Haar:Ben Jakovs Vermächtnis

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Max Mannheimer stellte schnell ein vertrautes Verhältnis zu seinen Gesprächspartnern her. So wie hier mit dem früheren Haarer Bürgermeister Helmut Dworzak. (Foto: Claus Schunk)

Der Tod von Max Mannheimer hat in Haar eine Lücke gerissen. Die Botschaft des Holocaust-Überlebenden lebt im Rathaus weiter - in Form seiner Bilder.

Von Bernhard Lohr, Haar

Der Tod von Max Mannheimer hat gerade in seinem Wohnort Haar tiefe Betroffenheit ausgelöst. Der Überlebende von vier Konzentrationslagern, der nach dem Krieg die Kraft fand, in Deutschland zu bleiben, war in den Siebzigerjahren in die Gemeinde gezogen. Dort entwickelte er sich mit seiner Versöhnungsarbeit zu der moralischen Instanz, die in die deutsche Gesellschaft hineinwirkte. Die Grenzen seiner Gemeinde sprengte er damit bei weitem. Er hatte mit NS-Schergen zu tun, die fast seine gesamte Familie auslöschten. In späten Jahren hörte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihn und mit Palästinenserführer Yassir Arafat saß er, der Jude und Holocaust-Überlebende, an einem Tisch.

"Er ist Gott und dem Teufel begegnet", blickt der frühere Haarer Bürgermeister Helmut Dworzak auf Mannheimer zurück, der am Freitag mit 96 Jahren gestorben ist. Mannheimer begegnete aber auch den Menschen in Haar. Er pflegte Umgang mit den Nachbarn im Jagdfeld. Der Kontakt war eng zu den Bürgermeistern seiner Heimatgemeinde und den Parteifreunden im Ortsverein der SPD, der er mehr als 70 Jahre angehörte. "Er war bekennender Sozialdemokrat", sagt Bürgermeisterin Gabriele Müller, die ihn jedes Jahr zum Geburtstag besuchte. Mannheimer habe ihr immer Orientierung gegeben, sagt sie. "Der Aufruf zur Versöhnung ist für mich sehr wichtig."

Ein Zyklus, der von Tod und Leben erzählt

Mannheimers Botschaft, dass aus Liebe Hoffnung erwächst, wird im Haarer Rathaus bis heute weitergetragen, ganz konkret. Denn Dworzak ließ in seinem Amtszimmer drei Bilder von Mannheimer aufhängen, der seine Werke als Maler mit "Ben Jakov" signierte. Seine Nachfolgerin Müller ließ sie hängen und führt die Tradition fort, beim Besuch von Schülern diese darüber rätseln zu lassen, was die weitgehend abstrakt gehaltenen Gemälde den Betrachtern sagen könnten. Es ist ein Zyklus, der von Tod und Leben erzählt: Das erste Bild zeigt Blumen hinter einem Gewirr, das als Stacheldraht gedeutet werden kann. Auf dem zweiten Bild ist ein stilisierter Schmetterling zu sehen, der auf irritierende Weise in Schwarz gemalt ist. Und aus dem dritten, farbenfrohen Bild scheint pure Lebensfreude zu sprudeln.

Dworzak fallen viele Anekdoten mit Mannheimer ein: Es wurde viel gelacht. Dworzak sagt, einem Holocaust-Überlebenden trete man ja zunächst mit Beklemmung gegenüber. Doch Mannheimer habe schnell Vertrautheit hergestellt. Er habe einen Sinn für Humor und Situationskomik gehabt und sei ein Charmeur gewesen. Es habe kein Treffen gegeben, bei dem er nicht nach dem Befinden der Frau des Bürgermeisters gefragt habe.

Mannheimer war einer von ihnen. Und doch hatten die Haarer das Problem, wie sie mit jemandem umgehen sollten, der über ihre Welt hinausgewachsen war. Die Kommunalordnung gab keine passende Ehrung her. Doch wenn Mannheimer ein internationaler Orden verliehen wurde, war ihm wichtig, dass der Haarer Bürgermeister dabei war und beachtet wurde. Von dem gab es ehrende Worte bei Neujahrsempfängen, wo ihn die Ortspolitiker gerne in ihre Mitte nahmen. Der SPD-Ortsvorsitzende Peter König: "Er hinterlässt eine große Lücke, er wird uns fehlen." Im Rathaus wird ein Kondolenzbuch ausgelegt.

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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