Prozess am Sozialgericht:HIV-Infektion im Praktikum

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Mit 16 hat eine Münchnerin ein freiwilliges Praktikum im Krankenhaus gemacht - und sich dabei an einer Spritze verletzt. Fünf Jahre später kam die Diagnose: infiziert. Das war 1987. Erst jetzt hat ein Gericht die HIV-Infektion als Berufskrankheit anerkannt.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Vor mehr als 30 Jahren wurde eine Münchnerin bei einem Klinikpraktikum mit dem HI-Virus infiziert - längst ist das Immundefektsyndrom Aids bei der Frau ausgebrochen. Trotz der langen Zeit konnte die heute 48-jährige ehemalige Kinderkrankenschwester nun vor Gericht durchsetzen, dass ihre sich heftig sträubende Berufsgenossenschaft dieses schwere Leiden als Berufskrankheit anerkennen muss. Und das trotz der Tatsache, dass die Betroffene vor Gericht nach drei Jahrzehnten natürlich keine klaren Beweise für das Geschehen damals in der Klinik vorweisen konnte.

Die Richter des Sozialgerichts München und des Bayerischen Landessozialgerichts trugen aber durch eine umfangreiche Beweiserhebung wichtige Indizien dafür zusammen, dass es praktisch nur durch den Unfall in dem Krankenhaus zu der schicksalhaften Infektion gekommen sein konnte.

Die damals 16-Jährige hatte in den Sommerferien 1982 bei der privaten Klinik ehrenamtlich gearbeitet, um sich auf die Schwesternausbildung vorzubereiten. Wie sie nun vor Gericht sagte, hatte sie bei einem Patienten, Steward einer amerikanischen Fluggesellschaft, bei der Blutabnahme geholfen.

Danach sei sie in den zu großen Schuhen, die man ihr gegeben hatte, gestolpert und hatte sich die Injektionsnadel ins Fleisch gestoßen. Offenbar dachte sich damals niemand etwas dabei: Jedenfalls wurde der Vorfall, der heute in jeder Arztpraxis die Alarmglocken schrillen lassen würde, nicht einmal dokumentiert.

Als das Mädchen mit seiner Familie bald darauf Urlaub in Spanien machte, litt es unter Durchfall, Fieber, Übelkeit und seltsamen Hautflecken. Man tat es als Grippe ab, und die Schülerin musste zwei Wochen lang das Bett hüten. Völlig ahnungslos begann die Münchnerin nach der Mittleren Reife 1984 die Krankenschwesternausbildung.

Entdeckung bei der Routineuntersuchung

Erst Ende 1987 wurde bei einer Routineuntersuchung der HIV-Erreger im Blut gefunden. Die Frau musste 1994 wegen der Infektion ihren Beruf als Kinderkrankenschwester endgültig aufgegeben - ihre Erwerbsfähigkeit ist amtlich anerkannt um 70 Prozent gemindert. Die Berufsgenossenschaft lehnte bis 2009 aber die Anerkennung der HIV-Infektion als Berufskrankheit ab: Alle Angaben der Schwester seien nicht bewiesen.

Daraufhin klagte die Frau. Das Landessozialgericht hat nun abschließend festgestellt, dass die Klägerin aufgrund der Praktikantentätigkeit in der Privatklinik einer besonderen Infektionsgefahr ausgesetzt war. Eine Berufserkrankung wie die HIV-Infektion könne durchaus mit einem Unfall seinen Anfang nehmen.

Zur Zeit der Infektion 1982 habe es weder praxistaugliche Testverfahren noch Verhaltensregeln für Klinikpersonal gegenüber solchermaßen erkrankten Patienten gegeben, erklärten vom Gericht bestellte Sachverständige. München habe, wie man heute wisse, neben Berlin, Hamburg, Köln, Düsseldorf und Frankfurt schon wegen des internationalen Flugverkehrs aber bereits damals zu den HIV-Zentren in Deutschland gehört.

Auch die von der Klägerin geschilderten vermeintlichen anfänglichen Grippe-Symptome passen zu einer HIV-Infektion, bestätigten die Sachverständigen. Der Senat zählt die heterosexuelle Frau aus der "Allgemeinbevölkerung" auch nicht zur typischen weiblichen Risikogruppe für HIV-Infektionen: Drogenabhängige, Partnerinnen bisexueller Männer, Frauen mit Hämophilie oder Multitransfusions-Empfängerinnen.

Die Berufsgenossenschaft meinte in dem Verfahren zwar, dass sich die Münchnerin auch beim Geschlechtsverkehr angesteckt haben könnte. Da sie nachweisen konnte, erstmals 1984 Sex gehabt zu haben, schloss der Senat das aus. Das Urteil (Az.: L 3 U 262/12) ist rechtskräftig.

© SZ vom 31.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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