Ausstellung zum Oktoberfest:"Ich küsse die schwitzenden Glaskrüge"

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Die Wiesn literarisch betrachtet: Die Oktoberfest-Ausstellung der Monacensia zeigt Amüsantes und Vertrautes.

Anne Goebel

Die Ausstellung beginnt mit einer Persiflage, und das Opfer ist der Besucher. Ein großer Zerrspiegel hängt am Eingang der Monacensia, so dass kein Gast daran vorbeikommt, sich selbst in die höchst unschöne Fratze zu blicken - auf bizarre Weise zusammengestaucht oder lachhaft in die Länge gedehnt. Da muss jeder durch, und dieses Unterschiedslose stimmt ideal ein auf die aktuelle Schau im Innern: Es geht um die Wiesn, die ja schon immer alle Grenzen aufgehoben hat. Nicht nur, weil nach einigen Maß Bier den Vorstandsvorsitzenden gar nicht mehr so viele Welten vom Autoverkäufer trennen. Schichtenübergreifend ist auch die im Nachhinein öfters peinliche Erfahrung eigener Maßlosigkeit. Auf der Wiesn hat sich schon so gut wie jeder mal danebenbenommen.

Auch früher zeigte man auf der Wiesn schon gerne Dekolléte. (Foto: bug.bildmail)

Über die Stränge schlagen auf der Theresienwiese, genau darum geht es in der Ausstellung "Vorstadtstenz & Wiesnbraut". Die Kuratorin Elisabeth Tworek, Leiterin der Monacensia, hat "Literarische Oktoberfestporträts aus zwei Jahrhunderten" zusammengetragen. Anlass ist das 200. Jubiläum der Wiesn im September - und es ist erfreulich, dass neben den anzunehmenden Rekordzahlen im Jubeljahr, die das Fremdenverkehrsamt und die Festwirte seit Monaten erwartungsfroh im Blick haben, auch der kulturelle Aspekt zu seinem Recht kommt. Und zwar auf sehr unterhaltsame Weise, nicht nur des Zerrspiegels wegen. Die Ausstellung ist kein trockenes Pflichtprogramm, sondern macht Lust auf das Oktoberfest mit all seinen Facetten.

Das beginnt mit der Art der Präsentation, die Katharina Kuhlmann entwickelt hat. Unter einer vielfach gewundenen Lichterkette an der Decke liegen die Exponate unter Glas auf jahrmarktbunten Sockeln in Pistaziengrün und Kirschrot. Ausgewählte Zitate schlängeln sich als Textgirlanden über die Wand, und in der mit Schießbuden-Blumen verzierten "Glücksecke" kann jeder Besucher aus einem Korb so etwas wie poetische Lose ziehen mit zwei, drei Zeilen Literatur.

Wie also hat das Oktoberfest gewirkt auf Erika Mann und Ödön von Horváth, auf Herbert Achternbusch, Oskar Maria Graf oder Felix Mendelssohn Bartholdy? Natürlich großartig. Der Rausch des Bieres und der Geschwindigkeit, das glitzernde Konglomerat aus Volkstümlichkeit, Halbwelt und Exzess hat Schriftsteller und Künstler immer angezogen und inspiriert. "Man hat halt oft so eine Sehnsucht in sich...", das Zitat von Ödön von Horváth hat Elisabeth Tworek als eine Art Motto für die Schau ausgewählt.

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Und viele Texte erzählen genau von diesem Wunsch nach Rausch, Selbstvergessenheit, wenigstens für einen Bierzeltabend oder eine Riesenradfahrt lang. Die ungräfliche Schwabinger Gräfin Franziska zu Reventlow zum Beispiel notiert in ihrem Tagebuch von 1908 ihre Flirts mit zwei ansehnlichen Karussell-Passagieren, während ihr kleiner Sohn Rolf, der "Bubi", sich über die schwindelerregende Rundtour freute. Erika Mann schwärmt in einem Brief: "Bei uns in München ist große Zeit. Die Festwiese, die größte, glaub ich, der Welt, ist herrlich anzuschauen." Ihr Vater hingegen erwähnt im "Doktor Faustus" eher reserviert die "wochenlange Monstre-Kirmes". Ganz anders als Thomas Mann kann Herbert Achternbusch - der sich in den sechziger Jahren als Zigarettenverkäufer auf der Wiesn durchschlug und daraus für seinen Film "Bierkampf" schöpfte - kaum genug kriegen vom Bierdunst-Wahnsinn. "Ich sehe in jedes Gesicht, ich kose die Busen, die schwitzenden Glaskrüge, ich lese die Wünsche von den Augen ab."

Bei solchen Hymnen auf die spezielle Faszination der Wiesn stellt sich bei den Fans die kribbelnde Vorfreude auf das Jubiläum von selbst ein. Was den Beitrag der Monacensia betrifft, so ist die Ausstellung eine gute Gelegenheit, sich von den Schätzen in Münchens Literaturarchiv ein Bild zu machen. Die in zierlichen Lettern niedergeschriebenen Zeilen der Reventlow kann man im Original nachlesen, ebenso Ludwig Thomas Gedicht zum Wiesn-Jubeljahr 1910 ("Stier- und Sau- und Ochsentreiber/heute fühlt euch vaterländisch"). Und ein Notizblock aus dem Besitz Ödön von Horváths mit hingeworfenen Ideen, durchgestrichenen Wörtern lässt einen die Suche nach einem Titel für sein Oktoberfestdrama anschaulich nacherleben. Es sollte mal "Achterbahn und Wiesenbraut" heißen. Daraus wurde dann "Kasimir und Karoline". Kunst und Oktoberfest verbindet die Monacensia während der diesjährigen Wiesn auch ganz gegenwärtig: im "Herzkasperl"-Festzelt mit Kulturprogramm.

"Kasimir und Karoline", die aussichtslose Liebesgeschichte zweier kleiner Leute vor der Kulisse des großen Amusements, ist für Elisabeth Tworek "das traurigste Oktoberfeststück". Gerade deshalb passt es gut in die Ausstellung, weil sie auch den Rand des Geschehens auf der Theresienwiese nicht ausblendet, die Tristesse, das Bizarre abseits des Trubels. Vor allem einige der historischen Fotografien von Schaustellern, Kellnerinnen, Riesendamen und Vorstadtstenzen zeigen die Müdigkeit unter der Schminke, die ärmliche Existenz hinter der Strizzi-Maskerade. Wie sehr das Oktoberfest früher eine Schau der Sensationen war, auf der die Besucher gegen Geld Abnormitäten begafften wie "Die drei dicksten Mädchen" oder die "Orang Utan Schau aus den Urwäldern Sumatras", zeigen zeitgenössische Aufnahmen und Werbebroschüren. Schriftsteller wie Oskar Maria Graf oder Horváth wiederum faszinierte die enthemmte Schaulust der Besucher - auch in Wien trieb sich Horváth statt auf dem Prater lieber am Rande herum, bei den Liliputanern und Akrobaten. "Wenn ich einmal eine Familie gründe", schrieb er, "möchte ich eine Tochter haben, die sich als Riesenweib, und einen Sohn, der sich als Löwenmännchen ausstellen kann. Von irgend etwas muss ja ein Autor leben."

Übrigens gibt es, auch wenn die Zeit der ausgestellten Riesenweiber auf der Wiesn vorbei ist, die eine oder andere Kontinuität. Ludwig Thoma dichtete zum Jubiläum 1910: "Hebet hoch die Literkrüge, mit drei Quarteln eingeschenkt."

Die Ausstellung ist von Mittwoch an bis 19.November zu sehen. Öffnungszeiten und Termine für Gratis-Führungen unter Telefon 41 94 72 15.

© SZ vom 13.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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