Oberföhring:Mehr als nur Volkstanz

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Auf Besuch beim Square-Dance-Club der "Munich Dip-N-Divers" in Oberföhring

Von Ulrike Schuster und Daniel Sippel, Oberföhring

Mit Masken, Spinnen und Kürbissen im Gesicht wirbeln sie über das Parkett. Von den Decken baumeln Papp-Fledermäuse, aus den Lautsprechern tönt amerikanische Country-Musik. Toni Sedlmayer - er sieht dem Entertainer Harald Schmidt zum Verwechseln ähnlich - steht auf einem Podest und ruft: "Do-se-do, right and left grand. And promenade your partner home." Die Kommandos lässt er mit sonorer, amerikanischer Radiostimme in den Liedtext einfließen, auf sie reagieren die acht Paare. Mal laufen sie im Kreis, mal tanzen sie Rücken an Rücken oder treffen sich in der Mitte. Square Dance heißt die Performance, "Munich Dip-N-Divers" der Tanzclub, ihr Treffpunkt ist die Ranch in Oberföhring.

Sedlmayer, im echten Leben Bankangestellter, "lässt die Puppen tanzen", wie er sagt. Er meint die Square Dance-Gemeinde, es sind Menschen, die sich für den amerikanischen Volkstanz begeistern. An seinem Revers blitzen "Shingles", kleine Plaketten. "35 years Member" steht darauf, und "Club Caller". Er ist also Experte und Stimmungsmacher in einem. Seine "Calls", die Anweisungen, bestimmen, wohin die Hände und Füße der Tänzer wandern sollen, er erschafft die Choreografie. "Man muss schon genau hinhören, um zu wissen, was zu tun ist", sagt die 52-Jährige Malika, in einen Petticoat gewandet. "Das ist wie Gehirnjogging." Seit die Kinder aus dem Haus sind, tanze sie wieder mit ihrem Mann. Nie seien Sorgen und Probleme so weit weg wie beim Club-Abend.

Der 82-jährige Hanns-Dieter Keh trägt Hausschuhe, eine Fußverletzung plagt ihn. Kein Grund für ihn zu Hause zu bleiben. Er kommt jede Woche, seit 60 Jahren fordert er die Damen zum Tanz. "HDK", so nennen sie ihn, ist Ehrenpräsident der Dip-N-Divers. Als ihn ein amerikanischer Soldat 1955 zum Square Dance einlud, lehnt er ab: "Ich mach schon keinen bayerischen Volkstanz, dann erst recht nicht den amerikanischen", schildert er seine damalige Reaktion. Der Freund aus Kentucky ließ das nicht gelten, zog ihn mit. Es war der Anfang einer Liebe. Keh lernte siebzig Square-Dance-Figuren, importierte die Idee nach München, gründete den Club.

HDK zupft gerade seine Square-Dance-Kragenecken zurecht, "noch von gestern, findet man heute gar nicht mehr", sagt er, während Sedlmayer ruft: "Mal sehen, welche Schweinereien der Abend noch bringt" - möglicherweise das Stichwort für Markus Gensberger, der huscht aufs Podest, schnappt sich ein Mikro und macht den Co-Caller. Der 37-Jährige ist ein Vollblut-Squarer, wurde quasi in den Club hineingeboren. Vater Walter war im Gründer-Team, hat hier die Mutter kennengelernt. 24 Jahre später, trifft den Sohn das gleiche Glück, auf dem Parkett lernt er seine Frau kennen. Dreimal pro Woche wird Gensberger zum amerikanischen Volkstänzer und Caller. Dazu hat er sich eigens ausbilden lassen. Der Lehrmeister aus Texas formte nicht nur seine herausragende Stimme, er weckte auch die Lust des Cowboys am Umherziehen in ihm. Seitdem singt Gensberger auf den Square Dance Bühnen der Welt. "Der Square Dance ist Lebensgefühl, ein Mix aus Lockerheit und Verlässlichkeit", sagt er. "Hier zählen nicht Titel oder Posten, der Mensch ist genug."

Vielleicht sind die Square Dancer deshalb so gelassen, weil sie nichts darstellen oder beweisen wollen. In ihrer Disziplin zählt allein der Spaß, Wettkämpfe gibt es nicht. Treffen sich die Mitglieder der Clubs in Deutschland und Europa, dann nicht, um sich zu messen, sondern um zu tanzen, tagelang, von morgens bis weit nach Mitternacht. Jeder duzt jeden, jeder fordert jeden ohne Schamesröte auf; wer alleine kommt, bleibt es nicht lange.

Gabi Werthmann leitet den Club, seit fünf Jahren tanzt sie bei den Dip-N-Divers. Als junge Frau war sie Judo-Wettkampfsportlerin, später klappte es nicht mehr mit dem Aufraffen: "Ständig hatte ich eine Ausrede, es ist so leicht keine Zeit für Sport zu haben." Das änderte sich, als die Berlinerin den Square Dance entdeckte. In die Ranch komme sie bei Hagel und Sturm, noch nie habe sie eine Tanznacht ausfallen lassen. Erzählt sie das, wundert sie sich immer noch ein bisschen. Sie habe es früher genossen, am Feierabend nicht unterhalten und zuhören zu müssen. Im Club habe sie gelernt, dass Teilen und Amüsieren oft die bessere Wahl sind. Zum Mitmachen, so sagt sie, müsse man nur "bis vier zählen und geradeaus laufen können".

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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