Nachbarschaftshilfe:Mehr Zeit für den Menschen

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Die Arbeitsgemeinschaft der Nachbarschaftshilfen erfindet sich nach 20 Jahren neu. Die einzelnen Gruppen sollen enger kooperieren, damit sich die Ehrenamtlichen besser ihrer eigentlichen Arbeit widmen können

Von Markus Mayr, Landkreis

Arge Nachbarschaftshilfe, das klingt irgendwie schrecklich. Dabei seien die Helfer doch meist fröhlich bei ihrer Sache, sagte Christoph Stolle. Deshalb wolle er den Namen der Helfergemeinschaft lieber ganz aussprechen, auch wenn das umständlicher ist: Arbeitsgemeinschaft der Nachbarschaftshilfen München-Land. Stolle moderierte die Feier zum 20-jährigen Bestehen der Organisation im Festsaal des Landratsamtes München. Die Ehrenamtlichen wollen künftig unter neuer Ordnung in altbewährter Manier ihren Nachbarn direkt helfen. Trotz der vielen rechtlichen Hürden, die sie mittlerweile dafür überwinden müssen.

Am Donnerstagvormittag gab es neben dem Jubiläum des Erfolgsmodells Nachbarschaftshilfe auch dessen Neuanfang als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts zu feiern. Diese Formalie werde zwar die Arbeit der Hilfen an der Basis nicht verändern, sagte Stolles Frau Helene Nestler, die der Nachbarschaftshilfe Ottobrunn-Hohenbrunn-Neubiberg vorsteht. Doch der Neustart verspreche, dass sich die einzelnen Ortsverbände besser vernetzen und so kleine Gruppen von großen profitieren können und umgekehrt. Die Großen könnten wieder zu ihren Wurzeln, der Arbeit am Menschen finden, und die Kleinen aus den finanziellen und personellen Ressourcen der Großen Vorteile ziehen.

Die neue Rechtsform war notwendig geworden, weil sich die einzelnen Helfergruppen gewisser Gemeinsamkeiten in einem Leitbild verpflichten wollten. Vor fünf Jahren hatte sich die Arbeitsgemeinschaft für alle Nachbarschaftshilfen geöffnet, unabhängig davon, ob sie zu einem Spitzenverband gehören oder nicht. Die Arge selbst steht seit ihrer Gründung unter dem Schirm des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Oberbayern. Das Leitbild haben bei der Feier zur Neugründung zwölf Gruppen aus Aying, Garching, Grünwald, Haar, Ismaning, Oberhaching, Oberschleißheim, Ottobrunn-Hohenbrunn-Neubiberg, Sauerlach, Taufkirchen, Unterhaching und Unterschleißheim unterschrieben. Weitere würden folgen, hofft unter anderen Arge-Sprecher Andreas Schultz. Das Leitbild sieht vor, dass die Nachbarschaftshilfen ohne konfessionelle oder parteiliche Grenzen zusammenarbeiten, unabhängig von "Nationalitäten und Ethnien". Das entstehende Netzwerk solle "auf die Deckung der sozialen Bedarfe" im Landkreis hinwirken.

Landrat Christoph Göbel sagte, dass die Politik die Arbeit der Nachbarschaftshilfen "ausgesprochen hoch wertschätzt". Der CSU-Politiker sprach von einer Lücke, die dieses Ehrenamt schließe. Wenn zum Beispiel jemand keine Sozialhilfe bekomme, aber doch zu wenig Geld verdiene, um zu leben, dann sprängen die Nachbarschaftshelfer in die Bresche. Göbel räumte ein, dass die Politik darauf achten müsse, dass "da nichts aus dem Ruder läuft". Der Staat dürfe sich nicht zu sehr auf Ehrenamtliche verlassen, nach dem Motto: Die werden es schon richten. Arge-Sprecher Schultz ist genau das auch ein Anliegen. Ehrenamtliche dürften nicht "aus Gründen der Ersparnis eingesetzt werden", sagte er, sondern sie müssten als "Mehrwert" für die Gesellschaft betrachtet werden. Und den wollen sie liefern.

Die Nachbarschaftshilfen sind aus ihren Gemeinden nicht mehr wegzudenken. Gerade ältere Senioren sind oftmals darauf angewiesen, dass jemand sie zum Arzt fährt oder ihnen Essen vorbeibringt. Obwohl die Arbeit mit und für Senioren das Gros der Nachbarschaftshilfe auszumachen scheint, betreuen die Ortsgruppen auch Kinder und Jugendliche in der Mittagspause oder bei ihren Hausaufgaben. Die Nachbarschaftshilfe habe den Anspruch, den Menschen "von der Wiege bis zur Bahre" Begleiter zu seien, sagte Sprecher Schultz. Zudem wollten sie sich in der Zukunft verstärkt darum kümmern, dass bedürftigen Zuwanderern und bedürftigen Einheimischen gleichermaßen geholfen wird. Das landkreisweite Angebot präsentiert die Arbeitsgemeinschaft seit Kurzem auf ihrer neuen Homepage ( www.wir-sind-die-nachbarn.de).

Die Nachbarschaftshelfer haben es heute schwerer als vor 20 Jahren. Die wachsende "Fülle der Gesetze und Richtlinien", die bei der Arbeit im Sozialen beachtet werden müssen, sagte Schultz, gehe einher mit "der Vielfalt der zu erfüllenden Aufgaben". Wer kein Taxifahrer ist und einen Rentner zum Arzt fährt, dabei ein paar Euro mehr annimmt als die reinen Fahrtkosten ausmachen, verstößt gegen das Gesetz zur Personenbeförderung. Wer einen Kuchen zu Kaffeekränzchen mitbringt und dabei nicht auszeichnet, dass das Gebäck Ei und Milch enthält, verstößt gegen eine EU-Verordnung. Schultz hofft, dass man sich in der neuen Organisationsstruktur im Gewirr der Vorschriften besser orientieren kann. Jetzt, da sie sich neu geordnet hat und Wissen wie Erfahrung effizienter ausgetauscht werden können.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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