Grafing:Unter Schock

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Die Blutspuren sind beseitigt, die Grafinger aber müssen die Tat erst verarbeiten

Von K. Eisenberger, T. Rienth, Grafing

Als Mitarbeiter der Bahn am Dienstagmorgen den Notruf absetzten, waren die Männer von der Freiwilligen Feuerwehr Grafing die ersten am Tatort. Was sie um kurz nach fünf zu Gesicht bekamen, war ein Bild des Schreckens. Noch am Abend hielten die Männer eine Nachbesprechung mit dem Feuerwehr-Seelsorger ab. "Solche Einsätze stecken auch erfahrene Leute nicht so einfach weg", sagte Kommandant Georg Schlechte. Auch am Tag nach der Wahnsinnstat eines 27-Jährigen aus Hessen steht die Stadt noch immer unter Schock.

Die blutigen Fußspuren, die der Täter auf dem Bahnhofsgelände hinterließ, haben Tatortreiniger mit Dampfstrahlern inzwischen beseitigt, die Züge rauschen schon seit Dienstagnachmittag wieder bis nach Grafing. Auf den Treppen des Bahnhofsgebäudes lagen am Mittwoch mehrere Dutzend Blumensträuße, Menschen zündeten Kerzen an und beteten. "Herzliche Anteilnahme für die Angehörigen und Freunde des Verstorbenen und der Verletzten", steht auf einem handgeschriebenen Schild. Bis zum Nachmittag parkten auf dem Bahnhofsparkplatz TV-Übertragungswagen.

Im Kiosk am Bahnsteig bedient Cassandra Fürstenau seit den Morgenstunden wieder Fahrgäste. So wie auch am Vortag. Als sie um kurz vor halb fünf Uhr den Bahnhofsshop aufsperren wollte, sei ihr ein Mann auf dem Bahnsteig aufgefallen, erzählt sie. Er sei barfuß gewesen, habe sich dann auf eine Bank gesetzt und mit dem Kopf auf seinen Wanderrucksack gestützt. "Ich habe überlegt, ob er Hilfe braucht", erinnert sich die 19-Jährige. "Er machte aber einen unheimlichen Eindruck, deshalb habe ich es mir anders überlegt." Eine halbe Stunde später hörte sie die Schreie.

Gut 30 Kilometer östlich von München, wo sonst über Eishockey-Hooligans oder randalierende Volksfest-Besucher diskutiert wird, hält eine Stadt inne im Gedenken an die drei Verletzten Grafinger und den 56-jährigen Wasserburger, der den Messerstichen im Krankenhaus erlag. Am Mittwochabend versammelten sich etwa 150 Bürger, Angehörige und Politiker in der Grafinger St.-Ägidius-Kirche zu einem Gedenkgottesdienst. Auch Christoph Hillenbrand, Präsident der Regierung von Oberbayern, war gekommen. In einer bewegenden Rede berichtete er, dass der Verstorbene ein langjähriger Mitarbeiter der Regierung gewesen sei.

Noch am Dienstagmittag verschob Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) die für den Abend terminierte Stadtratssitzung zunächst auf den Donnerstag. Für die Entscheidung gab es in dem Gremium fraktionsübergreifend Zustimmung. "Man kann sich ein paar Stunden nach so einer Tat nicht einfach an den Sitzungstisch setzen und die Tagesordnung abarbeiten", sagt der CSU-Ortsvorsitzende Josef Carpus. Am späten Abend meldete sich der Bürgermeister von Grafings französischer Partnerstadt Saint-Marcellin, Jean-Michel Revol, zu Wort. "Wir sind alle Grafinger!", schrieb er an das Grafinger Partnerschaftskomitee.

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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