SZ-Adventskalender:Verzockt

Lesezeit: 2 min

Eine 71-jährige Rentnerin kann nichts für ihre Misere, Schuld ist ihr Sohn. Doch mit der Not leben muss sie

Von Markus Mayr, Ottobrunn

Nach Abzug der Miete bleiben der Rentnerin 350 Euro im Monat. Wohnungen sind nicht günstig in Ottobrunn. Von dieser Summe muss Eva Planck, die eigentlich anders heißt, neben Essen und Kleidung noch die Stromrechnung bezahlen, die Telefongebühren und ihre Haftpflichtversicherung. "Ich fahre viel Fahrrad", sagt die 71-Jährige. Da könne immer mal was passieren. Was passiert ist der Mutter zweier Söhne auch, als einer von ihnen an der Börse spekulierte und das Elternhaus seiner Mutter verlor.

Während Planck diese Geschichte erzählt, sickern Tränen in ihre Augenwinkel. Die Worte kommen ihr nicht leicht über die Lippen, denn sie liebt ihre Söhne. Auch den einen. Das schwingt in ihrer Stimme mit, wenn sie sagt: "Er hat das doch nicht böse gemeint." Die gute Absicht ändert allerdings nichts daran, dass ihr Sohn sie arm gemacht hat. Sie hatte ihm das Haus überschrieben, wohnte mit ihm darin. Er verfiel der Alkoholsucht und spekulierte an der Börse. Als nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 auch seine Wertpapiere auf einmal nichts mehr wert waren, hatte er nahezu allen Einsatz verloren. Seitdem hat Planck finanziell echt zu knabbern. Ohne die Tafel der Caritas, sagt die Rentnerin, und die Kleiderkammer der Arbeiterwohlfahrt sowie die mobile Werkstatt, die ihr mal das Fahrrad repariere, käme sie nicht über die Runden.

"Ich bin bescheidener geworden", sagt Planck. Danach gefragt, was ihr so fehle, antwortet sie: "Eigentlich geht mir nichts ab." Häppchenweise rückt sie dann doch raus mit ihren Wünschen:"Neue Möbel wären toll." Pause. "Oder eine kurze Reise." Wohin? "Nach Rom vielleicht. Ich war überhaupt noch nicht großartig weg." Die Möbel seien außer das Bett alle gebraucht. Und Rom solle schön sein.

Die 71-Jährige verdiente als Schneiderin nie viel Geld, konnte nur wenig in die Rentenkasse einzahlen. Gemeinsam mit der Familie würde sie es schon schaffen, dachte sie. Doch Plancks Ehemann trennte sich von ihr als die beiden Söhne Jugendliche waren. Dann erkrankte Plancks Vater an Diabetes, verlor ein Bein. Sie pflegte ihn zu Hause, konnte derweilen nicht arbeiten. Als der Vater 1996 starb, erbte sie das Haus und, gutmütig wie sie ist, überschrieb sie es an den einen ihrer Söhne. Der musste es wenige Jahre später verkaufen, um seine Schulden zu tilgen. Sie musste umziehen in eine Wohnung im vierten Stock, wo sie jetzt alleine mit ihrer Katze lebt. "Wie ein Käfig" fühle sich die Wohnung an, so Planck, nachdem sie jahrelang in einem Haus mit Garten gewohnt habe.

Seit vier Jahren geht die Rentnerin nun schon zur Tafel. Anfangs sei jeder Gang zur Tafel begleitet gewesen von dem Gefühl: "Oh Gott, hoffentlich sieht mich keiner", sagt sie. Doch mittlerweile stehe sie da drüber. Andere Tafelbesucher seien inzwischen ihre Freunde geworden. Die Freunde aus finanziell besseren Zeiten habe sie auch noch, erzählt sie. Mit Ausnahme derer, die ihr gesagt hätten, dass sie mit so einem Sohn nichts mehr zu tun haben wollten. Von denen hat sie sich getrennt. Den Sohn verstoßen, das könne sie nicht. Sie ist guter Hoffnung, dass er den Alkoholentzug durchhält, den er derzeit macht. Unter nüchternen Umständen könnte er sein Leben in den Griff kriegen. Zum Wohle seiner Mutter und 16-jährigen Tochter.

Die 71-Jährige freut sich auf Heiligabend, den will sie bei ihren Söhnen verbringen. Doch länger als eine Nacht könne sie nicht bleiben, ihre Katze will gefüttert werden. Manchmal sei das Tier recht heikel mit dem Essen. Dann sage sie ihr: "Ich muss auch das von der Tafel essen. Hab dich nicht so." Ob die Katze das versteht, ist fraglich. Was allerdings versteht, wer Plancks Geschichte kennt und ihre genügsame Einstellung: Nach Abzug allen Geldes vom Leben bleibt von letzterem noch eine ganze Menge übrig.

© SZ vom 08.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: