Geburt auf dem OP-Tisch:Der Einschnitt

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Christine und Meike haben ihre Kinder per Kaiserschnitt zur Welt gebracht - aus medizinischen Gründen. Doch die beiden Mütter empfinden das als Makel und leiden lange unter dem Gefühl, versagt zu haben

Von Anna Hoben

Christine hatte sich für eine Hausgeburt entschieden, weil sie dachte, dass diese Art des Entbindens am wenigsten Stress bedeuten würde. Für sie, und für das Kind. Sie hatte alles so gut vorbereitet, wie es eben möglich ist. Heute sagt die 40-Jährige aus Sendling: "Man kann noch so viel vorbereiten - am Anfang und am Ende des Lebens hat man nur sehr bedingt einen Einfluss."

Im März 2014 ist ihre Tochter Josefina per Kaiserschnitt zur Welt gekommen. Josefina ist heute ein gesundes, munteres Mädchen, das gerade zum ersten Mal zur Eingewöhnung in die Waldkinderkrippe geht. Dass sie aber nicht auf natürlichem Weg zur Welt kam, das, sagt ihre Mutter, "finde ich nach wie vor schlimm".

Fünf Jahre lang hatten Christine und ihr Mann, die wie die anderen Eltern in dieser Geschichte anonym bleiben wollen, vergeblich versucht, ein Kind zu bekommen. Dann entschieden sie sich für eine künstliche Befruchtung. Es klappte, Christine war glücklich, die Schwangerschaft verlief unauffällig. In der "Beratungsstelle für natürliche Geburt und Elternsein" an der Häberlstraße informierte sie sich, fand eine Hebamme. Der Geburtsmedizin stand sie skeptisch gegenüber, vor Kliniken, "vor dieser Maschinerie", hatte sie Angst.

Es kam der Abend, an dem sie die Übertragung der Starkbierprobe am Nockherberg im Fernsehen schaute. Um ein Uhr ging sie ins Bett, schlief zwei Stunden, dann gingen die Wehen los. 26 Stunden sollten sie dauern; doch sie wurden und wurden nicht stark genug. Also doch: Verlegung in die Klinik. "Das hat mich eiskalt erwischt", sagt Christine. "Ab dem Zeitpunkt hatte ich ein riesiges Motivationsproblem." Irgendwann sagte der Arzt, es sei besser, einen Kaiserschnitt zu machen. Mehrere Risikofaktoren sprachen dafür. Da war ihr Alter, 37 war sie schon. Dann war sie bereits zwei Wochen über dem errechneten Geburtstermin. Ihr Fruchtwasser hatte sich grün gefärbt. Der Wehenschreiber zeigte flache Herztöne an.

Mehr als jedes dritte Kind in München kommt per Kaiserschnitt zur Welt. Die manchmal als "sanft" beschriebene Form der Geburt ist die häufigste große Operation bei Frauen. Man kann viel erfahren über Vorteile und Risiken des Eingriffs. Doch was bedeutet er eigentlich für die Mütter? Darüber wird wenig gesprochen. "Die Operationserfahrung war furchtbar", sagt Christine. Der Anästhesist habe sich zwar nett um sie gekümmert. Die anderen Ärzte hätten sie aber weder begrüßt noch irgendetwas erklärt. "Stattdessen haben sie sich über Urlaub unterhalten. Ich habe mich nicht wie ein Mensch gefühlt, sondern wie Patient Nummer X."

Als Josefina auf der Welt war, hielten die Ärzte ihr das 2800 Gramm leichte Bündel kurz an den Kopf; dann wurde das Baby weggetragen. "Die hätten mir jedes Kind zeigen können", wird Christine später denken. Statt erschöpft, aber euphorisch, ist sie nach der Geburt vor allem traurig. "Mir war zum Weinen zumute, aber es ging nicht." Dass sie zu Beginn noch keine richtige Verbindung zu dem kleinen Wesen verspürte, änderte sich zwar schnell. "Das Stillen war heilsam." Doch das ist nicht bei jeder Frau der Fall - der Körper funktioniert nach einem Kaiserschnitt oft einfach nicht so wie nach einer normalen Geburt.

Bei Meike, die im November 2014 eine Tochter zur Welt brachte, hat die anfängliche Fremdelphase länger angedauert. "Ich war froh, wenn mein Mann Lea genommen hat", sagt sie. "Ich wollte sie gar nicht haben, sie kam mir fremd vor." Das Gefühl blieb mehrere Wochen.

Die 41-Jährige sitzt auf der Terrasse ihres Hauses in Trudering, draußen wärmt die abendliche Herbstsonne, drinnen im Wohnzimmer liegt die fast zweijährige Lea auf dem Sofa und beschäftigt sich still mit sich selbst. Heute will Meike ihre Tochter um nichts in der Welt mehr hergeben. "Aber damals habe ich mich gefragt, ob sich das je wieder legen würde."

Eine Besucherin vor einer Videoinstallation der Wanderausstellung "Kaiserschnitt - Goldener Schnitt? Bilder rund um die Geburt" im Gasteig. (Foto: imago)

Auch Meike war durch eine künstliche Befruchtung schwanger geworden. Endlich schwanger zu sein, "das war einerseits schön, andererseits konnte ich es nicht genießen". Sie hatte Blutungen, wegen eines verkürzten Gebärmutterhalses musste sie wochenlang liegen, "irgendwann fiel mir die Decke auf den Kopf, ich wusste nicht mehr, wie ich liegen sollte".

Drei Wochen vor dem Geburtstermin entschied Meikes Frauenärztin, dass das Kind nun auf die Welt geholt werden müsse. Die Mutter hatte zu wenig Fruchtwasser, das Baby hatte Gewicht verloren. "Die Ärztin rief im Krankenhaus an und sagte: Ich hab' hier eine Frau, die möchte heute noch ihr Kind zur Welt bringen." Meike ging nach Hause, aß etwas, packte ihre Sachen und fuhr in die Klinik. Das war am Abend. Sie bekam Tabletten zur Einleitung der Geburt, und am Morgen fingen die Wehen an. Am Abend stand der Muttermund immer noch erst vier Zentimeter offen, "ich war schon völlig fertig", sagt Meike. Da hieß es: "Die Herztöne sind schlecht, wir machen einen Kaiserschnitt."

Nachdem die Ärzte ihren Bauch zugenäht hatten, zeigten sie der Mutter das Kind. "Ich habe gar nichts gesehen, weil ich festgeschnallt war." Als sie Lea später im Arm hielt, breitete sich ein Gefühl der Fremdheit in ihr aus. Bei einer natürlichen Geburt, so erklärt sie sich das heute, schüttet man Endorphine aus. "Aber wenn einer an dir rumschnippelt, da hast du keine Glücksmomente. Das mit den Hormonen, das hat schon seinen Sinn." Immer wieder, wenn ihre Freundinnen von der Geburt erzählen, bezeichnen sie diese trotz aller Schmerzen als das schönste Ereignis ihres Lebens. "Bei mir", sagt Meike, "war es halt eine Geburt. Lieber erinnere ich mich an einen Sommerurlaub".

Meike ist ein durch und durch rationaler Mensch, den Eindruck bekommt man im Gespräch mit ihr. Und trotzdem machten sich nach der Geburt ihrer Tochter irrationale Gedanken in ihrem Kopf breit. Beim Erzählen wechselt sie an der Stelle vom "ich" zum "man". Sie sagt: "Man schafft es schon nicht, auf normalem Weg schwanger zu werden, und dann schafft man es nicht, das Kind zu kriegen. Was kann man eigentlich normal?" Solche Fragen stellte sie sich zu der Zeit.

Das Gefühl, versagt zu haben, gab den Ausschlag dafür, dass sie sich für einen Kurs in der Beratungsstelle in der Häberlstraße anmeldete, um ihre Erfahrungen zu verarbeiten. "Das Hauptthema bei den Müttern ist immer eine große Enttäuschung, eine Trauer", sagt Angelika Koch. "Sie haben sich unter ihrer Geburt etwas anderes vorgestellt und machen sich Vorwürfe, weil sie das nicht geschafft haben." Koch, 57, leitet seit fünf Jahren die Kaiserschnittgruppen. Sie hat einst selbst ein Kind per Kaiserschnitt zur Welt gebracht und eines auf natürlichem Weg. Später ließ sie sich zur Geburtsvorbereiterin und Familienbegleiterin ausbilden.

"Eine spontane Geburt ist überwältigend, natürlich auch schmerzhaft und anstrengend, aber die meisten Frauen gehen mit einem großen Glücksgefühl da raus", sagt Koch. "Der Kaiserschnitt als gemachte Geburt kann schwächend sein, die natürliche Geburt dagegen stärkt fürs Leben und für die Beziehung."

In Gesprächen arbeiten die Mütter im Kurs die Geburtsgeschichte auf. "Von außen bekommen die Mütter oft vermittelt, sie sollten sich nicht so haben, das Kind sei ja schließlich gesund", erzählt Angelika Koch. Da sei es wichtig, in einem geschützten Raum sprechen zu können. "Reden heilt." Körper- und Entspannungsübungen sollen zudem helfen, sich selber wieder besser zu spüren und sich mit der Narbe auseinanderzusetzen.

Die Narbe, auch sie macht vielen zu schaffen. Christine zum Beispiel hatte im Schwimmbad unter der Dusche nie ein Problem damit, sich nackt zu zeigen. Seit der Geburt ihrer Tochter ist das anders. Sie will nicht, dass jemand die Narbe sieht. "Ich fühle mich etwas verstümmelt."

Beide Frauen betonen, dass ihnen die Gespräche mit anderen Müttern im Kurs geholfen haben. "Man merkt, dass man nicht allein ist", sagt Meike. Heute habe sie mit dem Thema abgeschlossen. "Es war mir wichtig, das abzuhaken." Christine hatte länger damit zu kämpfen - und tut es noch immer manchmal. Zusätzlich zum Gesprächskurs machte sie eine Trauma-Therapie. Trotzdem bekam sie vor der Geburt ihres zweiten Kindes Angst. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich das schaffe." Vor sieben Monaten ist ihr Sohn Isidor zur Welt gekommen. Eine natürliche Geburt, 4200 Gramm. Der Junge krabbelt über den Wohnzimmerfußboden in Sendling. Seine Geburt war eine versöhnliche Erfahrung, sagt Christine. An Schmerzen kann sie sich kaum erinnern.

© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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