Fußball:Ausgerechnet Unterhaching

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Meisterlich: Einen Titel holte die Spielvereinigung während ihrer Erstligazeit auch noch - 2001 gewannen die Rot-Blauen den DFB-Hallenpokal. (Foto: DPA)

Die SpVgg war schon Meistermacher für die Bayern - und hat auch sonst bewegte Zeiten erlebt. Die Geschichte eines großen Underdogs.

Von Stefan Galler

Wie schafft es ein 20 000-Einwohnerort, dass ganz Deutschland auf ihn blickt? Vermutlich nicht einmal mit der Entdeckung von Außerirdischen, die nachts auf dem Rathausplatz kampieren. Sehr wohl aber mit Fußball - zumindest wenn im Provinzstadion die deutsche Meisterschaft entschieden wird. Am 20. Mai 2000 ist genau das passiert, als die SpVgg Unterhaching dem von Christoph Daum trainierten Spitzenteam von Bayer Leverkusen mit Spielern wie Ballack, Kirsten, Emerson oder Zé Roberto am letzten Spieltag ein Bein stellte und mit dem 2:0-Erfolg dafür sorgte, dass 14 Kilometer weiter im Olympiastadion alle Dämme brachen: Der FC Bayern holte sich durch den Hachinger Husarenstreich auf den letzten Drücker die Meisterschale, was wörtlich zu nehmen ist, denn die Original-Salatschüssel wurde noch während des Spiels aus dem Sportpark in den Münchner Norden transportiert.

Unterhaching - ein Name, der seit jenem heißen Mainachmittag seinen Platz hat in den Annalen der Lieblingssportart der Deutschen. Ottmar Hitzfeld, damals als Bayern-Trainer Profiteur des Geniestreichs der Rot-Blauen, sprach nur Minuten nach dem Schlusspfiff und mit frischer Weißbier-Spülung im ansonsten so akkurat frisierten Haar davon, das die SpVgg "Fußballgeschichte geschrieben" habe. Karl-Heinz Rummenigge sagte, "man müsste Unterhaching jetzt eigentlich mit Gold aufwiegen". Doch wie war das damals überhaupt möglich, als kleiner Klub aus den Niederungen des Amateurfußballs bis auf Rang zehn der Bundesliga vorzustoßen?

Viel hing an einzelnen Personen, die sich dem Traum verschrieben hatten, den Dorfklub auf die Fußball-Landkarte zu bekommen. Bauunternehmer Toni Schrobenhauser senior an vorderster Front, der 1977 das Sponsoring bei Haching übernommen hatte und den Verein bis zu seinem tragischen Tod durch einen Feuerunfall 1982 auf das richtige Gleis setzte. Sein Sohn Anton junior hielt das Andenken des Vaters hoch und versorgte Haching in den folgenden Jahren mit dem nötigen Kleingeld. Engelbert Kupka stand von 1973 bis 2012 als Präsident an der Spitze des Vereins, Manager Norbert Hartmann war für die Zusammenstellung des Kaders zuständig. Es war kein raketenartiger Aufstieg wie zuletzt bei RB Leipzig, vielmehr ging alles kontinuierlich. 1977 spielte man noch in der Bezirksliga, bis dahin waren der FC Deisenhofen und der TSV Ottobrunn die dominierenden Fußballklubs im südlichen Landkreis gewesen. 1981 stieg Haching in die Bayernliga auf, 1989 erstmals in die 2. Bundesliga. Als die Landkreis SZ 1992 erstmals erschien, war die SpVgg gerade zum zweiten Mal dorthin hochgekraxelt.

1999 gelang unter der Leitung des knorrigen Cheftrainers Lorenz-Günther Köstner der große Wurf, ein 4:1-Heimerfolg gegen Greuther Fürth besiegelte die Sensation: Haching war Erstligist! Natürlich nicht nur mit Eigengewächsen, dennoch wurde im Laufe der folgenden Saison immer klarer, dass hier eben nicht nur eine weitere identitätslose Filiale des Millionengeschäfts Fußball ihr Tagwerk verrichtete. Fast schon symbolhaft jene Auswechslung im legendären Leverkusen-Spiel: Der Ottobrunner Markus Oberleitner verließ zehn Minuten vor Schluss den Platz, für ihn kam der Neubiberger Ralf Bucher in die Partie. Zwei echte Landkreisfußballer also, die jahrelang feste Größen waren in der Profi-Elf der SpVgg Unterhaching.

Übrigens war auch der Hachinger Abgesang aus Liga eins ein Jahr später ein Drama. Der Underdog führte auf Schalke mit 2:0 und 3:1 und hätte damit - kaum zu glauben - abermals den Bayern maßgeblich zum Meistertitel verholfen. Doch auch ein Sieg wäre für die Rot-Blauen nicht genug gewesen, weil Konkurrent Cottbus gegen 1860 gewann. Als sich das abzeichnete, ließ die SpVgg die Flügel hängen, verlor mit 3:5. Die Schalker jubelten jedoch nur vier Minuten lang, dann sprach sich herum, dass es die Bayern diesmal ohne Hachinger Hilfe geschafft hatten, durch ein Tor in der Nachspielzeit beim HSV.

Wenn man heute in den Sportpark blickt, dann kann man sich gar nicht mehr vorstellen, dass damals zu manchem Bundesligaspiel mehr als 10 000 Zuschauer gekommen waren, dass es Fanklubs auf der ganzen Welt gab und zum Leverkusen-Spiel 2000 allein 600 Journalisten akkreditiert wurden. Aber es geht langsam wieder aufwärts: Vielleicht schafft das junge Team, das beinahe ausnahmslos aus Talenten aus der Region München besteht, in der Relegation ja noch in diesem Monat die Rückkehr in die Dritte Liga. Präsident Manfred Schwabl, früher Bundesligaprofi und Nationalspieler, hat angekündigt, dass dort nicht Endstation sein soll. Mittelfristig will man wieder ein solider Zweitligist sein. Und vielleicht ja irgendwann wenigstens dort die Meisterschaft entscheiden.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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