Asylbewerber:Amtshilfe

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Den Städten und Gemeinden ist mit den Flüchtlingsunterkünften ein neues Aufgabengebiet zugefallen. Obwohl sie eigentlich gar nicht zuständig sind, stellen viele Personal dafür ab - oder sogar neu ein

Von Korbinian Eisenberger, Landkreis

Alexandra Brandner muss gleich weiter. Mit dem Handy am Ohr und einem Klemmbrett unterm Arm geht es mit schnellen Schritten zum Auto. Ein Kollege hat sie in die Notunterkunft gerufen. Wenn es in ihrer Hosentasche surrt, dann sind die Johanniter dran oder Brandners Kollegen vom Helferkreis. Oft ist es auch ein Mitarbeiter der Gemeinde - und natürlich das Landratsamt. Vier Stunden habe sie vergangene Nacht geschlafen, sagt Brandner, so wie eigentlich immer in diesen Wochen.

Jetzt, da die Nächte kühler werden, brauchen die Flüchtlinge im Aschheimer Asylbewerberheim dicke Jacken, warme Betten und feste Schuhe. Als Vorsitzende des ehrenamtlichen Helferkreises flitzt Brandner zwischen Rathaus und der Dornacher Notunterkunft umher, vermittelt zwischen Helfern, Gemeinde und Landratsamt. Bis vor kurzem machte die gelernte Bürokauffrau diese Arbeit neben ihrem Bürojob. Doch damit ist jetzt Schluss.

Seit Mitte September wird Brandner für ihre Helferdienste bezahlt. Vor zwei Wochen hat die Gemeinde Aschheim die 40-Jährige als hauptamtliche Mitarbeiterin für Flüchtlingsangelegenheiten eingestellt. Künftig soll sich Brandner 35 Wochenstunden um die Koordination der Flüchtlingshilfe am Ort kümmern. Aschheim ist damit eine von sechs Gemeinden im Landkreis, die einen Flüchtlingsbeauftragten aus eigener Kasse bezahlen. Ungewöhnlich ist das deshalb, weil Asylbewerber-Angelegenheiten eigentlich zu den Aufgaben des Landratsamtes gehören - letztlich also im Zuständigkeitsbereich des Freistaats liegt.

Schlange stehen, um zu spenden: In Kirchheim geben am Freitag Bürger Spenden ab, die unter anderem an den Helferkreis Asyl gehen. (Foto: Robert Haas)

Selten werden Ereignisse auf so vielen politischen Ebenen sichtbar, wie die derzeitige Flüchtlingswanderung von Afrika nach Europa. Die Debatten der Einheimischen in und um München werden nicht nur in lokalen Bürgerversammlungen geführt, sondern auch in nationalen Parlamenten. Es geht ruppig zu - die Frage, wer wie viele Menschen aufnehmen soll, hat Europas Politiker längst in zwei Lager gespalten. Von einer Lösung des Problems scheint die Europäische Union (EU) jedenfalls weiter entfernt zu sein als je zuvor. Ob Deutschland von seinen Nachbarn Unterstützung bekommt - und wann der Bund dem Land Bayern unter die Arme greift, darüber konnte bisher auch Landrat Christoph Göbel (CSU) nur spekulieren.

Im Umland von München, dem beliebtesten Ziel aller Flüchtlingsrouten, helfen sich die Gemeinden mittlerweile selbst. Neben Aschheim hat etwa auch Haar in Eigeninitiative eine Teilzeitstelle geschaffen. Dort kümmert sich seit Juli ein hauptamtlicher Mitarbeiter um Flüchtlingsfragen. Und auch in Garching und Sauerlach wurde jeweils ein hauptamtlicher Mitarbeiter für diese Aufgabe abgeordnet. In Ismaning und Aying ist das Modell ähnlich: Beide Gemeinden bezahlen bereits seit längerem Mitarbeiter der Caritas, die diese Dienste auf 450 Euro-Basis übernehmen.

Alexandra Brandner engagierte sich als Vorsitzende des Helferkreises Asyl ehrenamtlich in Aschheim für Flüchtlinge. (Foto: Claus Schunk)

In Aschheim wäre es anders nicht mehr zu stemmen gewesen, sagt Monika Schröder-Richter, Gemeindeangestellte im dortigen Ordnungsamt. Vor Brandners Anstellung seien sämtliche Anfragen von Flüchtlingen bei ihr gelandet. Oft habe es außerhalb der Öffnungszeiten an ihrem Fenster im Erdgeschoss des Rathauses geklopft, sogar nach Dienstschluss sei sie auf der Straße angesprochen worden. Darf ich in Deutschland heiraten? Wie komme ich von Aschheim nach Poing? Wo finde ich einen Doktor? "Die Anfragen sind so umfangreich", sagt Schröder-Richter. "Das kann man nicht mehr einfach so nebenher machen." Auch anderswo in Bayern wenden sich Hilfe suchende Flüchtlinge gar nicht erst an das Landratsamt, wo die zuständigen Mitarbeiter in einiger Entfernung sitzen - und meist eine dreistellige Zahl an Asylbewerbern betreuen müssen. Beliebter und näher ist fast immer der Weg ins Rathaus, wo etwa im Landkreis mittlerweile fast alle Gemeinden Ansprechpartner für Flüchtlingsfragen auserkoren haben.

Gelöst ist das Problem damit in vielen Fällen jedoch nicht - zumindest kommen immer mehr Landkreisgemeinden zu dieser Feststellung. Im Planegger Rathaus plant man zusammen mit den anderen Würmtal-Gemeinden Gräfelfing und Neuried eine neue Stelle zur "Koordination zwischen den Ehrenamtlichen und den Gemeindeverwaltungen". Im nördlichen Landkreis gibt es bereits konkrete Pläne für eine neue Stelle als Integrationshelfer: Der Verwaltungsausschuss des Kirchheimer Gemeinderats diskutiert an diesem Montagabend über einen entsprechenden Antrag von Bürgermeister Maximilian Böltl (CSU).

In Aschheim ist dieses Prozedere längst erledigt. Zwei Wochen sind bereits vergangen, seit Alexandra Brandner ihr neues Büro im Rathaus bezogen hat. Papierkram hat sie seither kaum erledigen können. Zu viel geschieht in diesen Wochen außerhalb des Rathauses, wo hinter der Tür mit der Nummer 302 künftig der "Fachbereich 1 Asyl/Helferkreis" zu finden ist.

© SZ vom 28.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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