Ismaning/Oberhaching:Hochbegabt und unterfordert

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Eine spezielle Förderung brauchen hochbegabte Kinder im Kindergarten und in der Schule. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Familien mit besonders schlauen Kindern treffen in vielen Kitas und auch in der Schule nicht immer auf Verständnis. Experten raten zu einer individuellen Förderung. Am Oberhachinger Gymnasium gibt es einen eigenen Stützpunkt.

Von Daniela Bode, Ismaning/Oberhaching

Dass Raffaela anders ist als die meisten anderen Kinder, hat sich schon früh angedeutet. Als Dreijährige langweilte sie sich im Kindergarten bereits nach einem Vierteljahr und war unterfordert. Das äußerte sich unter anderem darin, dass das Mädchen aus dem Münchner Osten handgreiflich wurde und zu stören begann, wie die Mutter erzählt. Ein Test bei der Psychologin und Begabten-Pädagogin Sabine Meier in Ismaning bestätigte die Vermutung der Eltern: Das Kind ist hochbegabt und gehört zu jenen, deren Intelligenzquotient bei 130 und mehr liegt.

Raffaela kam auf Anraten Meiers frühzeitig in die Vorschulgruppe. Aber auch da stellte sich bald Desinteresse ein. Das Mädchen konnte zu der Zeit bereits Buchstaben und Zahlen schreiben. Ihre Eltern meldeten sie im Vorschulkindergarten an, doch auch dort war Raffaela unterfordert. Im vergangenen September wurde sie mit fünf Jahren vorzeitig eingeschult. Und in der Schule läuft es nach den Worten der Mutter "fachlich super". Kämpfe gebe es aber auch da, weil Raffaela die Lehrerin nicht immer ernst nehme.

Der Weg in die Schule aber war beschwerlich: In der Kita spürten die Eltern Gegenwind, wenn sie sich für eine besondere Förderung ihrer Tochter einsetzten. Die Kindergartenleitung habe den Wunsch nach der vorzeitigen Teilnahme in der Vorschulgruppe zwar befürwortet, erzählt die Mutter. Als Raffaela aber keine Höchstleistung brachte, sei die Entscheidung gleich in Frage gestellt worden. Auch die Schulleitung habe der frühzeitigen Einschulung erst zugestimmt, als die Schulpsychologin nach einem Test die Schulfähigkeit bestätigte.

"Selbstbestimmtes Lernen ist das A und O"

Die Geschichte von Raffaela ist kein Einzelfall, weiß Psychologin Meier. Es passiere oft, dass Familien bei dem Wunsch nach einer individuellen Förderung für ihr hochbegabtes Kind erst einmal wenig Verständnis erführen. In der Schule sei Hochbegabung akzeptiert, "wenn das Kind Leistung bringt", sagt sie. Hochbegabte, die unter ihren kognitiven Möglichkeiten bleiben, weil sie sich im Unterricht unterfordert fühlen, hätten es da schwer. Im Kindergarten werde ein Hochbegabter angenommen, wenn er "sozialkonform" sei. "Bei uns in Deutschland wird so vielen Kindern die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ADHS diagnostiziert, viel mehr als beispielsweise in Frankreich", kritisiert sie.

Raffaelas Mutter wünscht sich mehr Bewusstsein für das Thema Hochbegabung in Kita und Schule. "Es gibt so viele Angebote für Förderung von unten. Aber wenn es um Förderung nach oben geht, gibt es kaum etwas", sagt sie. Eine mögliche Verbesserung sieht Psychologin Meier bei den Kindergärten in der Einführung eines "klaren Systems, innerhalb dessen vernünftige Freiräume möglich sind". So könnten zum Beispiel Funktionsräume geschaffen werden, die von den Kindern individuell genutzt werden dürfen.

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In manchen Tagesstätten gibt es so eine Ausrichtung bereits. Der Kindergarten am Mühlbach in Garching etwa integriert Hochbegabte. Es wird orientiert gearbeitet, bei allen Kindern werden die Stärken gesehen und die besonders begabten Kinder können sich mehr einbringen. Leiterin Katja Muhs kann es nicht verstehen, wenn Hochbegabte erst einmal Widerstand erleben. "Mein Anspruch ist es, jedem Kind gerecht zu werden. Wir fördern genauso Kinder mit Hochbegabung wie mit Migrationshintergrund", sagt sie. Das sieht dann so aus, dass dienstags, mittwochs und donnerstags Lernbereiche wie Forscherinsel und Bewegungsraum geöffnet sind und die Kinder ihren Interessen nachgehen können. "Selbstbestimmtes Lernen ist das A und O", sagt Muhs. Statt einer Vorschulgruppe gibt es die "Schlaufüchse", welche die Vorschulkinder besuchen müssen, die aber auch anderen Kinder offen steht.

Leicht ist der Umgang mit einem hochbegabten Kind nie

Anke Gruber, Schulpsychologin am Gymnasium Oberhaching, plädiert ebenfalls für eine individuelle Förderung von besonders begabten Kindern. "Unverständnis der Gesellschaft oder permanente Unterforderung können für hochbegabte Kinder eine unglückliche Entwicklung nach sich ziehen", sagt sie. An der Oberhachinger Schule gibt es beispielsweise einen Begabungsstützpunkt. Dort werden jährlich besondere Module angeboten. Zum Beispiel Kurse mit dem Titel "Meine Stärken, meine Talente, mein Potenzial", zudem werden die Schüler bei der Teilnahme an Wettbewerben wie dem "Bundeswettbewerb für Finanzen" unterstützt. Alle hochbegabten Kinder von allen Schulen sollten laut Gruber an einem Begabungsstützpunkt teilnehmen können.

Leicht ist der Umgang mit einem hochbegabten Kind eigentlich nie. Auch Raffaelas Mutter vergleicht jeden Tag mit einem Tennismatch - "ein Punkt sie, ein Punkt wir". Nur, jetzt langweilt sich das Mädchen nicht mehr und ist gefordert.

Eine Anlaufstelle für Eltern ist die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind , ebenso die Begabungspsychologische Beratungsstelle der Ludwig-Maximilians-Universität München.

© SZ vom 20.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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