskriminiert, alles ist öffentlich", sagt Klotz, der die neue soziale Errungenschaft jetzt mit seinem Filialleiter Florian Sieber der Öffentlichkeit vorstellte.

Die hier angebotenen Lebensmittel - außer Fleisch gibt es so gut wie alles - haben eines gemeinsam: Sie haben ihr Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht. "Deswegen sind sie aber noch nicht kaputt", sagt Klotz und verweist auf entsprechende Untersuchungen oder andere EU-Länder, wo auf den Packungen zur Mindesthaltbarkeit beispielsweise ein Zusatz "plus 14 Tage" aufgedruckt ist. "Niemand muss befürchten, sich zu vergiften".

Täglich wird das Sortiment neu aufgefüllt und bleibt dann maximal einen Tag im Regal - wenn die Lebensmittel nicht zuvor schon neue Abnehmer gefunden haben. Die Kunden müssen, um sich aus diesem Angebot zu bedienen, den Geschäftsbereich nicht betreten, also auch nicht an den Kassen vorbei. Angeboten werden hauptsächlich Milchwaren, Brot, Gemüse und Obst, "es gibt keine Hemmschwellen", findet Klotz: "Unsere Botschaft lautet: Lebensmittel sind etwas wert, man darf sie nicht wegwerfen." Rund 2000 Euro investiert das Unternehmen in jede der elf Stationen, um diese Sammelstellen aufzubauen.

Ansonsten hat das AEZ, wie Klotz betont, keinen finanziellen Nachteil, "denn früher haben wir diese Lebensmittel ja weggeworfen." Er sieht eine "win-win-Situation" für die Firma und die Kunden gleichermaßen.

Die Befürchtung mancher Kritiker, an den Sammelstellen könnten sich Freaks oder Bettler einfinden, hat sich in den bisher ausgestatteten Filialen nicht bestätigt: "Es kommt der Normalkunde", sagt Klotz. Allerdings betont er auch, dass "wir keine Konkurrenz zu den Tafeln sein wollen", zum Würmtal-Tisch etwa. Denn dort "kann man sich ja Menüs zusammenstellen", was beim Food Share eher nicht der Fall ist. Die AEZ-Manager halten sich streng an die gesetzlichen Anforderungen. Und die sehen beim Weiterverkauf nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums die "volle Verantwortung" beim Verkäufer. "Unser Ziel ist es", sagt Klotz, "breite Bevölkerungsschichten mit diesem Problem vertraut zu machen und zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit Nahrungsmitteln zu bewegen."

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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