Hohe Mieten in München:Hartz-IV-Haushalte wohnen zu teuer

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Finden sie innerhalb von sechs Monaten keine günstigere Unterkunft, wird ihnen die Miete gekürzt. Mehr als 1000 Hartz-IV-Haushalte in München sind von dieser Regelung betroffen. Münchens Sozialreferentin will mehr Spielraum schaffen.

Von Sven Loerzer, München

Entweder die Kündigung der Mietwohnung riskieren, oder sich die Miete vom Mund absparen: Vor diese Wahl sehen sich Hartz-IV-Bezieher nach spätestens sechs Monaten gestellt, wenn es ihnen nicht gelingt, unangemessen hohe Mietkosten durch Umzug oder Untervermietung zu senken. Denn dann muss das Jobcenter die Zahlung auf den angemessenen Betrag kürzen. Sozialreferentin Brigitte Meier (SPD) setzt sich für eine Gesetzesänderung ein, die mehr zeitlichen Spielraum lässt. Doch das Bundessozialministerium sieht dafür keine Notwendigkeit.

Die Vorschrift führe "zu einer existenziellen Bedrohung hohen Ausmaßes", sagt Irmgard Ernst, Leiterin des Münchner Arbeitslosenzentrums. "Den Betroffenen bleibt einfach weniger Geld zum Leben." Einer arbeitslosen, alleinerziehenden Mutter mit einem sechsjährigen Kind wurde beispielsweise der Betrag für die "Kosten der Unterkunft" um knapp 200 Euro gekürzt. Der Grund: Die Miete überschritt die von der Stadt als angemessen festgelegte Obergrenze für zwei Personen, nachdem ein bereits erwachsener Sohn aus der Wohnung ausgezogen war. Danach hatte das Jobcenter noch sechs Monate lang die zu hohen Mietkosten bezahlt, aber die Mutter musste nachweisen, dass sie sich um eine günstigere Wohnung bemüht.

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Weil die Betroffenen Angst hätten, ihre Wohnung zu verlieren, wenn sie die Miete nicht vollständig bezahlen, "knapsen sie sich das ab", etwa beim Einkauf von Lebensmitteln, sagt Ernst. Die Menschen würden "unheimlich unter Druck gesetzt, aber sie erhalten keinerlei Unterstützung bei der Wohnungssuche" und hätten auch keine Chance beim Wohnungsamt. Erst nach der Absenkung gebe es die höchste Dringlichkeitsstufe beim Wohnungsamt: "Aber das bedeutet bei dem knappen Angebot an freien Sozialwohnungen noch lange kein Wohnungsangebot."

Ein-Personen-Haushalte sind meist betroffen

Von den 40 000 Münchner Haushalten, die derzeit Hartz-IV-Leistungen vom Jobcenter erhalten, liegen mehr als 1000 oberhalb der Mietobergrenze. Dabei handle es sich überwiegend um Ein-Personen-Haushalte, erklärt Jobcenter-Sprecher Felix Magin. Erst wenn die geltende Grenze um mehr als zehn Prozent überschritten werde, erfolge eine Prüfung. Dabei werde ermittelt, ob besondere Gründe vorliegen, die eine Abweichung rechtfertigen könnten, wie etwa eine Behinderung, Pflegebedürftigkeit oder Krankheit.

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Wenn Kinder in dem Haushalt leben, prüfe das Jobcenter in Zusammenarbeit mit der Bezirkssozialarbeit, ob ein Umzug überhaupt zumutbar wäre, etwa weil die Kinder eine Schule im Stadtteil besuchen. Liegen allerdings keine solchen besonderen Umstände vor, muss das Jobcenter nach den gesetzlichen Vorgaben ein "Mietsenkungsverfahren" einleiten. Ein halbes Jahr bleibt dem Hartz-IV-Bezieher dann Zeit, um sich eine günstigere Wohnung zu suchen oder die Kosten auf anderem Weg zu reduzieren, zum Beispiel durch Untervermietung.

Die gesetzliche Festlegung, dass eine unangemessen hohe Miete in der Regel längstens sechs Monate lang übernommen werden kann, stößt bei der Stadt auf Kritik, obwohl sie selbst den überwiegenden Teil der Kosten tragen muss. "Während in der großen Mehrzahl der Kommunen in Deutschland ein Zeitraum von sechs Monaten mit Sicherheit ausreichend ist, um eine kostengünstige Wohnung zu finden, ist dies in München nur mit großem Aufwand möglich", schrieb Sozialreferentin Brigitte Meier an das Bundessozialministerium.

Gerade im unteren Marktsegment bestehe Wohnungsknappheit, die Wartelisten für Sozialwohnungen sind lang. Die Sozialreferentin hat deshalb das Ministerium gebeten, den Kommunen durch Streichung der Sechs-Monats-Frist im Gesetz mehr Spielraum zu geben. Im früheren Sozialhilferecht gab es keine zeitliche Begrenzung, wenn es nicht möglich oder zumutbar war, eine günstigere Wohnung zu finden.

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Das Bundesministerium hält die Probleme in München zwar für nachvollziehbar. Aber diese Situation bestehe auch in anderen Ballungsräumen, heißt es in der Antwort. "Einerseits handelt es sich um kein auf München beschränktes, andererseits aber auch um kein bundesweit bestehendes Problem", urteilt das Bundessozialministerium. Angesichts der großen Unterschiede auf den regionalen Wohnungsmärkten sei die Rückkehr zur früheren sozialhilferechtlichen Regelung "nicht weiterführend". Denn damit "würde generell auf die zeitliche Begrenzung der Übernahme einer unangemessen hohen Miete verzichtet, ohne dass hierfür bundesweit eine Notwendigkeit besteht".

Sparen an allen Ecken

Aufgeben will Brigitte Meier trotzdem nicht. Die Stadt habe zudem im März die Mietobergrenzen angehoben, berichtet die Sozialreferentin. Für eine Person gelten nun bis zu 590 Euro Bruttokaltmiete als angemessen, für zwei Personen 724 Euro. Darin sind die "kalten Nebenkosten", wie etwa die Ausgaben für Müllabfuhr, Hausmeister und Gebäudereinigung bereits enthalten.

Der alleinerziehenden Mutter und ihrem Kind half schließlich die vom Arbeitslosenzentrum eingeschaltete Leiterin des Jobcenters, Martina Musati, aus der existenzbedrohenden Notlage: Sie habe die Absenkung mit Blick auf das Kind zurücknehmen lassen, berichtet Irmgard Ernst. Allerdings gebe es auch eine Reihe anderer Ursachen, die Hartz-IV-Bezieher dazu zwingen, mit weniger Geld auskommen zu müssen.

So erhalten sie die Kaution, die sie für das Anmieten einer Wohnung benötigen, vom Jobcenter nur auf Darlehensbasis. Manchmal kommt dazu noch eine Rückforderung oder ein Darlehen für die Anschaffung eines benötigten Haushaltsgerätes: "Das Jobcenter kann bis zu 30 Prozent des Regelsatzes kürzen für die Rückzahlung von Darlehen." Und darunter leiden die Betroffenen auf sehr lange Sicht.

© SZ vom 03.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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