Projekt für Flüchtlinge:Die Saat soll aufgehen

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Freiwillige Helfer weisen den Flüchtlingen die Parzellen auf einem Acker an der Lise-Meitner-Straße in Ismaning zu. (Foto: Florian Peljak)

Ein bundesweites Gartenprojekt ermöglicht Flüchtlingen, ihr eigenes Gemüse anzubauen und zu ernten. In Ismaning liegt der einzige Acker in Bayern, wo in diesen Tagen die Arbeit beginnt

Von Irmengard Gnau und Christina Hertel, Ismaning

Grüne Arbeitshandschuhe hat Sy Abdallah schon angezogen, aber er hält keine Schaufel in den Händen, sondern einen Regenschirm. "Wann können wir anfangen?", fragt der Senegalese. Er muss sich noch gedulden. Die Felder sind zu nass, um auf ihnen zu arbeiten. Abdallah ist einer der Flüchtlinge, denen auf einem Acker in Ismaning Parzellen zur Verfügung gestellt werden. Dort können sie bis zum nächsten Winter Salate, Kohl, Kräuter und Kartoffeln anbauen.

Ein wenig Boden - und schon kann es losgehen

Die Idee für das Projekt stammt von Curzio Bosi. Der Düsseldorfer hatte schon länger vor, sich sozial mehr zu engagieren. Dann stieß er auf die "Ackerhelden", ein Essener Start-up-Unternehmen, das Städtern mit Gartentrieb Feldparzellen für den eigenen Gemüseanbau vermietet. Bosis Idee war geboren: Flüchtlingen Boden zur Verfügung stellen, damit sie dort selbst ihr Essen anbauen können.

Das war im Frühjahr. Nun, wenige Monate später startet das Gartenprojekt mit insgesamt etwa 400 Parzellen an zehn Standorten in ganz Deutschland. 60 davon liegen auf einem Acker in Ismaning, es ist der einzige bayerische Standort im Projekt. Eine Parzelle ist etwa 40 Quadratmeter groß, zwei bis drei Flüchtlinge sollen sich diese teilen.

In seiner Heimat war Abdallah Soldat - nicht Bauer

Momentan wohnen sie in Ismaning, Garching, Unterschleißheim und in der Traglufthalle in Unterföhring. Ursprünglich kommen sie aus Somalia, Afghanistan, Eritrea oder eben wie Abdallah aus dem Senegal. In seiner Heimat war Adallah kein Bauer, sondern Soldat. Aber Erfahrung mit zarten Pflänzchen hat er trotzdem: Hinter seiner Wohnung lag ein Acker, den er gemeinsam mit seinen Nachbarn bepflanzte. "So ähnlich wie hier", sagt er. Tomaten, Salat und Karotten bauten sie dort zusammen an.

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Besondere Vorstellungen oder Wünsche, welches Gemüse nun hier in Ismaning wachsen soll, hat er nicht. "Ich will erst mal lernen wie Agriculture in Deutschland geht." Er benutzt das französische Wort. Seit der Kolonialzeit ist Französisch die Amtssprache des Landes, in dem insgesamt etwa 39 Sprachen gesprochen werden. Das eine Senegalesisch gibt es nicht.

Abdallah will sich mit zwei anderen Senegalesen eine Parzelle teilen. Er kennt die beiden gut. Mit ihnen wacht er jeden Morgen auf, abends geht er mit ihnen ins Bett. Sie wohnen im selben Zimmer wie er in einer Unterkunft in Ismaning. Einer von ihnen, Mbaye Dgiauf Ngom, läuft aufs Feld, mit einer Harke zieht er Grenzlinien zwischen den einzelnen Parzellen. In ihrer Sprache diskutieren sie, wer welche bekommt.

Die ersten Pflänzchen und Samen haben Mitglieder der Ackerhelden und Georg Sedlmair, der das Feld an sie verpachtet, schon eingepflanzt. Die Flüchtlinge sollen sich jetzt darum kümmern, das alles schön wächst. Sie sollen gießen, Unkraut jäten und natürlich ernten. Das Gemüse dürfen sie behalten. "Wenn man das alles im Laden kaufen würde, wäre es sehr teuer. 500 Euro kommen da in einem Jahr bestimmt zusammen", sagt Evelyne Eberle von den Ackerhelden.

Keine Partys, kein Müll

Insgesamt 40 Pflanzensorten wachsen auf jeder der Parzellen, von Kartoffeln über Kraut und Salat bis hin zu Erdbeeren. Weil es ein Bioacker ist, dürfen auch nur Biosamen gesät werden. Und die bekommen die Flüchtlinge von den Ackerhelden. Einfach selbst irgendwelches Saatgut mitbringen, das dürfen die Flüchtlinge nicht. Dies ist eine der drei Regeln, die sie auf dem Feld beachten müssen. Ansonsten gilt: keine Partys und keinen Müll auf dem Feld liegen lassen. Abdallah übersetzt das seinen Freunden. Er ist seit zweieinhalb Jahren da und spricht als einziger deutsch.

"Die Senegalesen werden total benachteiligt. Denen wurde alles gestrichen, was sie für eine Integration brauchen könnten", erzählt Renate Zetterer, die in Ismaning Flüchtlingen hilft. "Es ist wirklich schlimm. Sie bekommen nicht einmal einen Sprachkurs und arbeiten dürfen sie auch nicht." Dass er nicht arbeiten darf, belastet Abdallah besonders. Zwar spielt er in einer Mannschaft Basketball, aber oft hat er nichts zu tun.

Der Initiator Bosi hat das Projekt auch gestartet, um Flüchtlingen zu helfen, ihre Langeweile zu überwinden: "Viele wissen nicht, wie sie die Zeit totschlagen sollen. Mit dem Garten haben sie eine sinnvolle Beschäftigung." Der 41-Jährige setzt auf den "Heilungsfaktor" der Natur. Darauf baut auch Yvonne Meininger, die Leiterin des Ismaninger Helferkreises Asyl.

Der Garten ist auch ein Rückzugsort

Die verschiedenen Helferkreise haben den Kontakt zwischen Projektinitiatoren und Flüchtlingen hergestellt und begleiten die Teilnehmer am Anfang. "Gerade für die Leute, die in größeren Unterkünften wohnen, ist der Garten vielleicht auch eine Möglichkeit, einen Rückzugsort zu finden", sagt Meininger.

Auch den Gründern von Ackerhelden Tobias Paulert und Birger Brock liegt soziales Engagement am Herzen. Seit 2013 bieten die beiden an verschiedenen Stellen in Deutschland Ackerflächen an, auf denen auch Stadtmenschen wieder zu "Ackerhelden" werden können. "Wir wollen den Menschen zeigen, wo ihr Essen herkommt", erklärt Paulert das Grundanliegen des Unternehmens.

Zu den Geschäftsprinzipien gehört, dass nur zertifiziert ökologische Anbauflächen angeboten werden, das bedeutet auch für die Gartenparzellen des Projekts: Der Einsatz von Pestiziden ist streng verboten. Dafür stellt Ackerhelden alle Gerätschaften, die zum Bewirtschaften der Felder nötig sind, in einem kleinen Gartenschuppen zur Verfügung.

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Für die Finanzierung des Projekts ist Bosis Arbeitgeber zuständig, die Metro-Gruppe. Der Konzern unterstützt soziale Projekte seiner Mitarbeiter mit monetären Mitteln und trägt in diesem Fall die Miete für alle Parzellen; die Organisation und Ausführung besorgen Bosi und seine Mitstreiter ehrenamtlich.

Aus Ismaning haben sich mehrere Familien für das Projekt angemeldet, außerdem haben sich Einzelpersonen zu Gärtnerteams zusammengefunden und wollen die Parzelle gemeinsam bewirtschaften. Auch das ist ein Aspekt, der allen Beteiligten wichtig ist: Die Gärten sollen die Möglichkeit bieten, sich gegenseitig kennenzulernen, unabhängig von Nationalitäten.

Die Finanzierung für die Gartensaison 2016 steht

"Wir hoffen, dass das Thema Essen und Gemüse zu Begegnung führt", sagt Ackerhelden-Geschäftsführer Paulert. "Ich glaube, Integration kann schnell klappen, wenn man Berührungspunkte schafft."

Die Initiatoren und Helfer sind gespannt, wie ihr Projekt nun wachsen wird. An einigen Standorten gab es bürokratische Hürden, zudem sind manche Äcker für die Bewohner aus weiter entfernten Unterkünften schwer zu erreichen. Momentan ist die Finanzierung für die Gartensaison 2016 gesichert. Ob es danach weitergeht, steht noch nicht fest. Initiator Bosi möchte das Projekt gerne fortsetzen, mit Unterstützung der Metro Group oder eventuell auch mit anderen Partnern.

Sollte am Ende etwas von der Ernte in Ismaning übrig bleiben, könnten sich vielleicht sogar noch weitere Synergien ergeben. "Wenn eine der Familien am Ende zu viele Zucchini hat, könnte sie die zum Beispiel dem Ismaninger Tisch spenden", überlegt Helferkreiskoordinatorin Meininger. So weit denkt Adallah nicht. Er fragt gerade zum dritten oder vierten Mal, wie oft er kommen darf. "Wirklich jeden Tag? Und wie viele Stunden? Solange ich will?" Er kann es nicht glauben.

© SZ vom 14.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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