Streit um Schulwegkosten:Pullacher fordert Gerechtigkeit

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Seit drei Jahren streitet sich ein Vater mit dem Landkreis München. Es geht um 37,40 Euro im Monat - Schulwegkosten, die er ersetzt haben will. Morgen wird verhandelt. Verliert der Landkreis könnte es teuer werden.

Von Ulrike Schuster, Pullach

Es geht um 37,40 Euro, so viel kostet die Fahrt von zu Hause in die Schule und wieder zurück, jeden Monat. Schulwegkosten, um die heftig gestritten wird: Vater Norbert Schwaiger aus Pullach will die Summe vom Landkreis München erstattet haben. In doppelter Höhe, weil Sohn und Tochter betroffen sind und mal 36 Monate, weil sich die Zahl-Schuld rückwirkend auf die letzten drei Jahre erstreckt. Macht summa summarum rund 2500 Euro.

Seit 2013 reicht Schwaiger, 52, jedes Jahr zwei Klagen ein, eine pro Kind, sechs Stück liegen dem Verwaltungsgericht Bayern mittlerweile vor, am Dienstag sehen sich die Parteien vor Gericht. Verliert Kläger Schwaiger, ist er um 150 Euro Verfahrenskosten ärmer. Verliert der Landkreis, könnte es richtig teuer werden, denn dann bekäme nicht nur Familie Schwaiger ihr Geld zurück, auch viele andere Familien könnten Anspruch erheben; und zwar nicht nur im Landkreis, sondern in ganz Bayern. Ein Kosten-Tsunami würde über die Haushalte fegen.

Rund 19 000 Schüler besuchen im Landkreis München eine weiterführende Schule. Von diesen haben im Schuljahr 2015/16 nicht einmal die Hälfte, nämlich 9000, einen Antrag auf Erstattung der Fahrtkosten eingereicht. Gut möglich, dass die anderen 10 000 passiv blieben, weil sie - wie die Schwaigers - nicht die nächstgelegene Schule besuchen.

Wie weit reicht der Beförderungsanspruch?

Dieses Wörtchen dürfte in der Causa entscheidend sein: nächstgelegen. Nach dem Gesetz über die Kostenfreiheit des Schulwegs und die Verordnung über die Schülerbeförderung haben Schüler öffentlicher und staatlich anerkannter weiterführender Schulen bis zur 10. Klasse einen Beförderungsanspruch zur nächstgelegen Schule. Das ist diejenige, die mit den geringsten Kosten zu erreichen ist. Diesen Transport zahlt der Staat, aber auch nur den. Es geht um zukunftstragendes Planen und darum, Geld verantwortungsbewusst auszugeben. Das ist der Standpunkt des Landkreis.

Für die Schwaiger-Geschwister Jacob und Fanny, 13 und 16 Jahre alt, wäre die Joseph-von-Fraunhofer-Schule, die staatliche Realschule, die nächstgelegene. Das sind sechs Kilometer Schulweg, 25 Minuten Fahrzeit von der S-Bahn-Station Pullach bis zur U-Bahn-Station Fürstenried West, macht ein Mal Umsteigen und 37,40 Euro für die MVG-Monatskarte.

Die Schwaigers wählten aber die Realschule in Wolfratshausen. Die liegt 23 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt, ist damit vier Mal weiter weg als die FraunhoferSchule und macht das Ticket doppelt so teuer - 78,90 Euro im Monat. Dafür bietet die Wolfratshauser Schule aus Sicht der Schwaigers einen entscheidenden Vorteil: Die Kinder müssen nicht umsteigen. "Die Zwei steigen ein in die S-Bahn und nach 22 Minuten wieder aus", sagt der Vater. "Kleine Zwergerl müssen auf unkompliziertem, bequemen Weg zur Schule kommen."

Das Gerechtigkeitsempfinden ist gestört

Die 41,50 Euro monatlichen Mehrkosten für die Wunschschule nimmt Vater Schwaiger gerne in Kauf. Was ihn stört, sind die so genannten "fiktiven Beförderungskosten", diese 37,40 Euro, die er anstandslos bekäme, würden seine Kinder die nächstgelegene Realschule besuchen. Das fühle sich nicht richtig an, "das stört mein Gerechtigkeitsempfinden", sagt der Kaufmann. Schwaigers Logik ist simpel: Wer den Extra-Weg wählt, zahlt die Extra-Kosten. Die nächstgelegenen Kosten aber, die das Land Jedermann erstatten würde, dürften beim Extra-Weg für die Extra-Eltern nicht gestrichen werden.

Es gehe ihm ums Prinzip, um den Gleichheitsgrundsatz, nicht ums Geld, sagt Schwaiger, und dann aber auch: "Warum dem Staat Geld schenken?"

Für Schwaigers Anwältin Kerstin Baltz, 55, ist die Sache glasklar: "Hier werden die Eltern bestraft, die von ihrem Recht und ihrer Freiheit Gebrauch machen, ihre Kinder auf die Schule zu schicken, die sie für die richtige halten", sagt. Der Staat bereichere sich an ihnen.

Sie verweist auf Lippstadt und Nordfriesland, Landkreise im Westen und Norden Deutschlands, die die "fiktiven Schulwegkosten", das "erstattungswürdige Beförderungsgeld" übernehmen. "Auch im Landkreisvergleich liegt also eine Ungleichbehandlung vor." Bloß, Bildung ist Ländersache, der Schulweg gehört dazu, ungleich zu entscheiden, verschiedene Konzepte zu verfolgen, gehört so sehr zum deutschen Bildungssystem, wie der Föderalismus zu Deutschland.

Die Sache beschäftigte schon das Verfassungsgericht

Wie Bayern mit "fiktiven Schulwegkosten" verfahren will, hat die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs in der Vergangenheit mehrfach entschieden: Ein Anspruch auf die Kostenfreiheit des Schulwegs besteht nicht. Werde vom Recht der Schulwahl in der Weise Gebrauch gemacht, dass nicht die nächstgelegene Schule besucht wird, könne dem Schüler und seinen Eltern ohne Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz zugemutet werden, die finanziellen Folgen dieser Entscheidung selbst zu tragen. So heißt es in der Begründung der Gerichte.

Vielleicht wollen sich die Verantwortlichen im Landkreis, deshalb aktuell nicht zu diesem Fall äußern. Man vertraut auf das, was schon immer so gemacht und verteidigt wurde.

© SZ vom 17.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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