Innovativer Hufschmied:Passende Schuhe aus Eisen

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Georg Stinauer hat ein spezielles Hufeisen entwickelt, das die Vorzüge von Materialien wie Eisen, Kunststoff und Aluminium vereint. (Foto: Catherina Hess)

Georg Stinauer ist Weltmeister im Hufebeschlagen - und will jetzt ein revolutionäres Buch über dieses Handwerk schreiben

Von Alexandra Leuthner

Ein bitterer Geruch beißt in die Nasenschleimhäute, weißlicher Rauch steigt zwischen den beiden Männern auf, von denen nur die gebeugte Hinterfront zu sehen ist. Konzentriert neigen sie sich über das Vorderbein eines braunen Pferdes. Es steht mit zwei Führstricken angebunden in der Stallgasse. Ein Stall in der Olympiareitanlage in Riem. Es zischt ein bisschen, als das Hufeisen, mit dem Schmied Georg Stinauer eben von seinem roten Kleintransporter zurück gekommen ist, die äußerste Schicht des Hufrands versengt und jener beißende Dampf zwischen dem glühenden Eisen und dem lebendigen Horn hervorquillt. Doch der Gestank, der ein wenig an im Fön verbrannte Haare erinnert, scheint den Hufschmied und seinen Auszubildenden ebenso wenig zu stören wie den braunen, hochgewachsenen Wallach, der, in sein Schicksal ergeben, in Richtung seiner vierbeinigen Kollegen blickt.

Springpferd Sam hatte ein Jahr Zeit, sich daran zu gewöhnen, dass Hufschmied Stinauer alle paar Wochen an seinen Füßen herumwerkt. Es zuckt nicht einmal, als jetzt ein schwerer Hammer mit lauten Schlägen lange kantige Nägel durch die Löcher im Eisen und den Rand des Hufes treibt. "Das ist wie Zehennägel schneiden", kommentiert der Hufschmied, "das Pferd spürt, dass da was passiert, aber es tut ihm nicht weh." Wenn man es richtig macht. Und das ist Stinauers oberstes Ziel.

Hufebeschlagen ist für den 31-Jährigen aus Fürmosen im Ebersberger Landkreis mehr als reines Handwerk, eher schon eine Wissenschaft, die ihn auch über seine Arbeitszeit hinaus umtreibt, jetzt will er sogar ein Buch darüber schreiben. Seit zehn Jahren ist er mit Hammer und Amboss unterwegs, selbständig gemacht hat er sich 2009. "Das Draußensein, mit Menschen zusammenkommen, das ist genau das Richtige für mich. Pferde mag ich sowieso", erzählt er, seine Schwester habe ein Art "Familienpferd" gehabt. Noch wichtiger aber, setzt er hinzu, sei die Tatsache, dass er sich als selbständiger Hufschmied niemandem unterordnen müsse.

Ganz früh, schon bevor er sich bei der Abschlussprüfung zum Schmied im Haupt- und Landesgestüt Schwaiganger mit dem Prüfer angelegt hatte, war ihm klar, dass er gerne mal über den Tellerrand hinaus guckt - und damit aneckt. Die Schmiedeprüfung hat er schließlich nicht in Bayern gemacht, wegen unüberbrückbarer Differenzen mit dem Ausbilder über das Für und Wider rasch herausnehmbarer Hufstollen für Deckhengste. Neun staatliche oder staatlich anerkannte Hufbeschlagschulen gibt es in Deutschland. Seine Abschlussprüfung in Rheinland-Pfalz hat er letztlich als einer der zwei Besten bestanden. "Etwas innovativer" sei es dort zugegangen als in Bayern, urteilt er.

Weiterdenken, weiterbilden, besser werden, das gehört für ihn zum Geschäft. Zweimal hat er schon an einem Fachlehrgang des Schweizers Stefan Wehrli, dem Guru unter den Hufschmieden, teilgenommen; in Riesenbeck, den Stallungen des international erfolgreichen Springreiters Ludger Beerbaum - und die abschließenden Prüfungen gegen 200 Teilnehmer aus aller Welt gewonnen. Wenn der Schweizer Hufschmiedepromi ein Pferd beschlägt, dann schaut er nicht nur von außen auf den Huf, sondern überprüft den Sitz des Eisens vorher und nachher mittels Röntgenaufnahmen. Er will sehen, was im Bein des Tieres passiert, wenn die Hufstellung verändert wird, das Tier mit Kunststoff statt der klassischen Eisen beschlagen wird. Der junge Hufschmied aus dem Landkreis Ebersberg denkt ganz ähnlich, wenn er auch auf das Röntgen verzichtet. Doch wenn man ihm zusieht beim Arbeiten und zuhört, wie er das Gangwerk des Pferdes von innen und außen beschreibt, drängen sich Assoziationen auf von medizinischen Interieur-Tafeln, von Muskelsträngen, Knochenansätzen, dem Verlauf von Sehnen und Bändern. Die gesamte Anatomie spielt bei Stinauers Betrachtungen eine Rolle, und damit unterscheidet er sich von vielen seiner Kollegen. Nach dem Vorbild Leonardo da Vincis hat er sich einen filigranen Winkelmesser fertigen lassen, der ein wenig einem Zirkel, ein wenig einem Sextanten ähnelt. Damit vermisst er die Hufe. Hufkrone, Fessel, Fesselgelenk, Hufunterseite, alles sollte im richtigen Winkel zueinander stehen, und zum Boden, damit das Pferd gut laufen kann. "Am goldenen Schnitt", erklärt der Hufschmied, der neben seiner Ausbildung zum Schlosser, Metallbauer und Gestalter und der zweijährigen Hufschmiedelehre die Akademie für Design und Gestaltung in München besucht hat, "kann man sich auch bei der Betrachtung des Pferdes orientieren."

32 verschiedene Messpunkte markiert er an Körper und Beinen des Pferds, bevor er mit der eigentlichen Arbeit am Huf überhaupt erst beginnt. Mit weißen Punkten bezeichnet er auf dem braunen Fell des Wallachs den Verlauf von Schwerpunktlinien. "Hier, an der Schulter - der Punkt muss genau über der Mitte des Hufs sein, dann steht er richtig." Eine weitere Markierung landet auf der Außenseite der Hufwand, und ein rascher Seitenblick geht zur jungen Besitzerin des Springpferds, "das geht schon wieder weg", raunt er hinüber und zwinkert ihr zu. Die junge Frau schaut ein wenig zweifelnd, doch sie hat allen Grund, dem Hufschmied zu vertrauen. Noch im vergangenen Jahr war der Wallach wegen einer Sehnenentzündung nur in der Box gestanden, seit Stinauer seine Hufe behandelt, läuft er wieder. Jetzt geht sie mit ihm S-Springen, oberste Schwierigkeitsklasse also. "Das macht den Unterschied aus zwischen einem 5000 Euro-Pferd und einem 50 000-Euro Pferd", sagt der Schmied, "ob es läuft oder nicht."

60 Euro waren Stinauers erster Monatsverdienst, nachdem er sich als Hufschmied selbständig gemacht hatte. Es gab keinen Kundenstamm, den er von einem Vorgänger übernehmen konnte, er musste sich erst bekannt machen. Mittlerweile sagt er regelmäßig Anfragen ab, die Mundpropaganda funktioniert - weltweit offenbar. Was wohl nicht nur daran liegen mag, dass er sich am Ende der Beerbaumschen Schmiedekurse inoffizieller Schmiedeweltmeister nennen konnte.

Einmal hat ihn ein arabischer Pferdezüchter für eine Woche nach Abu Dhabi eingeladen, um seinen Vollblütern die Hufe zu beschlagen. Letztendlich habe er dem Besitzer geraten, die feingliedrigen Pferde allesamt auf "barfuß" umzustellen, also ohne Hufeisen laufen zu lassen. "Der Sand, auf dem sie gehen, ist rundkörnig, die brauchen gar keine Eisen, da schleift sich nicht viel ab." Das mit dem Beschlagen sei ohnehin nur "von uns rübergeschwappt", jahrtausendelang hatte niemand daran gedacht, den Wüstenpferden Schuhe aus Eisen zu verpassen. Und so müsse er wenigstens nicht wieder hin und "bei 45 Grad im Schatten Pferde beschlagen." Überhaupt, der Umgang der arabischen Reichen mit ihren Angestellten - "na, des mog I ned." Eine andere Reise führte Stinauer nach Finnland, zu einer früheren Kundin. "Sie musste dort 500 Kilometer fahren, um ihr bestes Pferd so beschlagen zu lassen, dass es laufen konnte", erzählt Stinauer, "bei mir ist es auch gelaufen". Er grinst. "Also hat sie mich geholt."

Und so kommt der junge Mann, der seit zehn Jahren keinen Urlaub mehr gemacht hat, wenigstens hin und wieder ins Ausland. "Ich brauch' keine Ferien. Acht Stunden Arbeit am Tag, acht Stunden Schlafen und acht Stunden Freizeit, was will i mehr", konstatiert er in seinem weichen oberbayerischen Dialekt - der ihm als Lehrling in Schwaiganger sogar mehrere Auftritte in der BR-Fernsehdokumentation "Rossnarrisch" eingebracht hat. Mit dem Buch, das der Hufschmied jetzt plant, will er nichts weniger als sein Metier revolutionieren. "In den meisten Büchern über Hufbeschlag sind seit 100 Jahren die selben Fotos drin, da hat sich nichts weiter entwickelt." Vor etlichen Monaten hat er angefangen, die Erkenntnisse seiner Arbeit zu dokumentieren. Zu seinem Werkzeug gehört neben einem selbst gebauten fahrbaren Untersatz, auf dem er beim Hufebeschlagen sitzt, um sein respektables Kreuz zu schonen, auch eine dicke Kladde. In ihr notiert er akribisch jede Veränderung in der Beinstellung, der Bewegung, der Hufform der Pferde. Nach dem Beschlagen lässt er seinen Lehrling Fabian den Winkel des Hufmantels zum Boden messen, wirft dann noch mal einen prüfenden Blick auf die Bewegungen von Sams Hinterpartie, als ihn Fabian zu seiner Box zurück führt. Er gibt inzwischen Hufseminare für Schmiede, aber auch für normale Pferdeleute. "Es könnten so viele Pferde besser laufen", sagt er, "man könnte so viel machen, wenn es den Leuten wichtig wär".

Daran aber arbeitet er noch: Am Verständnis für seine Arbeit, dafür, dass er auch mal zwei oder drei Stunden braucht für ein Pferd, wenn er es für nötig hält, und dass dann eben auch 150 bis 200 Euro kostet. Ein spezielles Hufeisen hat er entwickelt und patentieren lassen, das die Vorzüge unterschiedlicher Materialien wie Kunststoff, Eisen und Aluminium vereint. Und er arbeitet daran, Nachwuchs auszubilden für einen Beruf, der noch vor wenigen Jahrzehnten auszusterben drohte. Jetzt hat sich die Sache geändert, die Zahl der Pferde vor allem in den Speckgürtelgemeinden wächst kontinuierlich, die Schmiede kommen den Aufträgen kaum mehr nach. Da werden Stinauers acht Stunden Arbeit am Tag vielleicht nicht mehr lange reichen.

© SZ vom 20.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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