Pullachs grüne Bürgermeisterin:Susanna Tausendfeind

Lesezeit: 5 min

Grüne Realitäten? Susanna Tausendfreund, im Hobby um manche Zaubertricks nicht verlegen, hat sich in Pullach augenscheinlich verheddert. Illustration: Alper Özer/SZ (Foto: N/A)

Die einstige Grünen-Landtagsabgeordnete war vor zwei Jahren von vielen Erwartungen begleitet ins Pullacher Rathaus eingezogen. Doch inzwischen stößt Susanna Tausendfreund auf Widerstände.

Von Martin Mühlfenzl, Pullach

Es ist eine herrlich absurde Szene, wie aus einer Serie von Franz Xaver Bogner: Da sitzt ein oberbayerischer Gemeinderat im Rathaussaal, wirft immer wieder verstohlen Blicke auf das Smartphone und macht sich Notizen in seinen Unterlagen. Ziffern, Zeitangaben. Denn auf seinem Telefon läuft die Stoppuhr und die misst die Redezeit der Bürgermeisterin - auf die Sekunde genau.

Was wie aus einem Drehbuch des Regisseurs von Irgendwie und Sowieso und Der Kaiser von Schexing klingt, ist eine reale Begebenheit aus dem Pullacher Gemeinderat. Und Ausdruck des Misstrauens, mit dem manche Gemeinderatsmitglieder ihrer Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund seit einiger Zeit begegnen. "Frau Tausendfreund sagt immer wieder, die Sitzungen müssten gestrafft werden. Es werde zu viel gequatscht", sagt ein Gemeinderat. "Aber sie ist diejenige, die mit ihrer Verwaltung jeden Punkt bis ins Unendliche auswalzt."

Tiefe Gräben zwischen den politischen Akteuren

In Pullach ist in den vergangenen Monaten Erstaunliches vor sich gegangen. Und das hat tatsächlich viel mit Kommunikation zu tun - respektive mit nicht funktionierender. Es haben sich tiefe Gräben zwischen den politischen Akteuren aufgetan, aber es haben auch ehemalige Freunde, die sich vor und nach der Kommunalwahl 2014 auf einmal spinnefeind waren, wieder zueinander gefunden.

Im Zentrum der Entwicklungen steht Susanna Tausendfreund. Die prominente Grünen-Politikerin war bei ihrer Wahl angetreten, um Pullach nach eigenen Worten "weltoffener zu machen und die Politik transparenter zu gestalten". Doch das fällt ihr, zwei Jahre nach dem 70-Prozent-Triumph, zunehmend schwerer. Die vergangenen Wochen haben Spuren hinterlassen. "Es hat mich schon vieles wirklich ins Mark getroffen", gibt die Grüne zu.

Vordergründig ging es im Gemeinderat zuletzt um den Haushalt. Um ein Werk aus mehreren hundert Seiten, das die Finanzen einer der reichsten Kommunen der Republik regelt. Was Susanna Tausendfreund so sehr irritierte, war die Gemeinderatssitzung vor etwas mehr als zwei Wochen. Da ließ das Gremium mit den Stimmen von CSU, FDP und den CSU-Dissidenten von "Wir in Pullach" (WIP) den Etatentwurf durchfallen - obwohl, wie Tausendfreund sagt, eine einstimmige Beschlussvorlage des Finanzausschusses vorlag.

Genau an dieser Darstellung wird deutlich, wie sehr es in der politischen Gemeinde mit der Kommunikation hapert. Denn einstimmig, sagt etwa FDP-Gemeinderat Alexander Betz, sei diese Empfehlung nicht gewesen. Vielmehr hätten die Gemeinderäte von CSU, WIP und FDP darauf bestanden, die Bürgermeisterin müsse Stellen in der Verwaltung streichen. Nur in diesem Fall hätte sie mit der Zustimmung der drei Parteien rechnen können. Tausendfreund sagt indes, alle Fraktionen hätten ihr Wohlwollen signalisiert. So stehe es auch im Protokoll.

Nun werden die Sitzungen der Ausschüsse und des Gemeinderates in Pullach nicht nur schriftlich protokolliert, sondern auch mit Tonbändern aufgezeichnet. Vor der Gemeinderatssitzung am vergangenen Dienstag aber wurde den Gemeinderäten per Sitzungsvorlage mitgeteilt, dass die Tonbänder aus jener denkwürdigen Ausschusssitzung angeblich nicht auszuwerten seien. Die Qualität sei zu schlecht.

Daher ist nicht mehr nachzuvollziehen, wer nun wirklich wie abgestimmt oder interveniert hat. "Und das ist schon mehr als fragwürdig und ein komisches Signal", sagt WIP-Gemeinderat Johannes Schuster, der auch die Sitzungskultur im Allgemeinen heftig kritisiert: "Es fehlt der Respekt und die Bereitschaft, auch andere Meinungen anzuerkennen. Stattdessen fallen immer wieder beleidigte, persönliche Angriffe. Das gab es so früher nicht in Pullach." Auch die Bürgermeisterin müsse auf die sachliche Ebene zurückkehren. "Ihre Aufgabe ist es zu moderieren und zu gestalten", sagt Schuster. "Aber davon merkt man nicht viel."

Im Landtag waren die Fronten klarer

Susanna Tausendfreund dagegen ist die harte persönliche Auseinandersetzung nicht fremd. Sie saß viele Jahre für die Grünen im Landtag und ritt selbst manch harte Attacke gegen die CSU. Umgekehrt war sie Ziel von deren Gegenangriffen. Das Leben als Oppositionspolitikerin im Maximilianeum war aber dennoch einfacher, die Fronten klarer: Von ihrem Platz im Plenum hatte sie den politischen Gegner immer direkt im Blick. Nur wenige Meter entfernt auf der anderen Seite des Saals auf der Regierungsbank. Tausendfreund konnte dort viele Jahre knallhart grüne Politik vertreten und kompromisslos für die eigenen Überzeugungen kerzengerade einstehen, ohne dabei Rücksicht auf die anderen Fraktionen nehmen oder gar Mehrheiten suchen zu müssen.

"Hier treffen Welten aufeinander": Alexander Betz (FDP). (Foto: Angelika Bardehle)

Dieses sorgenfreie Leben hat die Grüne gegen den Rund-um-die-Uhr-Job als Bürgermeisterin eingetauscht. Sie sitzt seitdem gewissermaßen selbst auf der Regierungsbank. Allerdings fehlt ihr dort, was die CSU in Bayern quasi als gottgegeben ansehen darf: eine eigene Mehrheit. Fünf Parteien sind im Pullacher Gemeinderat vertreten, die Stimmen von drei sind nötig, um Entscheidungen durchsetzen zu können. Denn Tausendfreund und ihre Grünen verfügen mit den Sozialdemokraten um Ehemann Odilo Helmerich nur über acht der 20 Sitze im Gemeinderat.

Tausendfreund sagt aber auch, sie habe den "zeitlichen Aufwand" des Jobs unterschätzt. Dennoch: "Ich möchte nicht wieder zurücktauschen. Ich will etwas bewegen - und in der Kommunalpolitik lässt sich sehr konkret gestalten." Nur was will die Rathauschefin gestalten? Und lassen sich ihre Vorstellungen in ein von der Mehrheit akzeptiertes Konzept gießen?

Pullach ist eine Gemeinde im Zwiespalt. Konservativ, traditionell, aber auch grün, ein wenig alternativ. Ungeheuer wohlhabend, dadurch aber auch direkt konfrontiert mit den Nachteilen der prosperierenden Metropolregion: explodierende Immobilienpreise, steigende Armut. Der Isartaler Tisch etwa kann sich über Arbeit wahrlich nicht beklagen.

"Hier treffen Welten aufeinander", sagt FDP-Gemeinderat Betz. "Auch im Gemeinderat." Sein grüner Kollege Fabian Müller-Klug bestätigt: "Bei bestimmten Themen wird es dogmatisch. Und die überlagern momentan die ansonsten konstruktive Arbeit." Konkret geht es um den sozialen, gemeindlichen Wohnungsbau und die Unterbringung von Flüchtlingen.

Die Dreier-Koalition ließ die Rathauschefin auflaufen

Auf eine Initiative der SPD ging ein Vorstoß Tausendfreunds zurück, den Wohnungsbau in Pullach zu intensivieren; speziell ein Projekt auf Grundstücken an der Heilmannstraße wollte sie mit Fördermitteln des Freistaats groß aufziehen. Doch schon damals ließ die Dreier-Koalition aus CSU, WIP und FDP die Rathauschefin gnadenlos auflaufen, konfrontierte sie erst zu Beginn der entscheidenden Gemeinderatssitzung mit einer eigenen Tischvorlage, die eine radikale Abkehr von Tausendfreunds Plan darstellte - und blamierte die Bürgermeisterin.

"Sie treiben sie gnadenlos vor sich her", sagt der Chef der Grünen im Kreistag, Christoph Nadler, ein langjähriger Parteifreund und Weggefährte Tausendfreunds. "Sie sucht sich keine Mehrheiten und versucht, ihre Vorstellungen durchzubringen", sagt indes FDP-Gemeinderat Betz, der zugleich auch einer von Tausendfreunds Stellvertretern im Bürgermeisteramt ist. "Groß angelegter sozialer Wohnungsbau ist in Pullach nicht mehrheitsfähig. Das muss sie einfach wissen." Sein grüner Kollege Müller-Klug kontert: "Sie hat ein Gespür für Stimmungen. Sie sucht das Gespräch. Aber manche wollen es, so hat es den Anschein, nicht annehmen."

Auch bei der Suche nach Standorten für die Unterbringung von Flüchtlingen in Pullach gerieten die Gespräche immer wieder ins Stocken - manchmal sogar außer Kontrolle. Selbst dem so besonnenen CSU-Landrat Christoph Göbel war phasenweise anzumerken, wie sehr ihm das unwürdige Geschacher im Pullacher Gemeinderat um Plätze, Quoten und Standorte auf die Nerven ging. Es gipfelte schließlich im Vorschlag von CSU-Fraktionssprecher Andreas Most, Schutzsuchende in der Gemeinde in Bierzelten unterzubringen.

Tausendfreund ist offenbar nicht zu Deals bereit

Es hat den Anschein, als würde es der Bürgermeisterin nicht gelingen, Debatten zu kontrollieren. Allerdings tragen auch CSU und WIP, bei der Kommunalwahl vor zwei Jahren noch regelrecht verfeindet und nun in der Opposition wieder vereint, ihren Teil dazu bei, dass sich manche Kontroversen nicht kontrollieren lassen.

Dennoch bleibt die Frage: Ist Susanna Tausendfreund, diese erfahrene, mit vielen Wassern gewaschene Berufspolitikerin, dem Amt vielleicht nicht gewachsen? Fehlt der ehemaligen Abgeordneten die nötige Autorität, um ohne eigene Mehrheit selbst bei höchst umstrittenen Themen wenig umstrittene Ergebnisse herbeiführen zu können? Offen will diese Frage niemand beantworten. Nur hinter vorgehaltener Hand: "Es wird ewig so weitergehen und für sie äußerst schwierig bleiben, wenn sie sich nicht bewegt." Soll heißen: auf Positionen der Kontrahenten eingeht. Wer in der Politik, gerade auch in der Kommunalpolitik, etwas erreichen wolle und dafür Mehrheiten brauche, müsse Kompromisse suchen und dem politischen Gegner auch etwas anbieten, erklärt ein Kenner die in seinen Augen einzig richtige Strategie. Zu solchen Deals ist Tausendfreund aber offenbar nicht bereit.

Sie dementiert das. "Wir müssen weiter reden, im Gespräch bleiben." Ihren Haushalt hat sie übrigens am Dienstag durchbekommen. Nach unendlich langen, kräftezehrenden Debatten und vielen persönlichen Attacken, die wie Giftpfeile durch den Sitzungssaal schwirrten. Tausendfreund hat daraus eine Lehre gezogen. Sie will Redezeiten begrenzen, sich selbst kürzer fassen, möglicherweise die Runde der Fraktionssprecher wieder beleben. Die Bürgermeisterin hat gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann. Der Schaden wäre zu groß. Für sie, ihre Gemeinde - und beider Ansehen.

© SZ vom 09.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: