HIV-Zentrum Izar:Überwinden der Scham

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Christoph Spinner, Infektiologe am Klinikum rechts der Isar, ist Fürsprecher einer Antikörper-Ambulanz. (Foto: Robert Haas)

Zu Christoph Spinner kommen Patienten aus ganz Bayern

Von mayr

"Das große Problem ist, dass einige Patienten immer noch viel zu spät zu uns kommen", sagt Christoph Spinner, 33, Leiter des interdisziplinären HIV-Zentrums Izar am Klinikum rechts der Isar. Bei Vielen bleibe die Infektion so lange unerkannt, bis schließlich das Immunsystem lebensbedrohlichen geschwächt werde. Schuld sei die Tatsache, dass Tausende Menschen in Deutschland von ihrer Erkrankung gar nichts wüssten.

"An diese Gruppe heranzukommen ist unglaublich schwierig", sagt der HIV-Spezialist. Da es in Deutschland keinen Zugang zu Selbsttests gibt, die der Patient zu Hause durchführen kann, müsse man sich stets einem Berater oder Arzt öffnen. "Damit verbunden ist vielleicht eine schamvolle sexuelle Geschichte, die niemand wissen soll", sagt Spinner. Seiner Erfahrung nach blieben so viele HIV-Infektionen unerkannt, besonders auf dem Land.

Spinners Patienten reisen teilweise aus Niederbayern an. "Einerseits, weil es auf dem Land die Expertise nicht gibt, andererseits, weil der Hausarzt, der vielleicht auch der Nachbar ist, nichts von der Infektion wissen soll." Auch unter Ärzten komme es zu Stigmatisierungen wegen HIV, vereinzelt würden Patienten sogar abgewiesen. Das Izar setzt sich als überregionaler Ansprechpartner für Ärzte dafür ein, dass HIV-Patienten eine zeitgemäße Behandlung erfahren.

Denn eine todbringende Krankheit ist HIV schon lange nicht mehr. "Mittlerweile können wir dank Therapien eine normale Lebenserwartung bei unseren Patienten feststellen", sagt Spinner. Und auch in der Prophylaxe konnten massive Fortschritte erzielt werden. Mit der seit Oktober 2016 zugelassenen Präexpositionsprophylaxe (Prep) lässt sich das Ansteckungsrisiko drastisch senken.

Bei diesem Thema wünscht sich Spinner gerne nach London. Die dortige HIV-Klinik Dean Street konnte durch frühe Therapie, mehr Tests und der Prophylaxe die Zahl der Neudiagnosen innerhalb von zwei Jahren um 80 Prozent senken. Davon ist man in München noch weit entfernt. Hier liegt die Zahl der Neuinfektionen stabil bei etwa 195 Personen pro Jahr, schätzt die Münchner Aids-Hilfe.

"Alle mögen Sex, aber keiner möchte sich währenddessen Gedanken über HIV machen", sagt Jan Geiger und bringt damit das Dilemma seiner Arbeit auf den Punkt. Seit einem halben Jahr betreut der Sozialarbeiter die HIV-Präventionsstelle im Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum Sub. Das ganze Jahr über berät die Anlaufstelle Betroffene, bietet kostenlose HIV-Tests an und leistet Aufklärungsarbeit. Obwohl die Zahl zuletzt leicht zurück gegangen ist, zählen homo- und bisexuelle Männer nach wie vor zur größten Risikogruppe einer HIV-Infektion in Deutschland. "Als schwuler Mann bin ich automatisch mit dem Thema konfrontiert", sagt Geiger. Die Aufmerksamkeit in der Szene sei hoch, was sich aber nicht zwingend im Alltag niederschlage. "Die Leute haben oft ein Halbwissen über sicheren Sex", sagt der 30-Jährige. Dass das Kondom nicht oder nicht konsequent gebraucht wird, ist seiner Erfahrung nach die Hauptursache für die HIV-Neuinfektionen in München. Oft heißt es dann: "Der sah so gesund aus", oder: "Der war doch noch so jung." Die Leute würden eine Risikoabschätzung aufgrund sehr gefährlicher Annahmen machen, sagt Geiger. Der Sozialarbeiter sitzt damit gewissermaßen in einem Spagat. Eigentlich lautet seine Botschaft: "Habt Spaß an Sex." Aber gleichzeitig möchte er die Menschen dazu bringen, immer an ihren Schutz zu denken. Hier die Brücke zu schlagen, sei nicht immer einfach. "Denn über Sex in der Öffentlichkeit zu sprechen, ist nach wie vor ein Tabu - auch in der schwulen Szene." Um diese Tabus zu brechen, holt sich Geiger Hilfe bei bekannten Persönlichkeiten. Für Mitte Januar hat er etwa den HIV-positiven Pornodarsteller Hans Berlin ins Sub eingeladen. Berlin spricht offen über seine Infektion und warum es sich im Leben lohnt, negativ zu bleiben. So platziert Geiger zwanglos und durch "einen sexy Typen" seine Präventionsbotschaft. Viele wüssten noch nicht, dass man sich mit der neuen Präexpositionsprophylaxe (Prep) schon im Voraus schützen kann. Und auch die Angst vor dem Test möchte der Sozialarbeiter in der Szene bekämpfen: "Wenn du deinen Status kennst, kannst du damit umgehen."

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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