Gasteig:Da wird auf die Finger geschaut

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In München treffen sich 800 Handchirurgen und -therapeuten zu einem internationalen Kongress

Von Jakob Wetzel

Wolfgang Bauer hatte Glück im Unglück. Vor zwei Jahren geriet der heute 22 Jahre alte Landwirt aus Dorfen bei der Arbeit mit der rechten Hand in einen Häcksler. Die Maschine zerfetzte Knochen, Sehnen und Muskeln, die Hand war nicht mehr zu retten. Doch die Rettungssanitäter brachten den Schwerverletzten zumindest sofort zu einem Handchirurgen: zu Riccardo Giunta nach München, dem Direktor der Abteilung für Handchirurgie im Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Und so ging es für Bauer schnell: Schon fünf Wochen nach Unfall und Amputation trug er die erste Prothese am Arm.

Dass Bauer so rasch den Weg zum Spezialisten fand, ist außergewöhnlich. Denn die Handchirurgie ist zwar eine wachsende Zunft - 2013 gab es bundesweit 23 Hand-Trauma-Zentren, aktuell sind es schon 45. Doch Handchirurgen haben ein Bekanntheitsproblem. Längst nicht alle Patienten kennen die Spezialisierung, kaum einer weiß, was sie genau bedeutet. Das sagt zumindest Jörg van Schoonhoven, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie (DGH). Jetzt aber soll sich das ändern.

An diesem Donnerstag beginnt im Gasteig der Jahreskongress der DGH und derjenige der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Handtherapie, der Vereinigung der auf Hände spezialisierten Ergo- und Physiotherapeuten. In München, das schon dank seiner beiden Unikliniken ein Zentrum der Handchirurgie ist, erwartet Kongresspräsident Giunta 800 Teilnehmer aus Europa, aus China und Kanada, um drei Tage lang über Prothesen und Transplantationen zu sprechen, über die Behandlung von Fehlbildungen, über Therapien ohne Operation oder auch über typische Probleme, die auftreten, wenn ein Patient zu spät zu einem Spezialisten kommt und womöglich vorher verkehrt behandelt worden ist. An diesem Donnerstag ist zudem Patiententag: Jeder Betroffene kann in den Gasteig kommen, um sich zu informieren.

Moderne Medizin zwischen alten Exponaten:Mit seiner schwarz-grünen Prothese kann Wolfgang Bauer wieder arbeiten, Auto fahren oder auch ein Glas Wasser einschenken. Vorne Reinhard Putz, Kustos der Anatomischen Schausammlung. (Foto: Steffen Hartmann)

Dazu soll es eine Info-Kampagne zur Vermeidung von Handverletzungen an Silvester geben: Patienten, die an Neujahr mit Explosionswunden kommen, sind klassische Fälle, so wie Radsportler mit gebrochenen Unterarmen oder Menschen, die sich beim Öffnen einer Auster oder einer Konservendose geschnitten haben, erzählt DGH-Präsidentin Nicola Borisch. Künftig will die Gesellschaft zudem den 1. März als "Tag der Hand" etablieren. Und der Verein beginnt nun mit einer Aufklärungskampagne über den eigenen Berufsstand, genauer: über die Zusatzbezeichnung "Handchirurg", die in Deutschland derzeit kein eigener Facharzttitel ist. Die Kampagne ist unter www.handexperten.com abrufbar.

Handchirurgen sind Fachärzte wie Chirurgen oder Orthopäden, die eine dreijährige Zusatzausbildung absolviert haben. Das sei schon deswegen sinnvoll, weil die so filigran sei - verglichen mit ihr sei ein Knie geradezu eine Kathedrale, sagt Max Haerle, der ehemalige Generalsekretär des europäischen Dachverbands der Handchirurgen. Die Ärzte beschäftigen sich mit allem vom Finger bis zur Schulter, denn die eigentliche Hand sei ja letztlich das Ziel einer ganzen Funktionskette von Muskeln, Sehnen und Nerven im Arm, sagt van Schoonhoven. Und die Ärzte beschäftigen sich keineswegs nur mit Operationen, sondern mit allen Erkrankungen und Therapien - und sei es, dass ein Patient seine Hand einfach nur eine Zeit ruhigstellen muss.

Wolfgang Bauer, der Landwirt aus Dorfen, trägt heute eine künstliche Hand, die er intuitiv bedienen kann: Sensoren erfassen die Muskelbewegungen im Unterarm-Stumpf und übersetzen sie in Handbewegungen. Er müsse nicht darüber nachdenken, wie er sie steuern könne, das funktioniere wie bei einer echten Hand, sagt Bauer. Natürlich fühlt es sich anders an: Er hat keinen Tastsinn und spürt zum Beispiel nicht, wie fest sein Händedruck ist. Einmal am Tag muss er den Apparat noch dazu an eine Ladestation hängen. Tagsüber aber ist Bauer mittlerweile längst wieder im Beruf tätig. Und mit der Prothese darf er sogar ohne weitere Hilfsmittel Autofahren.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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