Kostprobe:Unerklärliche Schwankungen auf dem Teller

Lesezeit: 3 min

Im s'Maillinger festigt sich der Eindruck angenehmer Gemütlichkeit, doch das Essen sorgt für manche Überraschung

Von Iwan Lende

Es ist nicht das Schlechteste, was München gerade passiert: Die Stadt wird gastronomisch zunehmend österreichisiert. Austrias Küche bietet ja von St. Anton bis Zwettl viel Köstliches, Firlefanz ist eher verpönt, und auch in der von vielen nichtwienerischen Österreichern eher ungeliebten Hauptstadt gibt es eine wunderbare Heurigenküche jenseits von Grinzing und Bisamberg, mitten in der Stadt, im Museumsviertel oder im zweiten Bezirk hinter der Karmeliterkirche. Das Münchner Lokal s'Maillinger in der namensgebenden Straße, im Netz als "österreichisch, europäisch, für Vegetarier geeignet" eingeordnet, dient vielen Anwohnern als zweite Heimstatt. Baby Schimmerlos, der zu Zeiten seiner TV-Präsenz nur einen Katzensprung entfernt im Wappenhaus gewohnt hat, wäre sicherlich auch hier zugange gewesen, auf Kurzurlaub von Champagner und Kir Royal. Und die Diskussion um den Apostroph hinter dem kleinen "s", die ersparen wir uns jetzt einmal.

Denn dieses "s" steht für den neutralen Artikel "das", der einem damit geschmückten Wirtshaus schon mal eine gute Note fürs Gemütliche, ja fast Niedliche gibt. Freundlichkeit jedenfalls ist hier oberstes Gebot, Freundlichkeit von so überfallartiger Art, dass, kaum liegen die Speisekarten auf dem Tisch, seitens der Bedienung die drängende Frage kommt: "Und was darf's schon mal zum Trinken sein?" Derart des Nachdenkens darüber beraubt, was man denn essen wolle und ob es dafür auch ein passendes Getränk gebe, bestellt man halt "schon mal" ein Bier, und weil man es gerade noch spitzkriegt, dass es hier auch Tegernseer Spezial gibt (3,80), eben jenes, damit macht man nicht viel falsch.

An die Freundlichkeit erinnert man sich auch noch Wochen später - was sich nun wahrlich nicht von jedem Münchner Restaurant sagen lässt. (Foto: Florian Peljak)

Es liegt vielleicht daran, dass Lende gerade wieder eine Woche in Wien und Graz weilte und dabei meist aufs Köstlichste speisen konnte, oder daran, dass an den Besuchstagen das s'Maillinger wie so oft proppenvoll war. Die Qualität der Speisen jedenfalls schwankte manchmal in unerklärlichem Maße, nicht von Tag zu Tag, sondern direkt auf dem Teller. Was Rätsel aufgibt, die Lende zu lösen nicht imstande ist.

Am einfachsten ist das noch mit der Fridattensuppe (3,90), weil da die Suppe recht angenehm gewürzt war, und dass die Pfannkuchenschnipsel ein bisschen langweilig und teigig schmeckten, fiel einem erst bei der Nachspeise wieder ein, doch dazu später. Es entspann sich da aber schon eine kleine Diskussion, inwieweit man heute noch wirklich herausschmecken kann, ob eine Suppe, ein Knödel, ein Gemüse wirklich selbst zubereitet wurde oder aus Feinkost-Fabriken stammt, deren Angebote ja immer raffinierter werden.

Auch angesichts des Tafelspitzes (13,50) versiegte das Thema nicht, obgleich dieser von geradezu erlesener Köstlichkeit war, ohne gallertartige Durchsetzungen und zartest auf den Punkt gekocht (vielleicht stammt ja die Suppe aus dem Sud); dazu ein Rahmspinat, der wirklich nach Spinat schmeckte (und ein klein bisschen nach Knoblauch, wie es sich gehört). Wären die Bratkartoffeln nebendran nicht so fürchterlich lätschig und verölt gewesen, es hätte eine glatte Eins gegeben. Diese Misere setzte sich fort, wo immer es Kartoffel gab, beim Wiener Schnitzel vom Kalb (18,90) - es machte sonst ja dem Namen alle Ehre -, beim schweinernen steirischen Schnitzel mit Panade von Kürbiskernen (11,50), beide auf Millimeterdicke flach geklopft, beim Wiener Zwiebelrostbraten (18,50), der sonst so gut abgeschnitten hätte wie der Tafelspitz. Nichts auszusetzen gab es dann am steirischen Backhendlsalat, zartes Fleisch auf frischem Blatt mit (nicht zu viel!) würzigem Kürbiskernöl, auch die Lachsforelle, nicht gerade eine österreichische Spezialität, war zart und saftig. Und schon meinte man, auch mit dem Fiakergulasch (13,50) eine perfekte Wahl getroffen zu haben, das Rindfleisch voller Saft und zart, die Soße, kräftig und dunkel, der Semmelknödel vielleicht ein bisschen zu fest, das Spiegelei, nun gut, ein bisschen zerlaufen. Dann aber das Fiaker-typische Wiener Würstchen: ein trauriges Exemplar, auf der einen Seite verkokelt, auf der anderen gerade mal angewärmt. Ja, spinnt der Koch?! Dazu ein eindeutiges Ja nach den Linguine (11,90) mit ein bisschen Bärlaucharoma und einer Scheibe Schinken, einfach so obendraufgeklatscht. Das ganze ertränkt in Sahne. So bringt man Nudeln um.

Bei Marillenpalatschinken (6,50) und anderntags auch beim steirischen Kaiserschmarrn (11,50) kommt dann die Diskussion, ob selbst gemacht oder eher nicht, wieder auf den Tisch. Die Oder-Eher-Nicht-Fraktion gewinnt.

Was die Getränke angeht, so bleiben einem weder der Zweigelt noch der Veltliner länger im Gedächtnis. Aber insgesamt festigt sich der Eindruck angenehmer Gemütlichkeit, auch wenn's ab und an recht laut wird, vielleicht, weil die Decke so niedrig hängt. Und die Freundlichkeit, ja, an die erinnert man sich auch noch viele Wochen später.

© SZ vom 24.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: