Marlene Dumas im Haus der Kunst:Die Kunst hat viele Gesichter

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Begegnung mit den alten Meistern: Eine Ausstellung im Haus der Kunst konfrontiert die Malereien von Marlene Dumas mit altniederländischen Kopfstudien.

Kia Vahland

Im Bildnis zeigt die Kunst ihr Gesicht. Ihr jeweiliges Menschenbild entscheidet sich im Umgang mit dem Antlitz: Will sie den Menschen erkennen oder über ihn verfügen, ihn idealisieren oder demaskieren, wünscht sie ihn herbei oder will sie ihn abschaffen und durch sein Abbild ersetzen? So oder so, im Porträt offenbart sich der Künstler als Beziehungstäter. Sobald ein Fremder für ein Kunstwerk seinen Kopf hinhält, fällt alles Gerede von der kreativen Autonomie, der Einsamkeit vor der Staffelei in sich zusammen. Es geht immer nur um Dich und Mich und den Raum dazwischen.

Eine Szene von der Ausstellungseröffnung "Marlene Dumas und die alten Meister". (Foto: Robert Haas)

Marlene Dumas gehört zweifellos zu den wenigen Zeitgenossen, denen auch heute noch mit Pinsel und Palette Menschenbilder von existenzieller Notwendigkeit gelingen: weinende, lachende, grinsende, wütende Wesen, lila angelaufen wie ihr Freund, der unbeirrte 'Moshekwa' (2006) oder mit weggeheulter Nase wie das Mädchen aus 'Waterproof Mascara'. Geblendet wie der blanke Weißschädel 'The Neighbour' (2005) von Theo van Goghs Mörder, ein Gesicht ohne eigene Lebensspur. 'Naomi' (1995) dagegen, das Supermodel, begegnet dem Betrachter mit wissendem Blick unter traurig-schweren, sehr bunten Lidern. Und Jesus, in Serie aquarelliert, darf bei der Künstlerin so gut wie jede Miene aufsetzen.

Dumas malt stets nach Fotografien. Sie braucht die physische Distanz zum Abgebildeten, dessen Urteil sie sich verweigert. Ihre Figuren entfernen sich vom Vorbild und führen auf Papier und Leinwand ein Eigenleben, das sich wohl auch ihrer Schöpferin entzieht. Manchmal ist sie unglücklich mit einem Blatt, durchlöchert es und legt es auf ein anderes, so dass Fratzen wachsen oder ein Hinterteil mit einem Mädchenkopf fusioniert. Permanent gefährdet die Künstlerin ihre Figuren mutwillig, und sei es, indem sie ihr Kind auf den Gesichtern herumkritzeln lässt. Das aquarellierte Papier wellt sich unter ihren Händen und wird genau so windschief später auch aufgehängt. Verletzlich ist der Menschenkopf, aber er hält auch so einiges aus.

Ihre Bildnisse reduzieren Gesichter auf ihre Grundzüge, lösen dann aber die so entstandenen Masken in starken Emotionen auf. Porträts im klassischen Sinne sind sie nicht, weswegen das Haus der Kunst in München nun auf die Idee kam, Dumas" Gestalten nicht mit alten Herrscherköpfen zu konfrontieren, sondern mit Tronien aus dem 17. Jahrhundert.

Eine Tronie ist eine meist niederländische Gemütsstudie etwa aus dem Atelier Rembrandts, die nach oft namenlosen Modellen zu Studienzwecken gemalt und gezeichnet wurde. Die Künstler konnten sich ohne repräsentative Pflichten auf Körper und Seele konzentrieren und nach dem Allgemeinmenschlichen im Tagelöhnergesicht fahnden.

Bloß hat sich die Idee von der menschlichen Natur in den vergangenen drei bis vier Jahrhunderten gründlich verändert, vom Kunstbegriff zu schweigen. Und es macht einen Unterschied, ob man wie der unbekannte Rembrandtschüler jede Furche im Gesicht einer posierenden Alten abmalt (um 1630), oder sich wie Dumas über ein Foto beugt und das Gesicht von 'Shelley' (um 1975) zerkratzt - auch wenn sich in diesem Fall die Ergebnisse auf den ersten Blick ähneln.

Der direkte Vergleich zwischen Altem und Aktuellem ist bei Ausstellungsmachern seit einiger Zeit populär, und in den allermeisten Fällen beleidigt er beide Seiten. Welcher Jungstar könnte es mit Adolph Menzels fulminanten Zeichnungen aufnehmen, die auf der Berlin-Biennale dieses Jahr wohlweislich räumlich separat gezeigt wurden? Und was bleibt noch von den Altdeutschen übrig, die Miroslaw Balka kürzlich in der Kunsthalle Karlsruhe mit Gittern verstellte? Auch in München funktionieren die Paarungen nur bedingt, weil etwa Michael Sweerts" detailtreue Kopftuchdame offenkundig andere Probleme hat als die Haltbarkeit von Wimperntusche.

Löst man sich aber vom Anspruch auf Vergleichbarkeit und genießt gerade die ästhetischen Differenzen, so eröffnet sich ein beschwingender Reigen menschlicher Charaktere. Die großzügige Hängung lässt den Figuren Raum, zumal Dumas" Großformate so hoch angebracht sind wie früher die Tronie. Keine Ahnengalerie ist zu erleben, sondern ein lockeres Treffen unverwechselbarer Typen.

Wenn etwas die Wahlholländerin Dumas mit den alten Niederländern verbindet, dann ist es ihr Respekt für die besondere physische Präsenz gemalter Gesichter, die ein Künstler nie gänzlich in seine Gewalt nehmen kann. Vielleicht werden die Mienenspiele Naomi Campbell, Saddam Hussein und der Bäuerin aus dem 17. Jahrhundert nicht gerecht. In der Kunst aber leben diese Gestalten auf eigene Rechnung und wüten, trauern, lachen stellvertretend nicht für den einen Menschen, sondern für alle.

© SZ vom 30.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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