Herbst in München:Goldene Aussicht

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Jeder Sonnenstrahl wird aufgesogen: Biergartenbesucher am Seehaus im Englischen Garten. (Foto: Robert Haas)

Buntes Laub bedeckt den Boden, die Kürbiscremesuppe findet reißenden Absatz, die Vögel haben keinen Grund mehr für Radau: Ein Spaziergang durch die Stadt.

Von Stephan Handel

Wie ein beschlagener Badezimmer-Spiegel nach dem Duschen, wie eine von Eis bedeckte Windschutzscheibe liegt die Stadt unter dem Nebel, früh am Morgen schon, und wie Fön und Auto-Gebläse braucht auch die Sonne ihre Zeit, den Wasserdampf zu durchdringen. Um exakt zu sein: An diesem Dienstag geschieht das ziemlich genau um 9. 10 Uhr. Die Temperatur-Anzeige an der Apotheke drüben verkündet vier Grad Celsius, aber das wird nicht so bleiben. Vorerst aber, um mit Samuel Beckett zu sprechen, scheint die Sonne, da sie keine andere Wahl hat, auf nichts Neues.

Naja, die Elsenheimerstraße: Vielleicht nicht die beste Gegend, um nach dem Herbst Ausschau zu halten, nach den goldenen Tagen, die jetzt, Anfang November, unverhofft über die Stadt kommen. Hier stimmt, zumindest um kurz nach neun, wenigstens die Bestrahlung von oben, und unter Schal und Jacke merkt der Radfahrer schon, wie ihm stetig wärmer wird. An der Hansastraße wird bereits ein Christbaumverkauf angekündigt, aber das kann ja wohl nicht wahr sein. Acht Grad, Tendenz steigend.

Herbst-Spaziergang
:Goldene Aussicht in München

Morgens dichter Nebel, dafür mittags umso sonniger: Der Herbst zeigt sich im November von seiner schönsten Seite.

Am Flaucher, das Gras ist noch nass vom Tau. Nahe dem Ufer glitzert's durchsichtig, Wasser tropft zu Boden - nein, keine Eisscholle, die Scherben einer Flasche von gestern: Captain Morgan. Die Pappkarton-Wohnungen unter der Reichenbach-Brücke sind verlassen, und auch sonst ist nicht viel los - ein paar Hunde sind völlig damit beschäftigt, jeden einzelnen Baum am Weg zu düngen, und im vollen Sportler-Ornat läuft eine Frau vorbei, beim Langlauftraining, allerdings hat sie die Ski vergessen.

Ansonsten nicht viel los - die unglückliche Lage der Alpen hat es mit sich gebracht, dass die Isar München von Süden nach Norden durchquert, mit der Folge, dass das freizeitgestalterisch erschlossene Ostufer morgens im Schatten liegt. Und wer will schon im Schatten sein, wenn im November die Sonne scheint?

Der Münchner fährt ohne Verdeck

Die vier Herren, die sich kurze Zeit später am Gärtnerplatz zu einem zweiten Frühstück treffen - Adelskronen Premium Pils, gibt's drüben bei Penny für 29 Cent die Halbe -, die vier Herren jedenfalls sitzen lieber im Licht, was zur Folge hat, dass sie von Zeit zu Zeit ein Stückerl weiterrutschen müssen im Mittelrondell.

Das Restaurant "Del Fiore", das frühere "Interview", lässt aus dem gleichen Grund seine Freischankfläche noch unbespielt, aber Schweini, der da öfter mal zum Frühstücken hinging, lebt ja eh nicht mehr hier. Die vier Herren haben schwere Themen, zum Beispiel: dass das Leben viel teurer ist, wenn man keine Arbeit hat, weil dann mehr Zeit zum Geldausgeben bleibt.

Außerdem: Früher war sowieso alles besser. "Früher" antwortet einer der Männer auf diesen Einwurf, "früher ist noch die Tram um den Gärtnerplatz gefahren." Das waren noch Zeiten. Heute biegt stattdessen und gerade in diesem Moment ein Käfer Cabrio auf den Platz, wie ein Beweis: Der Münchner fährt ohne Verdeck, sobald's nur geht. Zehn Grad sind's aktuell, keine Wolke am Himmel.

Kein Herbst auf dem Viktualienmarkt

Was macht der Innenstadt-Arbeiter bei diesem Wetter mittags, wenn er nicht gerade Cabrio fährt? Er geht auf den Viktualienmarkt, natürlich. Dort erklären Stadtführer in allen Zungen des Planenten, sogar auf Kölsch, ihren erstaunten Stadtgeführten die offensichtlich immer wieder berichtenswerte Tatsache, dass in bayerischen Biergärten der Verzehr mitgebrachter Speisen erlaubt sei.

Drüben an der Suppenküche ist das natürlich nicht so, dass Herbst ist, zeigt sich dort daran, dass der Gazpacho von der Karte verschwunden ist, jetzt gibt's saures Lüngerl. Überhaupt ist am Viktualienmarkt wenig zu sehen und zu spüren vom saisonalen Angebot, und die Antwort der Standlfrau auf die Frage, warum das so sei, ist vorhersehbar: "Mei, de Leid wolln des ganze Jahr alles." Und sie bekommen's, dank Treibhauszucht und internationalem Flugverkehr - Erdbeeren und Ananas und Pfirsiche und Spargel und Auberginen und Grünkohl.

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Viele reiben sich am Herbst, bei manchen ist es Hassliebe. Doch bei diesen Bildern aus aller Welt kann man den immer kürzer werdenden Tagen kaum mehr böse sein.

Der Viktualienmarkt ist ein zeitloser Ort, und das ist vielleicht in diesem Zusammenhang nicht nur eine Auszeichnung. Gut, die Kürbisse sind extra herausgestellt, aber das mag andere Gründe haben als saisonale. (Man müsste eine Erhebung machen, wie viele Frauen und wie viele Männer in der Suppenküche die Kürbiscremesuppe wählen. Schätzung: 80 Prozent weiblich.)

Einen durchaus herbstlichen Eindruck machte das anscheinend erhöhte Angebot an Steinpilz, 15 Euro das Pfund, aber die Nachfrage bei einem Koch ergibt, dass dessen Saison eigentlich auch schon vorbei ist. Kein Herbst also auf dem Viktualienmarkt. Außer den Leuten, die bejackt im Biergarten sitzen. Manche haben eigenes Essen dabei, manche nicht.

Vögel sind auf dem Weg in den Süden

Der Herbst liegt in der Luft, er steht am Himmel und er bedeckt vielhundertfarbig den Boden. Zum Beispiel nachmittags im Englischen Garten. Da sieht aus der Ferne der eingerüstete Monopteros aus wie ein im Abriss stehendes Atomkraftwerk, der Biergarten am Chinesischen Turm hat sich kleiner gemacht und ist deswegen ganz gut gefüllt, jedenfalls auf den sonnigen Plätzen.

Im Seehaus sitzen Abiturienten an der Kasse und denken mit schlechtem Gewissen an den Abgabetermin ihrer Seminararbeit. Nun allerdings fällt auf, was den ganzen Tag schon hätte auffallen können: Es ist tatsächlich kein einziger Vogel zu hören. Ein Fachmann in diesen Dingen klärt auf, dass erstens die Paarungszeit vorbei sei, so dass es keinen Grund mehr gibt, Radau zu machen. Und dass zweitens viele Vögel sich auf den Weg in den Süden gemacht haben, wie es ihrer Natur entspricht, eine Migrationsbewegung in umgekehrter Richtung wie die der Menschen.

Fingerdick liegt das Laub auf den Wegen

Wenigstens eine harte Nachricht ist mittlerweile eingetroffen: Was geschieht eigentlich mit dem ganzen Laub? Das Baureferat der Stadt, das dafür zuständig ist, teilt mit, dass die Straßenreinigung im Jahr etwa 7000 Kubikmeter alte Blätter einsammelt, die 4000 Tonnen wiegen und von 150 000 Straßenbäumen stammen.

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Nicht ausgeschlossen werden könne allerdings, dass sich auch Laub von Bäumen auf Privatgrund unter das öffentliche Laub mischt, es wird jedoch offenbar nicht anders behandelt: kompostiert nämlich zum Großteil. Ein Teil des anfallenden Laubes darf aber auch liegen bleiben, der Tierwelt als Heim und Nahrung, zur Anreicherung des Bodens durch Verrottung.

Im Hirschgarten haben sie das ein bisschen sehr genau genommen. Oder sie sind noch nicht zum Laubrechen gekommen. Fingerdick liegt es auf den Wegen, so dass es aussieht wie im Vorgarten eines nachlässigen Hausherren mit unfolgsamen Söhnen. Zuvor gab's vor der Niederlassung des Deutschen Wetterdienstes in der Dachauer Straße den Herbsttag noch einmal auf einem Display in allen Daten zusammengefasst: 12 Grad Celsius, Luftdruck 1019 Hektopascal, Wind Nordost mit 7,4 km/h.

Ein Traumtag von früh bis spät

Und dann geschieht wirklich, um kurz vor fünf, der Untergang der Sonne, was ja ein viel zu katastrophierender Ausdruck für eine eigentlich positive Gewissheit ist: dass die Erde sich weiterdreht. Um auf den Deutschen Wetterdienst zurückzukommen: In New York war's so ähnlich wie in München, wolkenlos, zehn Grad, während es auf den Seychellen wolkig war, wenn auch bei 30 Grad.

Es gibt ja Leute, die sich beklagen, das Wetter sei nicht mehr so gut, seit es nicht mehr vom Kachelmann komme. Für die erste Novemberwoche, speziell für den Dienstag stimmt das definitiv nicht, das war ein Traumtag von früh bis spät. Vielleicht gibt es ja heute noch einmal so einen.

© SZ vom 05.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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