Halbzeit im Rathaus Oberschleißheim:Einsamer Macher

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Bürgermeister Christian Kuchlbauer schert sich nicht um Formalien und hat oft alle Fraktionen außer seinen Freien Wählern gegen sich.

Von Klaus Bachhuber, Oberschleißheim

Gemeindepolitik bemisst sich für den Oberschleißheimer Bürgermeister Christian Kuchlbauer (Freie Wählergemeinschaft) vor allem nach einem Kriterium: dass etwas geschieht. Und weil in Oberschleißheim zu seinem Amtsantritt gerade einige Projekte nach langwieriger Vorarbeit reif zur Umsetzung waren, unter einer ausgewiesen bedächtig wirtschaftenden Vorgängerin teilweise ein Investitionsstau aufgelaufen war und schließlich der momentane Zeitgeist im Großraum Initiativen verlangt - darum brummt es in Oberschleißheim derzeit geradezu, so viel geschieht. Nach seinen eigenen Maßstäben weist der Bürgermeister Kuchlbauer nach drei Jahren im Amt also eine absolut respektable Halbzeitbilanz auf.

Der Bürgerplatz wird gerade umgebaut und das neue Ortszentrum geschaffen, die Grundschule Parksiedlung wird saniert, ein Anbau für einen neuen Kinderhort steht bevor. Der Kindergarten "Biene Maja" wurde erweitert, die Volkshochschule erhält erstmals in ihrer Geschichte eigene Räume, dafür wird eine Sauna umgebaut. Die Kläranlage wird modernisiert, die Sportanlage bekommt einen Kunstrasenplatz. In Mittenheim soll eine Wohnsiedlung geplant werden, am Kreuzacker ist ein Neubaugebiet auf 1,5 Hektar im Verfahren, am Schäferanger ein identisch großes. An der Dachauer Straße soll ein 15 Hektar großes Gewerbegebiet entstehen.

Für die Jahrhundertvision einer Tieferlegung der Bahn gibt es eine Projektstudie, für die Umgehungsstraße West einen Zeitplan. Dazu hat, ohne unmittelbaren Einfluss des Rathauses, die Schreiner Group gerade ein neues Bürogebäude hochgezogen, eine Industriebrache wird vom Projektentwickler Beos zum Gewerbepark umgebaut und im Süden des Ortes wächst der Campus der Tierärztlichen Fakultät. Die drei größten Wohnblöcke der Parksiedlung wurden saniert. In der zweiten Hälfte seiner Amtszeit wird Kuchlbauer wohl nur noch Grundsteine legen und Richtkronen hochziehen.

Mit Protokollen, Formalien, Aktenvermerken hat er es nicht so

Das geht plötzlich alles in einer Gemeinde mit einem Gewerbesteueraufkommen, dessen Dimension in anderen Gemeinden des Münchner Speckgürtels beim Runden verschwindet? Das ist in der Politik des Bürgermeisters Kuchlbauer die falsche Frage. Er macht's, also wird's schon irgendwie gehen. "Wichtig ist, was hinten rauskommt" - das Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl zugeschriebene Zitat könnte über Kuchlbauers Schreibtisch hängen.

Mit Protokollen, Formalien, Aktenvermerken hat er es nicht so. Zwei von drei Abteilungsleitern haben unter ihm das Rathaus verlassen, die frühere Personalratsvorsitzende, weitere Mitarbeiter. An der Rathaustür hängt konstant ein Ausdruck, welche Sachgebiete diese Woche wegen Personalmangels nur eingeschränkte Öffnungszeiten haben. Was daran individuelle Entwicklungen sind und was der Chef zu verantworten hat, kann ein Außenstehender fair nicht beurteilen. Dem Bürgermeister nicht so wohlgesonnene Gemeinderäte erwarten wöchentlich den Zusammenbruch der Oberschleißheimer Kommunalverwaltung, aber es geht auch ohne die fehlenden Mitarbeiter und mit den reduzierten Öffnungszeiten weiter.

Es ist auch einerseits so, dass es von Kuchlbauers Behörden- und Politikergesprächen selten bis nie Aktenvermerke gibt, andererseits aber doch oft das herauskommt, was herauskommen sollte. Alle Gruppierungen des Gemeinderats - außer Kuchlbauers Freien Wählern - beklagen permanent ein Informationsdefizit. Neulich haben sie sogar die Geschäftsordnung geändert, um die Kompetenzen des Bürgermeisters zu beschneiden. Geschäftsordnung? Damit können sie Kuchlbauer nicht meinen. "Sonst finden s' ja nichts zu kritisieren", pflegt der Bürgermeister diese Beschwerden zu kommentieren, "dann kritisieren sie die Kommunikation." Seine bevorzugte Form der Amtsführung ist eben das Zwiegespräch. Das hat den großen Vorteil, dass er die Inhalte und Resultate wiedergeben kann, wie er sie wahrgenommen hat.

Als größte Plaudertasche gilt er selbst

Neues gigantisches Gewerbegebiet, neuer Gewerbepark - wie sieht denn der Gewerbeverband den Bürgermeister? "Wir sprechen mit dem Bürgermeister", bescheidet dessen Vorsitzender Walter Klar, "nicht über den Bürgermeister." Mit dem Gewerbeverband hat Kuchlbauer den Runden Tisch aufgenommen, den seine Vorgängerin eingeführt hatte, mit den touristischen Institutionen am Ort hat er ein neues Gesprächsforum geschaffen.

Auch Angelika Kühlewein (CSU), als Zweite Bürgermeisterin Kuchlbauers Stellvertreterin, sieht sich "nicht im Stande, sowohl in der Sache als auch zu seiner Person" etwas über den Bürgermeister zu sagen, mit dem sie drei Jahre arbeitet. Die CSU, deren Ortsvorsitzende Kühlewein ist, hatte in der Stichwahl 2014 Kuchlbauer explizit unterstützt und anschließend die Stellvertreterposten mit seiner FWG untereinander aufgeteilt; seither aber sind deutliche Absetzbewegungen unübersehbar.

Eine besondere Pointe ist, dass der Bürgermeister in den drei Jahren seinen Gemeinderat schon mehrfach zur Brust genommen hat, wenn wieder Interna an die Zeitung getragen worden waren. Dabei würde eine Wahl zur größten Plaudertasche im Saal wohl ziemlich einstimmig auf Kuchlbauer selbst fallen. Auch der Gemeinderat, in Oberschleißheim in den vergangenen 20 Jahren zerklüftet bis zur Selbstblockade, arbeitet unter Kuchlbauers Führung - wiederum einerseits - so kollegial und sachorientiert wie selten, zu dem Preis andererseits, dass sich die einst verfeindeten Fronten nun oft vereint gegen ihn stellen.

Das ficht Kuchlbauer aber auch nicht an. Bei fast allen der großen Entscheidungen und Weichenstellungen hat er Einigkeit herstellen können. Die Haushaltsberatungen im Gemeinderat werden unter seiner Ägide als Hochämter des konstruktiven Gemeinsinns zelebriert, alle seine Etats bekam er einstimmig und mit Lobeshymnen abgenickt. Dass er da eine sehr unkonventionelle Führung zeigt und munter mal gegen seine Fraktion stimmt, mal gegen alle, gelegentlich sogar gegen seine eigenen Vorschläge, fällt da kaum ins Gewicht. Wichtig ist, was hinten rauskommt.

© SZ vom 11.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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