Glutenunverträglichkeit:"Das ist halt Bauchweh, da rennt man ja auch nicht gleich zum Arzt"

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Dieter Bickel und Myriam Sauter leiden an Zöliakie - bis die Ursache ihrer Beschwerden klar war, vergingen viele Jahre. Heute haben sie sich mit der Krankheit arrangiert

Von Christina Hertel, München

Nie wieder Italien. Nie wieder Pizza, nie wieder Nudeln. Wie traurig. Das dachte Dieter Bickel, als er vor 15 Jahren die Diagnose Zöliakie bekam - Glutenunverträglichkeit. Alle Lebensmittel, in denen Weizen, Roggen, Hafer oder Gerste stecken, isst er seitdem nicht mehr. Nach Italien fährt Bickel, 74 Jahre alt, aber immer noch. "In jedem Hotel gibt's da glutenfreie Kost. In Deutschland dagegen sieht es anders aus."

In den Siebzigerjahren, als Glutenintoleranz für die meisten noch ein Fremdwort war, gingen die Beschwerden bei Dieter Bickel los. Wenn er beim Kegeln mit seinen Kumpels hinterher noch ein dunkles Bier trank oder wenn er Brot aß, ging es ihm am nächsten Tag immer schlecht. Blähungen, Durchfall, Magenschmerzen. "Ja mei, hab' ich mir gedacht. Das ist halt Bauchweh, da rennt man ja auch nicht gleich zum Arzt." 2001 geht er dann aber doch, er hält es nicht mehr aus. Innerhalb von 14 Tagen hat er acht Kilo abgenommen. Der Arzt untersucht Blut und Dünndarm. "Drei rote Ausrufezeichen hat er neben die Werte gemalt", sagt Bickel. Zwei Jahre dauerte es nach der Diagnose, bis sich sein Darm wieder regulierte und er keine Beschwerden mehr hatte. Heute geht es Bickel gut, doch was ihn stört: "Durch die ganzen Diäten aus Hollywood nimmt die Krankheit niemand mehr ernst. Von manchen Leuten wird sie fast ins Lächerliche gezogen."

Etwa einer von hundert Menschen ist in Deutschland von Zöliakie betroffen. Bei ihnen ist der Dünndarm chronisch erkrankt, weil er sich durch die Zufuhr von Gluten entzündet. Bis die Glutenunverträglichkeit erkannt wird, kann es manchmal Jahre dauern. So wie bei der 17-jährigen Myriam Sauter. Sie war als Kind oft krank. Mal ein paar Tage, mal eine Woche. Wieder ein Magendarminfekt, dachte die Familie. Einmal waren die Schmerzen sogar so groß, dass die Mutter mit dem Kind in eine Klinik fuhr. Die Ärzte aber hatten keine Ahnung, was Myriam Sauter fehlen könnte. Erst als der Hausarzt ihre Blutwerte genau untersuchte, war es klar: Das Mädchen, damals zwölf Jahre alt, verträgt kein Gluten. Nach der Diagnose stellte Myriam Sauter sofort die Ernährung um. Statt Weizennudeln, gibt es jetzt Reis, Kartoffeln, Quinoa, Mais.

Inzwischen hat sich die 17-Jährige daran gewöhnt. Was sie vermisst: Brezn, sich einfach schnell mal eine Kleinigkeit beim Bäcker holen. Wenn sie mit Freunden unterwegs ist, bestellt sie meistens Salat - oder sitzt lange vor der Speisekarte. Im Ausland, in Italien, Spanien, den USA, sei Essengehen nicht so schwierig. "Für ein paar Euro mehr", sagt Myriam Sauter, "gibt es da zum Beispiel Avocadobrot."

Auch Laktose verträgt die 17-Jährige nicht. Doch auf Cappuccino und Käsespätzle will sie nicht verzichten - muss sie auch nicht. Normalerweise wird Milchzucker durch ein Enzym im Darm gespalten. Bei Menschen, die an einer Laktoseintoleranz leiden, funktioniert das nicht, weil dieses Enzym fehlt. Sie bekommen Blähungen und Bauchweh. Das Enzym kann aber zum Beispiel durch Tabletten eingenommen werden - so macht es auch Myriam Sauter. "Die Tabletten sind allerdings relativ teuer und es gibt dafür kein Rezept", sagt sie.

Bei Lorenz Loibl würde das nicht funktionieren. Der Junge ist vier Jahre alt und leidet an verschiedenen schweren Lebensmittelallergien. Isst er Weizen, Haselnüsse, Milch oder Eier, schwebt er in Lebensgefahr. Weil der Kindergarten nicht die Verantwortung tragen wollte, falls Lorenz doch einmal ein paar Krümel erwischt, musste ihn seine Mutter Natalie Loibl das erste Jahr im Kindergarten immer um zehn Uhr vor der Brotzeit wieder abholen. Für die Familie keine leichte Zeit. Seit März begleitet ihn eine Betreuerin. Seitdem kann er wie die anderen den ganzen Tag im Kindergarten bleiben. Es stört nicht, dass immer ein Erwachsener dabei ist, meint seine Mutter. "Die Betreuerin sitzt ja nicht die ganze Zeit neben ihm und hält Händchen." Im Gegenteil: Die anderen würden sich eher darum reißen, bei der Brotzeit neben Lorenz sitzen zu können - weil Kinder so neugierig sind. Einen schlimmen Anfall hatte Lorenz schon lange nicht mehr. Früher musste sogar ab und zu der Krankenwagen kommen. Ein mulmiges Gefühl hat Natalie Loibl trotzdem manchmal, wenn sie ihren Sohn alleine auf einen Geburtstag lässt. "Aber er ist ja schon groß und weiß, was er nicht essen darf."

Dieter Bickel, Myriam Sauter und die Loibls müssen planen, was sie wann und wo essen können. Zumindest, wenn sie selbst einkaufen, finden sie aber alle etwas. "Man darf das Ganze nicht zu seinem Lebensmittelpunkt werden lassen", sagt Myriam Sauter. "Dann nimmt man die Intoleranz irgendwann auch nicht mehr als Problem wahr."

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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