Hauskonzerte:Konzerte, bei denen jeder lauscht

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Galerien, Garagen, Gewächshäuser: Tobias Tzschaschel und seine zwei Partner organisieren "Hauskonzerte" in privaten Räumen. (Foto: Robert Haas)

Die alternative Musikszene hat es schwer in München. Darum bringen Tobias Tzschaschel und seine Partner internationale Bands in Galerien, Garagen oder Gewächshäuser.

Von Christiane Lutz, München

Tobias Tzschaschel kocht lieber, als dass er isst. Das ist deshalb interessant, weil das so wunderbar zu dem passt, was Tobias Tzschaschel sonst in seinem Leben so macht: Konzerte an ungewöhnlichen Orten veranstalten. Er kreiert also, um mal bei der Koch-Metapher zu bleiben, das musikalische Menü, das der Gast aufgetischt bekommt, und freut sich außerordentlich darüber, wenn ihm ein unvergessliches Gericht gelingt. Er genießt es, Möglichmacher zu sein. Aber wie bei allen Möglichmachern steht auch bei ihm am Anfang die Liebe zu einer Sache, zur Musik.

Seit fünf Jahren filmen Tobias Tzschaschel und seine Partner Stefan Zinsbacher und Peter Pazmandi unter dem Namen "Hauskonzerte" Live-Sessions und organisieren Auftritte von Indie-Bands in privaten Räumen überall in München. Das können Werkstätten sein, Galerien, Garagen, alte Gewächshäuser.

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Wohnzimmer sind selten dabei, in dieser Stadt hat kaum jemand zu Hause Platz für rund 100 Zuhörer plus Band und Equipment. Wer kommen will, registriert sich per Mail und wird dann, wenn er Glück hat, eingeladen. Die Konzertreihe heißt "Somewhere in Munich", weil die Gäste wirklich erst kurz vor dem Konzert erfahren, wo in München es überhaupt stattfindet.

Tobias Tzschaschel, 30, sitzt auf einer ausrangierten Auto-Rückbank vor einer alten Schreinerei in der Marsstraße. Hier ist die Schaltzentrale von "Hauskonzerte". Das Gebäude ist wunderbar heruntergekommen, drinnen befinden sich ein großer Arbeitsbereich mit Küche sowie ein Tonstudio. Die Kinder des Kollegen Peter Pazmandi spielen friedlich - ein Büro, wie es sich jeder wünschen würde.

"Angefangen hat ja alles mit Zeitjung", sagt Tzschaschel. Zeitjung ist eine Online-Magazin, das er 2010 während seines Journalismus-Studiums an der Macromedia aufgebaut und bis vor kurzem auch als Redaktionsleiter geführt hat. "Damals wollten wir unbedingt Video-Content für die Seite haben." Für Tzschaschel kam dafür nur Musik-Content in Frage.

Als Kind einer Opernsängerin und eines Dirigenten war Musik immer schon da. Mit 15 hatte er eine eigene kleine Rapper-Crew am Schliersee, brachte sich irgendwann das Gitarrespielen bei und schreibt und singt noch heute, manchmal auch vor Publikum. Er liebte die französische Videokolumne "La Blogothèque", die Künstler an die ungewöhnlichsten Orte verfrachtete und mit ihnen wunderbare kleine Musiksessions drehte. Arcade Fire in einem Aufzug. Beirut im Treppenhaus eines alten Turms.

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So was Zauberhaftes wollte Tobias Tzschaschel auch. Das erste Video entstand mit der britischen Band I am Kloot im damaligen 59:1-Club an der Sonnenstraße. Tzschaschel richtete die Kolumne auf Zeitjung und einen Youtube-Kanal namens "Hauskonzerte" ein, der stetig befüllt wurde. Als er wusste, die Idee funktioniert, löste Tzschaschel "Hauskonzerte" von Zeitjung. 2011 dann folgte das erste Konzert der Band Horse Feathers. Sie spielten in der Au, auf dem Dachboden eines Freundes.

"Was ich bemerkenswert finde, ist die wahnsinnig hohe Aufmerksamkeit des Publikums", sagt Tzschaschel. Immer liegen Teppiche am Spielort aus, wegen der Akustik. Die Leute setzen sich auf den Boden und lauschen einfach. Obwohl oder gerade weil viele die Band noch gar nicht kennen. "Keine Ahnung, wie wir das geschafft haben", sagt Tzschaschel, der es selbst überhaupt nicht mag, wenn auf Konzerten gequatscht wird.

Es ist, als verpflichte die Nähe zum Künstler den Zuschauer zu einer größeren Aufmerksamkeit. Vielleicht, weil der Einzelne sichtbarer ist als in der dunklen Masse großer Veranstaltungsorte. Vielleicht auch, weil Menschen, die Musik auf diese besondere Weise hören wollen, sie auch besonders lieben.

Tobias Tzschaschel ist ein sehr ruhiger Musik-Enthusiast. Er spricht leise, bewegt sich wenig bis gar nicht beim Reden. Er ist abwartend, nicht überschäumend, auch in der Art, wie er Musik hört. Aber wenn ihn die Begeisterung für eine Band erst mal gepackt hat, ist er glühender Fan. Mehr als sieben, acht Euro Eintritt nimmt Tzschaschel nicht für die Konzerte. Davon bezahlt er, je nach Absprache, Gage, Catering, Hotel- und Übernachtungskosten der Künstler.

Das funktioniert, weil der Großteil der Bands noch unbekannt ist und keine hohen Gagen verlangt. Natürlich könnten sie auch in die Milla oder die Unterfahrt gehen, allerdings ist fraglich, ob ein Newcomer da wirklich viel Publikum aktiviert. "Spielen sie aber bei uns, spielen sie auf jeden Fall vor ausverkauftem Haus", sagt Tzschaschel.

Leben kann und will Tobias Tzschaschel von diesen Projekten nicht. Er arbeitet hauptberuflich als Produzent für Musikfilme, für das Format "Startrampe" des Bayerischen Rundfunks zum Beispiel, für Künstler, die bei Sony unter Vertrag stehen. Alle zwei Wochen moderiert er "In die Nacht mit Tobi Tzschaschel" auf Puls. Mit dem "Deeper Down Festival", das von Freitag bis Sonntag auf dem alten Postgelände an der Hackerbrücke stattfindet, hat er außerdem ein Indie-Festival in der Stadt etabliert.

"Wir versuchen, die Stimmung unserer kleinen Konzerte auf die etwas größere Bühne zu übertragen." Der Gedanke ist aber der gleiche: an ungewöhnlichen Orten eine große Nähe zur Musik schaffen. Auftreten werden unter anderem The Moonband, Klaus Johann Grobe, Okay Kaya und Schmieds Puls. Platz ist für rund 250 Gäste - für ein Festival winzig, für Hauskonzerte sehr, sehr groß.

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Wie viele Konzerte er in den vergangenen fünf Jahren gemacht hat, weiß Tzschaschel nicht. 60 vielleicht? 70? Die Sessions und die Konzerte sind für ihn kein Business. Eine Band wird wirklich nur dann angefragt, wenn alle drei, Tzschaschel, Zinsbacher und Pazmandi, sie gut finden. In den vergangenen Jahren waren das zum Beispiel Boy, Hundreds, Jesper Munk, The Head and The Heart, Tom Odell, Johnny Flynn, Alela Deane.

Musik in München heißt: unter erschwerten Bedingungen

Letztere, eine Künstlerin aus Portland, mit der Tzschaschel heute gut befreundet ist, trat in der Hauskonzerte-Schreinerei auf, weil sich keine andere Location fand. München ist ja nicht dafür berühmt, der alternativen Szene Räume hinterherzuschmeißen. "Da wir auch nicht sonderlich systematisch arbeiten, kommt es vor, dass wir eine Woche vor dem Konzert noch keinen Raum haben."

Aber Tzschaschel wettert nicht gegen die Stadt, ihre hohen Mietpreise, ihren Platzmangel. Das wisse ja sowieso jeder. Er lebt gern in München und möchte genau hier, unter den erschwerten Bedingungen, Musik möglich machen. Bisher hat auch immer alles irgendwie geklappt. Bis auf einmal jedenfalls, als der schwedische Songwriter Christian Kjellvander sich im Tag vertan hatte und das Publikum umsonst ausharrte, während der Künstler in Freiburg Kaffee trank. "Also haben wir schnell einen befreundeten Münchner Musiker herbestellt. Und ich habe ein paar Lieder auf der Gitarre gespielt. Das wurde dann ein netter bunter Abend."

Tzschaschel verneigt sich vor dem Einfachen, Unspektakulären

Über die Freundschaft zu Alela Diane entstand auch ein Städteaustausch zwischen München und Portland: Etliche Musiker aus Portland waren schon in München zu Gast, umgekehrt fuhren Tzschaschel und seine Kollegen 2014 in die USA und drehten eine Art Video-Mixtape mit Künstlern der dortigen, überaus lebendigen Musikszene: "The Travelling Tapes Portland". Bands unter Apfelbäumen, in Trambahnen, auf der Veranda.

Tzschaschel ist auch da immer ganz nah dran an den Künstlern, am Knistern ihrer Mikrofone, am kleinen Lächeln am Ende des Songs, beim Zigarette-Anzünden und natürlich an der Musik. Seine Arbeit ist stets auch eine kleine Verneigung vor der Kunst, die in der Einfachheit der unspektakulären Auftritte und der Nähe, die nichts übersieht, erst richtig deutlich wird.

© SZ vom 26.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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