Kunstprojekt:Botschaften an die Zukunft

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57 Jahre nach Entstehung des Hasenbergls hat die Künstlerin Pia Lanzinger für das Quartier eine neue Zeitkapsel befüllt. Wie schon 1960 wurde die Schatulle von Hans-Jochen Vogel versenkt

Von Simon Schramm

Seit Donnerstagnachmittag ist im Boden vor dem Kulturzentrum 2411 im Hasenbergl - in etwa 50 Zentimeter Tiefe - ein Zylinder aus Edelstahl versenkt. Einlegt in das Behältnis, Durchmesser 18 Zentimeter, sind ein eingeschweißtes Buch, Postkarten, Plakate, ein USB-Stick und eine spezielle DVD-Scheibe, die angeblich 1000 Jahre lang haltbar ist. Der Inhalt dieser Medien-Palette: ein Stadtviertel in all seinen Farben, Ideen und Eigenheiten, seinen Lebenswegen, Erfolgen oder Brüchen. 57 Jahre nach Entstehung des Hasenbergls hat die Künstlerin Pia Lanzinger für das Quartier eine neue Zeitkapsel zusammengestellt und dafür 70 Menschen interviewt, die im Hasenbergl leben, gelebt haben oder dort zu tun haben und auf Videos von ihren Erlebnissen in der Gegend erzählen. "Zeitboten" nennt Lanzinger, die selbst im Hasenbergl aufgewachsen ist, ihre Zeugen.

D er 91-Jährige Hans-Jochen Vogel war an diesem Donnerstag wieder dabei, um dem Viertel zusammen mit Künstlerin Pia Lanzinger die neue Zeitkapsel zu übergeben. (Foto: Stephan Rumpf)

Nach etwa eineinhalb Jahren Arbeit an dem Projekt hat Lanzinger die Videoaufnahmen nun in Form eines Buches zusammengefasst, zudem auf den Medien gespeichert und in die zylinderförmige Kapsel eingelegt, die nun an diesem Donnerstag feierlich dem Viertel übergeben wurde. "Es ist ein Bild von der Basis her, es erzählt davon, wie die Leute wirklich gelebt und welche Erfahrungen sie gemacht haben. Das Viertel bietet eine unglaubliche Vielfalt", sagt Lanzinger. "Geschichtsschreibung ist immer der Blick von außen, das ist kein Eindruck vom wirklichen Leben. In der Kapsel sind unterschiedliche Blicke auf das Hasenbergl gesammelt."

Die Zeitkapsel enthält Botschaften von "Zeitboten" wie der Hasenberglerin Ursula Buchfellner. (Foto: Pia Lanzinger)

Grund für Pia Lanzinger, eine neue Zeitkapsel zu installieren, gab es, weil der alte Behälter bei Umbauarbeiten verloren gegangen war. Ursprünglich war die erste Kapsel von Hans-Jochen Vogel im Jahr 1960 im Sockel der Pferdeskulptur des Künstlers Alexander Fischer eingelegt worden. Als die Skulptur versetzt wurde, verschwand der Grundstein und mit ihm die alte Kapsel. Die Skulptur steht heute vor dem Kulturzentrum, und in deren Sockel hat Pia Lanzinger nun - gemeinsam mit Hans-Jochen Vogel - die neue Kapsel eingesetzt. Der Alt-OB hatte es sich nicht nehmen lassen, wieder dabei zu sein, und erzählte den vielen Hasenberglern, die gekommen waren, von damals.

Die Zeitboten beziehen ihre Berichte immer auf ein bestimmtes Datum, auf einen Tag, Monat oder ein Jahr. Zum Beispiel 1976: Damals wurde Ursula Buchfellner zur "Miss Hasenbergl" gewählt. Drei Jahre später war sie das erste deutsche Playmate im amerikanischen Playboy. Buchfellner, die heute als Autorin und Yoga-Lehrerin arbeitet, erzählt in ihrem Video, wie sie im Laufe ihrer Karriere in die "Glitzerwelt der Reichen" eingetaucht sei. Um dort aber zu bestehen, habe sie immer wieder das "ehrliche und authentische" Hasenbergl besucht, um Kraft zu tanken, wie sie sagt.

Gesprochen hat Pia Lanzinger unter anderem auch mit einer Kunsthistorikerin, die im 24. Bezirk aufgewachsen ist und heute an einer Pariser Universität unterrichtet, mit ehemaligen Lehrern und aktuellen Schülern aus dem Viertel, mit einer afghanischen Künstlerin, die im Hasenbergl lebt, einem Fahrlehrer, einem Architekten, ehemaligen Bewohnern wie Willy Astor, Lokalpolitikern und Münchnern, die in Hasenbergler Einrichtungen arbeiten, oder einer früheren Straßenbahnschaffnerin der Linie 8, der Bahn, die bis zum U-Bahn-Bau in das Hasenbergl fuhr.

Wie auch andere, beobachtet Pia Lanzinger, dass die Münchner Kulturszene stark auf die Innenstadt ausgerichtet sei. Damit die Geschichten aus dem Hasenbergl auch außerhalb des Münchner Nordens wahrgenommen werden, verlagert die Künstlerin das Projekt in der kommenden Woche für einen Abend in die Kammerspiele. Lanzinger will nicht nur die Atmosphäre des Projektes auf die Bühne bringen, sondern eine Diskussion über die Gegend in einem größeren Kontext führen. Zunächst werden Zeitboten die Geschichten aus dem Viertel in "einer Art Inszenierung" darstellen, sagt Lanzinger, sowohl in einer Live-Erzählung als auch in Videos. Im zweiten Teil will sie mit drei Experten, etwa einem Soziologen, über Stadtplanung diskutieren. Es soll auch um die Frage gehen, ob die Stadt heute immer noch derartige Trabanten-Siedlungen bauen würde. Der Auftritt der Hasenbergler in den Kammerspielen, Kammer 3, Hildegardstraße 1, am Donnerstag, 26. Oktober, beginnt um 20 Uhr.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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