Hasenbergl:Mehr Zeit für die Hilfe

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Gut vernetzt: Dörthe Friess (links) vom Lichtblick Hasenbergl und die Jugendsozialarbeiterin Sarah Ruth halten engen Kontakt, wenn es darum geht, Schülern mit Problemen beizustehen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Stadt will die Sozialarbeit an Schulen ausweiten. Das Beispiel Thelottschule im Hasenbergl zeigt aber, dass es schwierig wird, wenn ein Sozialpädagoge gleich für mehrere Einrichtungen zuständig wäre

Von Simon Schramm, Hasenbergl

Sarah Ruth arbeitet seit zwei Jahren als Jugendsozialarbeiterin an der Thelottschule im Hasenbergl. Noch ist es eher die Ausnahme, dass in München auch Sozialpädagogen die Schüler betreuen, das ist derzeit nur in 42 der 134 Grundschulen in der Stadt der Fall. In Zukunft soll sich das ändern. Im Herbst vergangenen Jahres hat der Stadtrat entschieden, die Sozialarbeit an Schulen auszuweiten. Jugend- und Wohlfahrtsverbände kritisieren aber, wie dies umgesetzt werden soll.

Um Kosten zu sparen, soll vom Schuljahr 2018/2019 an für ein Jahr ein Verbund-Modell getestet werden, nach dem ein Sozialpädagoge für mehrere Schulen verantwortlich ist; zusätzlich soll ein mobiler Dienst bei Bedarf eingesetzt werden. Zwei Grundschulen in Sendling erhalten zum Beispiel gemeinsam zwei Halbtagsstellen. Der Einwand der Verbände: Die präzise Beobachtung, wie sich einzelne Schüler entwickeln, werde nicht möglich sein, wenn die Sozialarbeiter eine so große Anzahl an Schülern bei weniger Arbeitszeit als bisher üblich betreuen. Auch Sarah Ruth hat Zweifel, ob das funktioniert und sagt aus eigener Erfahrung: Für die Sozialarbeit ist mehr Zeit nötig. Sie arbeitet 30 Stunden in der Woche.

Als Sarah Ruth ihre Skepsis im Bezirksausschuss Feldmoching-Hasenbergl erläuterte, forderte dieser erneut von der Stadt, der Sozialarbeit an der Thelottschule mehr Stunden zu genehmigen. Die Sozialarbeiter nehmen sich Zeit, die Dynamik in einer Klasse kennenzulernen. Das ermöglicht es ihnen, präventiv einzugreifen. "Es ist viel Beziehungsarbeit, man soll ja Vertrauensperson werden und sein", sagt Sarah Ruth, 31. Es hänge von der Anzahl der Schüler ab, wie viel Zeit die Sozialarbeiter aufwenden sollten. "300 bis 400 Schüler bei weniger Arbeitsstunden in der Woche, als ich sie habe, zu betreuen, das ist heftig." Sarah Ruth unterstützt viele Schüler beispielsweise in Einzelgesprächen, nötig sei es aber auch, an der Thelottschule noch mehr in Gruppenprojekten zu arbeiten. Bei diesem Format könne etwa die drohende Ausgrenzung eines Schülers ausgebremst werden, erklärt Sarah Ruth.

Es sind einzelne Signale, an denen die Lehrer und Erzieher der Thelottschule erkennen, dass es Zeit wird, Sarah Ruth zum Einsatz zu bitten. Der Junge, der immer wieder zu spät in den Unterricht kommt, über Wochen hinweg. Das Kind, das abseits steht, wenn die ganze Klasse aufdreht. Wenn die Leistung eines Kindes von einem auf den anderen Tag nach unten fällt. Ruth bewertet das nicht nach Noten, sie stellt eine andere Frage: Unter welchen Bedingungen ist das passiert? Die Sozialarbeiter sind nicht auf das autoritäre Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler angewiesen. "Bei mir müssen die Kinder nicht hören, sondern sie können alles rauslassen. Zum Beispiel wütend sein, einfach jetzt", sagt Sarah Ruth.

Sarah Ruth befasst sich oft mit Schülern aus den bildungsfernen Schichten. "Die Eltern wollen nur das Beste für ihre Kinder", sagt Ruth, aber dennoch falle es ihnen schwer, ihre Kinder zu Leistungen zu motivieren. Weil sie mit niedrigen Einkommen in einfachen Jobs auskommen müssten, alleinerziehend seien oder weil sie selbst keinen oder keinen höheren Schulabschluss haben. Die Anknüpfungspunkte, die den Kindern oft fehlen, will Ruth aufbauen. Dazu gehört es, den Kindern ein Musikinstrument zu organisieren oder sie für ein Hobby zu interessieren. Dass Bildungserfolg in Deutschland immer noch zu sehr vom Elternhaus abhängt, wird seit Jahren kritisiert.

Damit Sozialarbeiter effektiv arbeiten können, ist es wichtig, dass sie im Viertel gut vernetzt sind und die Kinder an Hilfs-Institutionen außerhalb der Schule vermitteln können. Sarah Ruth hat viel Zeit investiert, die Stadtteile im Norden kennenzulernen und fragt sich, ob diese Erkundungen bei weniger Arbeitszeit möglich wären. "Ich muss wissen, wohin ich vermitteln kann, und bei den Institutionen im Stadtviertel integriert sein."

Ist etwa eine intensive Nachmittagsbetreuung nötig, schickt Ruth die Schüler zum "Lichtblick", der Hasenbergler Bildungseinrichtung, die vor 25 Jahren gegründet wurde und im vergangenen Jahr für ihr Angebot ausgezeichnet wurde, mit dem Wirkt-Siegel des gemeinnützigen Analysehauses Phineo. Das Wirkt-Siegel prämiert besonders wirkungsvoll arbeitende gemeinnützige Organisationen.

Auch der Lichtblick setzt sich mit dem sozialen Hintergrund der Schüler auseinander und will sie auf mehreren Wegen fördern: Zum Programm der Einrichtung gehören etwa ein soziales Training, Hausaufgabenbetreuung, das Thema gesunde Ernährung und der Anspruch, den Schülern so früh wie möglich einen Bezug zum Berufsleben herzustellen, zum Beispiel mit Schnupper-Praktika ab zehn Jahren.

So durchzieht die Einrichtung eine "Mutmach-Atmosphäre", erklärt die pädagogische Leitung Dörthe Friess. Der Lichtblick treibt zudem die Idee an, dass sich das Viertel von innen heraus motiviert. Beim 2013 eingeführten Mentoring-Programm, vom Analysehaus Phineo ausdrücklich gelobt, beraten Absolventen des Lichtblicks die aktuell die Einrichtung besuchenden Kinder und helfen ihnen dabei, beispielsweise Schwierigkeiten in der Ausbildung zu umgehen.

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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