Lesung:Von der Asylbewerberin zur Anwältin

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Nizaqete Bislimi ist Rechtsanwältin und Vorsitzende des Bundes-Roma-Verbandes. An diesem Montag und Dienstag liest sie in Taufkirchen und Ismaning aus ihrer Autobiographie. Die beiden Abende könnten völlig unterschiedlich verlaufen.

Von Claudia Wessel, Taufkirchen/Ismaning

In den vergangenen Tagen hat Nizaqete Bislimi mit Sicherheit nicht an ihre beiden Lesungen im Landkreis München gedacht. Eine an diesem Montag in der Volkshochschule Taufkirchen (Ahornring 121, 19.30 Uhr). Und eine am Dienstag um die gleiche Uhrzeit in der Volkshochschule Ismaning (Mühlenstraße 15). Denn bis kurz vor ihren Lesungen ist die Essener Rechtsanwältin und Vorsitzende des Bundes-Roma-Verbandes immer extrem im Stress, wie sie zugibt. "Ich habe so viel Arbeit, ich muss sehen, dass ich meine Mandanten nicht vernachlässige."

Für die Lesungen aus ihrem 2015 erschienenen Buch "Durch die Wand - Von der Asylbewerberin zur Rechtsanwältin" hat sie im Grunde genommen gar keine Zeit. Auf jeden Fall hat sie keine Zeit, groß darüber nachzudenken, bevor sie stattfinden. Doch sie liebt sie. Der Kontakt zu ihren Lesern gebe ihr "ganz viel Kraft", sagt sie. Deshalb sei auch aller Stress in dem Moment vergessen, in dem sie vor dem Publikum stehe.

Die Reaktion des Publikums entscheidet

Was genau sie aus ihrer Lebensgeschichte lesen wird, entscheidet sie immer spontan, obwohl sie natürlich ein paar Lieblingskapitel hat. Sie hat festgestellt, dass es gut ist, ein Kapitel zu lesen und dann sofort das Publikum anzusprechen und Fragen zu beantworten. "Die Leute sind dann total bei mir." Und je nachdem, was diese Leute sagen, entscheidet sie, welches Kapitel sie als nächstes liest. Zwei Abende können völlig unterschiedlich verlaufen.

Vielleicht liest sie den Anfang des Buches, in dem sie schreibt, wie der Duft einer Orange ihr in den schweren Zeiten des Abschieds von der Heimat im Kosovo half. In dem sie erzählt, wie dem 14-jährigen Mädchen übel wurde, als es mit Mutter und Geschwistern vor dem Reisebus warten musste, der sie ein anderes Leben bringen würde - beim dritten Anlauf zur Flucht übrigens. Oder vielleicht liest sie die Stelle, die erzählt, wie die Flüchtlinge später in Deutschland "aus einem Container ein richtig gemütliches Zuhause" machten.

Die glückliche Kindheit endete jäh

Auch von einer glücklichen Kindheit kann sie vorlesen. "Eine Kindheit, in der die Volkszugehörigkeit meiner Eltern keine Rolle spielte und ich sie deshalb erfolgreich verdrängen konnte", so Bislimi. "Meine Geschwister und ich wuchsen in der Geborgenheit einer Großfamilie auf. Ihre Mutter habe sie und ihre Schwestern "wie Prinzessinnen" behandelt. Doch das konnte sie nur solange, bis die Familie durch die politischen Umbrüche verarmte. Zum zwölften Geburtstag bekam Nizaqete nur noch eine Orange. Auch daher die besondere Bedeutung der Frucht.

Deutschland erreichte die Gruppe 1993 mitten in der Nacht. Sie trugen Sandalen, es fing an zu regnen, sie durften keine Geräusche machen, um nicht entdeckt zu werden. 13 Jahre lang lebte die Familie in Flüchtlingsunterkünften, war von Abschiebung bedroht. Die Zuhörer werden sicher viele Fragen haben.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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