Fröhliche Lebensbejahung:Dicke sind ein Segen für das Land

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Wo man so sitzt, da lass dich ruhig nieder: Bierbänke halten eine Menge aus. (Foto: Imago)

Die OECD warnt, dass die Zahl der übergewichtigen Deutschen rapide wächst. Aber der Münchner weiß: Wenn er am Biertisch Spaß haben will, setzt er sich am besten zu den nicht ganz so Schlanken.

Von Wolfgang Görl

Während des tollen Sommers, der in diesem Jahr die Münchner beglückte, hatte man abends oft Schwierigkeiten, im Biergarten einen freien Tisch zu finden. Meist blieb nichts anderes übrig, als sich irgendwo dazuzusetzen, was ein heikles Unterfangen ist, weil man ja nicht weiß, an wen man gerät. Ein Abend in Gesellschaft von Miesepetern oder notorischen Besserwissern kann ganz schön zäh werden, da hilft auch kein Bier, um bei Laune zu bleiben.

Genau wie bei der Wahl des Ehepartners ist bei der Wahl der Zechkumpane höchste Aufmerksamkeit geboten. Erfahrene Biergartengänger halten sich an eine Faustregel, die nicht immer, aber meistens zu erfreulichen Erlebnissen führt: Sitzen Frauen und Männer am Tisch, deren Körper nach dem Bild des sympathischen Galliers Obelix geformt sind, dann nichts wie hin. Erfahrungsgemäß sind das lustige Leute, die zu feiern verstehen und Fremde als Chance betrachten, ihre alten, aber immer noch guten Sprüche in die Runde zu werfen.

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"Weil's jetzt eh wurscht is"

Kleinere Malheurs, etwa wenn ein Hemdenknopf wegen zu hoher Spannung abspringt, nehmen sie zum Anlass, eine zweite Portion Leberkäs zu verzehren, "weil's jetzt eh wurscht is". Unter Dicken, das zeigt sich immer wieder, bekommt das Leben eine heiter beschwingte Note. Sollte es aber nur noch einen Platz bei schlanken Menschen geben, womöglich solchen, die aussehen wie Unterwäschemodels aus einem Lifestyle-Magazin, dann hilft nur die Flucht.

Die fröhliche Lebensbejahung, zu der zumindest der maßvoll Korpulente neigt, ist selbstverständlich eine Provokation für all jene Gesundheitsapostel und Selbstoptimierungsmissionare, die jegliches Übergewicht für eine Krankheit halten. Ihnen zufolge muss sich der Dicke schämen, weil ja schon sein Bauch der fette Beweis ist, dass er keine Disziplin zu wahren versteht.

Und jetzt muss sich auch noch das ganze Land schämen, weil, wie der jüngste Gewichtsreport zeigt, die Deutschen immer dicker werden und sich mittlerweile auf Rang neun der OECD-Fettleibigkeitstabelle geschleppt haben. Nun gut, neunter Platz, das ist kein Ruhmesblatt, aber damit kann man doch leben, oder? Nein, heißt es weiter, eben nicht: Wegen der vielen Dicken sinkt die Lebenserwartung der Deutschen, denn so viel ist ja wohl klar: Der Tod raubt den Übergewichtigen die letzten Jahre und gibt sie den Schlanken.

Lieber ein bisschen mehr auf den Rippen

So einfach ist das. Leider unterlaufen dem alten Knochenmann da und dort Fehler, weshalb bei neueren Studien herausgekommen ist, dass Menschen, die etwas mehr wiegen als es die Gesundheitspolizei erlaubt, im Durchschnitt länger leben als solche, deren Body-Mass-Index ideal ist.

Wahrscheinlich gibt es inzwischen fünf neue Studien, die das Gegenteil belegen. In der Medizin, das weiß jeder Ärzte-Hopper, gehen Diagnosen in die verschiedensten Richtungen, weshalb kluge Leute nach der Maxime leben, unterm Strich ist Gesundheit Glückssache. Sei's drum. Jedenfalls sind Dicke in der Regel angenehme Zeitgenossen, in deren Gegenwart man ruhig mal einen Schweinsbraten bestellen kann, ohne an Kalorientabellen und Fettwerte erinnert zu werden.

Es mag ja gut und richtig sein, den Tag mit einer Joggingeinheit, möglichst barfuß, zu beginnen, anschließend das Frühstücksmüsli, bloß keinen Kaffee und schon gar keine Zigarette, dann auf konditionsfördernden Umwegen per Mountainbike zur Arbeit, zu Mittag Salat und Selters sowie ein leichter Verdauungslauf, abends nach Yoga und Fitnessstudio ein Glas - so viel Exzess muss sein - alkoholfreies Bier.

Wer sich dabei wohlfühlt, soll das tun. Aber wenn das alle täten, gäbe es kaum noch Dicke, und die, welche übrig geblieben wären, hätten andauernd Stress, weil sie als willensschwach, disziplinlos und gefräßig diffamiert würden. Werden sie deshalb krank, heißt es wieder, sie hätten weniger essen sollen.

Es muss, bei allem Respekt vor Selbstdisziplin und Sojawurst, deutlich gesagt werden: Dicke sind ein Segen für das Land. Sie verkörpern die Ahnung, dass es jenseits von Optimierungs- und Fitnessprogrammen, mit denen man die Konkurrenten am Arbeitsplatz aus dem Feld schlägt, noch etwas anderes gibt, eine Art von Gemütlichkeit und lässiger Hingabe an den Genuss, sei er nun ungesund oder nicht. In ihrer Gegenwart hat man eher das Gefühl, dass die Dinge ruhig mal aus dem Ruder laufen dürfen und dass man kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn die Zierpetersilie auf der Gänsekeule die einzige Salatbeilage ist.

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Für Dünne ist das Leben Pflicht, für Dicke Kür. Außerdem verfügen sie über eine erstaunlich entspannte Form von Grazie, die Schlanke selten so hinbringen. Es ist ein Jammer, dass kaum noch Fußballprofis wie der famose Österreicher Buffy Ettmayer zu sehen sind, der einen zweiten Ball unterm Trikot zu tragen schien und dennoch in der Lage war, auf zwei Quadratmetern drei Gegner auszutricksen.

Einmal, da spielte er beim VfB Stuttgart, hat ihm sein Trainer Albert Sing in der Kabine verkündet: "Buffy, du spielst nicht, du bist zu dick." Darauf Ettmayer: "Ich war schon immer so." Sing ließ nicht locker: "Nein, es gibt Bilder, da warst du dünner." Ettmayers Antwort: "Das war dann wohl mit einer Schmalfilmkamera fotografiert." Tausend Mark Strafe setzte es dafür, aber Ettmayer ließ sich nicht beirren: Genehmigte sich, so oft es ging, ein großes Filet mit Sauce béarnaise und zauberte ohne übertriebenes Herumgerenne den Ball ins Tor. Gemütlich entscheidende Treffer erzielen - das ist hohe Fußballkunst.

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Dass Dicke häufig unterschätzt werden, ist nicht zuletzt Shakespeares Schuld. Was musste er seinem Theater-Cäsar auch den blöden Satz in den Mund legen: "Lasst wohlbeleibte Männer um mich sein, mit glatten Köpfen und die nachts gut schlafen." Fett, pausbackig, verschlafen - die Diffamierung wirkt bis heute nach.

Vielleicht hätten wohlbeleibte Männer Cäsars Tod verhindert

Cäsar, der ehrgeizige Selbstoptimierer, verlangt ja nicht des Amüsements wegen der Gesellschaft übergewichtiger Römer, sondern weil er sie für tumb und harmlos hält, im Gegensatz zum brandgefährlichen Cassius, der einen "hohlen Blick" hat und gewiss einen idealen Body-Mass-Index. Wie man weiß, geht die Sache übel aus. Cäsar fällt den Dolchen der sportlich-schlanken Verschwörer zum Opfer. Ob wohlbeleibte Männer den Mord verhindert hätten, ist unter Experten strittig.

Vermutlich wird es den Dicken bald wie den Rauchern gehen: Erst bekommen sie im Wirtshaus ein Hinterzimmer zugewiesen, und am Ende müssen sie ihre Schlachtschüssel auf dem Gehsteig verzehren. Sofern nicht Männer wie Sigmar Gabriel oder Peter Altmaier das Ruder herumreißen, wird sich eines Tages eine Gesundheitskommission alte Filmklassiker anschauen, um die Körperfülle der Schauspieler zu überprüfen. Es dürfte kein Problem sein, Oliver Hardy oder Bud Spencer elektronisch zu verschlanken.

Schwieriger wäre es bei Obelix, da müssten alle Hefte neu gezeichnet werden. Ach was, Obelix ist ja gar nicht dick. Sagt er doch selbst. Und dann verputzt er drei Wildschweine. Mit so einem säße man gerne in München im Biergarten. Mit Cäsar weniger.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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