Jubiläum:Es begann mit einer Räuberleiter

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Vor fast drei Jahrzehnten setzten sich einige Freimanner dafür ein, die alte Mohr-Villa als Kulturzentrum zu nutzen. Heute schlägt hier der Puls des Viertels, ständig wird Neues ausprobiert. Zum 25. Jubiläum gibt es ein großes Fest

Von Hannah Schuster, Freimann

Wie viel ist ein alter Tretroller aus Holz wert? Wahrscheinlich ist niemand bereit, dafür eine besonders große Summe auszugeben. In Freimann brachte ein solches Exemplar vor gut 20 Jahren bei einer Auktion aber immerhin ganze 210 Mark ein. "Es ging um die größere Sache", sagt Brigitte Fingerle-Trischler. Sie ist heute die Vorsitzende des Vereins Mohr-Villa Freimann, der damals die Versteigerung organisiert hatte, um mit dem Geld den Erhalt der alten Villa zu finanzieren.

Brigitte Fingerle-Trischler sitzt mit Julia Schmitt-Thiel, der Geschäftsführerin des Vereins, im Garten der Mohr-Villa an einem Biertisch. Hinter den beiden breitet eine Frau eine Yoga-Matte im schattigen Gras aus, eine Künstlerin in weiten Hosen grüßt im Vorbeigehen, und über allem liegt die Geräuschkulisse von spielenden Kindern aus dem dort ansässigen Kindergarten. Die Mohr-Villa ist heute das kulturelle Zentrum des Stadtteils, aber bis es soweit war, "gab es schon viel Kampf", sagt Julia Schmitt-Thiel.

Drinnen und draußen ist viel Platz für Kultur wie das "Dance Borderless". (Foto: Alessandra Schellnegger)

Sie ist zwar erst seit sechs Jahren Geschäftsführerin, die Mohr-Villa spielt aber bereits seit ihrer Kindheit eine Rolle in ihrem Leben. Ende der Achtzigerjahre war das Gelände noch in Besitz der Bundesbahn. Zu diesem Zeitpunkt wurden Gerüchte laut, dass die Villa verkauft werden sollte - dazu passte, dass auf einmal drei der Bäume im Park gefällt wurden. Julia Schmitt-Thiels Vater Gerhard stieg deshalb kurzerhand mit anderen Freimannern nachts per Räuberleiter über die Mauer des Grundstücks und erbeutete ein Stück der gefällten Bäume. Anhand dessen hat man zwar festgestellt, dass sie von Borkenkäfern befallen waren und zu Recht gefällt wurden - trotzdem hat die Aktion etwas in Gang gebracht. Es wurde nämlich eine Bürgerinitiative gegründet, aus der kurz darauf im Jahr 1992 der Verein hervorging, der sich bis zum heutigen Tag für die Villa einsetzt.

Ein Jahr nach der Gründung gab es den ersten Erfolg: Die Stadt kaufte die Mohr-Villa, und der Verein begann, die Örtlichkeiten zu nutzen. Dann ging es in "Zehn-Jahres-Schritten" weiter, wie Fingerle-Trischler und Schmitt-Thiel es ausdrücken. Nach und nach wurden die maroden Gebäude renoviert, und "jetzt warten wir nur noch auf die Renovierung des Dachstuhls", sagt Julia Schmitt-Thiel. Denn 25 Jahre nach dem Kauf herrscht in der Villa ein ständiges Kommen und Gehen, um die 3500 Veranstaltungen finden dort im Jahr statt. Kunst, Kultur, Theater und bürgerliches Engagement brauchen Platz. Die Mohr-Villa will sich nicht auf ein spezifisches Angebot festlegen, sondern immer wieder neue Sachen ausprobieren.

Geselliges Beisammensein´beim Frühschoppen. (Foto: LH München Slg. Karl Reitmeir)

Manche Dinge bleiben dann jahrelang, manche finden nur einmalig statt, und wieder andere finden regelmäßig einmal im Jahr statt - so fasst es Julia Schmitt-Thiel zusammen. Einmal kam ein Student, der Platz für sein Schlagzeug brauchte: Er fand ihn in der Mohr-Villa, übergangsweise. Andere Freimanner kommen mit einer Idee, aus der dann ein Projekt wird. So war es beispielsweise bei einer Pantomimin, die ihre Kunst weitergeben wollte. Ein Theater ohne Worte - ideal für Flüchtlinge, die die deutsche Sprache noch nicht so gut beherrschen, also organisierte die Mohr-Villa einen Auftritt in der Bayernkaserne. Wieder andere Projekte entwickeln sich zu etwas Eigenständigem: Auch die Theatergruppe "Grenzenlos" ist als ein Projekt unter vielen gestartet und ist inzwischen ein selbstverantwortlicher Verein.

Brigitte Fingerle-Trischler sieht die Mohr-Villa als Vermittler, der es "den Leuten ermöglicht, ihre Dinge selbst zu machen". Und durch das vielfältige Programm treffen auch Leute aufeinander, "die sich sonst gar nicht kennengelernt hätten", sagt Julia Schmitt-Thiel. In den Kindergarten kommen Kinder aus allen Ecken des Stadtteils, und so entstehen auch zwischen den Eltern Freundschaften und wieder neue Initiativen. "Die Leute fühlen sich dann dem Ganzen hier sehr verbunden", sagt Fingerle-Trischler.

Das merkt man auch am Samstag, 9. Juni, wenn die Mohr-Villa ihr 25-jähriges Bestehen feiert. Nicht nur im Garten, sondern auch auf der Straße werden Veranstaltungen stattfinden als Erinnerung an die Zeit, als die Mohr-Villa noch nicht zugänglich war und die Mitglieder der Initiative zwangsweise auf der Straße tätig werden mussten. Mehr als 150 Menschen haben angeboten, den Festtag mitzugestalten. Sie kommen nicht nur aus der Gemeinschaft innerhalb der Villa, sondern auch aus der Nachbarschaft: Die Freiwillige Feuerwehr ist ebenso wie die benachbarte Schule mit dabei. Und wie vor 25 Jahren wird wieder versteigert, zwar kein Roller, aber unter anderem ein Laufrad. Das kommt von einem kleinen Buben, dem der Abschied nicht leicht fällt. Doch als er von seiner Großmutter erfahren hat, dass der Erlös der Mohr-Villa zu Gute kommt, da fiel ihm der Entschluss leichter. Und vielleicht knackt er ja den Preis von damals?

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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